Bücher mit dem Tag "philosoph"

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94 Bücher

  1. Cover des Buches Sofies Welt (ISBN: 9783446242418)
    Jostein Gaarder

    Sofies Welt

     (4.482)
    Aktuelle Rezension von: Vera-Seidl

    Der Roman „Sofies Welt“ von Jostein Gaarder erschien 1991 als Einführung in die Philosophie für Kinder und Jugendliche. Als hervorragende Zusammenfassung wurde er auch bei Erwachsenen sehr beliebt. Bis  zum Jahr 2017 wurde das Werk in 65 Sprachen übersetzt und weltweit 40 Millionen Mal verkauft. 1999 wurde „Sofies Welt“ unter der Regie von Erik Gustavson verfilmt.


    Gaarder beginnt sein Buch mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe: 

    „Wer nicht von dreitausend Jahren 

    Sich weiß Rechenschaft zu geben,

    Bleib im Dunkeln unerfahren,

    Mag von Tag zu Tage leben.“


    Zwei Mal werden die Zeilen im Roman wiederholt, woran zu erkennen ist, welche Bedeutung der norwegische Autor ihnen beimisst.

    Auch an anderen Stellen spart Gaarder nicht mit Wiederholungen, womit er den Philosophiekurs enorm erleichtert. Zahlreiche Beispiele , eine einfache Sprache, verschiedene Schriftarten und die Rahmenhandlung sorgen dafür, dass sich der Stoff einprägt. 


    Die Hauptfigur ist Sofie Amundsen. Ihr Vorname wird im Buch wie folgt erklärt: „Auf Griechisch hieß diese weibliche Seite Gottes Sophia. >Sophia< oder >Sofie< bedeutet >Weisheit<.“ Über die Bedeutung des Nachnamens schweigt sich Gaarder aus. 


    Sofies Philosophielehrer heißt Alberto Knox, womit er dieselben Initialen hat wie Albert Knag, ein Major, der für die UNO im Libanon tätig ist. Jener Major entpuppt sich nach und nach als Schreiber von „Sofies Welt“. Er fertigt das Werk als Geburtstagsüberraschung für seine Tochter Hilde an, deren Name eine Anspielung auf Hildegard von Bingen ist.


    Den wenigen Frauen in der Philosophiegeschichte widmet der Autor besondere Aufmerksamkeit. Die UNO als Friedensstifter lobt er in höchsten Tönen und auch der Umweltschutz kommt mehrmals zur Sprache.


    Zwei Bilder spielen eine große Rolle im Roman. Das eine heißt „Bjerkely - im Schutz der Birken“, das andere „Berkeley“. Ersteres ist die Heimat von Hilde. Das Grundstück ähnelt dem, auf welchem Sofie heranwächst. Dem ersten Kapitel hat Gaarder die Überschrift „Der Garten Eden“ gegeben. Und sein Name leitet sich ebenfalls von einem umfriedeten Stück Land her.


    George Berkeley war ein irischer Bischof und Philosoph, der von 1685 bis 1753 lebte. Auf ihn läuft der Philosophiekurs zu und bildet einen Höhe- und Wendepunkt in „Sofies Welt“. Er gehörte neben John Locke und David Hume zu den Empiristen.


    „Er sagt, das Einzige, was existiert, ist das, was wir empfinden. Aber wir empfinden nicht >Materie< oder >Stoff<. Wir empfinden die Dinge nicht als handgreifliche >Dinge<. Wenn wir voraussetzen, dass das, was wir empfinden, eine dahinterliegende >Substanz< hat, dann ziehen wir voreilige Schlüsse. Wir haben überhaupt keinen erfahrungsmäßigen Beleg für diese Behauptung … Er meinte auch, dass alle unsere Ideen eine Ursache außerhalb unseres Bewusstseins haben, dass diese Ursache aber nicht stofflicher Natur ist. Sie ist, so Berkeley, aus Geist … alles, was wir sehen und fühlen ist nach Berkeley eine Wirkung der Kraft Gottes.“


    Gaarder beginnt sein Buch mit den Naturphilosophen. Heraklit mit seiner These, „alles fließt“, und Demokrit als Erfinder der Atome seien hier als Beispiele genannt. 

    Viel Aufmerksamkeit widmet der Autor Sokrates, Platon und Aristoteles. Es folgen die Kyniker, Stoiker, Epikureer, Neuplatoniker und Mystiker. Dann zeigt er, wie das semitische Weltbild durch das Juden- und Christentum in das indogermanische eindrang. Augustinus und Thomas von Aquin stehen bei ihm für das Mittelalter, Marsilio Ticino, Giovanni Pico della Mirandela, Giordano Bruno, Galileo Galilei, Francis Bacon, Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Isaac Newton, Martin Luther und Erasmus von Rotterdam für die Renaissance und die Reformation. Dem Barock folgen die Systembauer René Descartes, Baruch de Spinoza, Gottfried Wilhelm Leibniz, John Locke, George Berkeley, David Hume und Immanuel Kant.


    Bei seinen Zusammenfassungen bleibt Gaarder immer neutral. Nur bei Berkeley wird er satirisch und am Ende bei den Esoterikern des 20. Jahrhunderts warnend. 

    Vielleicht haben aufgrund dieser Haltung religiöse Größen wie Franz von Assisi, Meister Eckhart oder Abraham Abulafia keinen Einzug in sein Werk erhalten. 


    In Bezug auf Kant schreibt Gaarder leidenschaftslos wie der Philosoph selbst: „Das bedeutet, dass wir, ehe wir etwas erfahren, wissen können, dass wir es als Phänomen in Zeit und Raum auffassen werden. Wir sind unfähig, könnte man sagen, die Brillengläser der Vernunft abzusetzen.“


    Über die spezielle Unfähigkeit Immanuel Kants äußert sich Gaarder nicht. Heinrich Heine war weniger diskret: „Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben noch Geschichte … Sonderbarer Kontrast zwischen dem äußeren Leben des Mannes und seinen zerstörenden, weltzermalmenden Gedanken! Wahrlich, hätten die Bürger von Königsberg die ganze Bedeutung dieses Gedankens geahnt, sie würden vor jenem Manne eine weit grauenhaftere Scheu empfunden haben als vor einem Scharfrichter, vor einem Scharfrichter, der nur Menschen hinrichtet - aber die guten Leute sahen in ihm nichts anderes als einen Professor der Philosophie, und wenn er zur bestimmten Stunde vorbeiwandelte, grüßten sie freundlich, und richteten etwa nach ihm ihre Taschenuhr.“


    Wenn Georg Simmel Kant als „Begriffskrüppel“ bezeichnete, meinte er sicher dessen Kausalgesetz inklusive seiner Unterscheidung der „Dinge an sich“ und derer „für uns“ oder seinen kategorischen Imperativ. 


    Auf die Aufklärung und Romantik folgen in Gaarders Roman Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit seiner These, Antithese und Synthese und der Existentialist Sören Kierkegaard, dann Karl-Marx, Charles Darwin und Siegmund Freud.


    In unserer eigenen Zeit wird der Autor, was die Philosophie betrifft, wortkarg. Mühselig kommen ihm Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir über die Lippen. Das „absurde Theater“ findet seine Erwähnung, der „Neothomismus“, die „Analytische Philosophie“ der „Logische Empirismus“, der „Neomarxismus“, der „Neodarwinismus“, die „Psychoanalyse“, der „Materialismus“ und die „Ökophilosophie“.


    Gaarder wendet sich zwar am Ende dem Weltall zu, schreibt aber nichts über Albert Einstein oder Stephen Hawking. Auch Marie Curie erwähnt er nicht. Die zweifache Nobelpreisträgerin war eine der ersten, die das Kausalgesetz in Frage stellte, nachdem sie keine Ursache für die radioaktive Strahlung erkennen konnte.


    Die Denker, die sich mit der Sprache beschäftigt haben, fehlen ebenfalls. Ludwig Wittgenstein ist hier zu nennen, Gilbert Ryle, John Langshaw Austin und Peter Strawson. George Orwell mit seinem „Neusprech“ fällt mir ein, Theodor W. Adorno und Michel Foucault.


    Kein Wort verliert Gaarder über die Sozialphilosophen des 20 Jahrhunderts. Die Frankfurter Schule mit bereits genanntem Adorno, Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse, Leo Löwenthal, Franz Neumann, Otto Kirchheimer, Friedrich Pollock und Walter Benjamin fehlen. Hartmut Rosa als bedeutender Soziologe des 21. Jahrhunderts müsste ebenfalls in einem Philosophiebuch erscheinen, meine ich.


    Da Gaarder die Philosophinnen so sehr schätzt, hätte er zumindest Rosa Luxemburg, Hannah Ahrendt und Simone Weil erwähnen sollen.


    „Sofies Welt“ ist ohne Zweifel ein gelungener Roman, der aber deutlich nach einer Fortsetzung verlangt. 

    Hilde könnte ihrer Tochter Sofie von den philosophischen Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts erzählen. Dadurch käme nicht nur das zyklische Denken wieder ins Spiel, auch Gaarders Bild der ungebildeten und wenig interessierten Mutter könnte revidiert werden.


    Vera Seidl

  2. Cover des Buches Nachtzug nach Lissabon (ISBN: 9783442746248)
    Pascal Mercier

    Nachtzug nach Lissabon

     (1.378)
    Aktuelle Rezension von: nymphe--

    Wer träumt nicht mal einfach in einen Zug zu steigen und davon zu fahren? Alles aus seinem Leben hinter sich zu lassen?

    Für Raimund Gregorius ist dies nun kein Tagtraum mehr, als er mitten am Schultag das Gymnasium, in dem er als Lehrer für alte Sprachen arbeitete, verließ und nie wieder kam. Nachdem er einer jungen Portugiesin das Leben rettete, stieß er in einer Buchhandlung auf die Veröffentlichungen eines gewissen Amadeu Padro, dessen Aufzeichnungen und Gedanken Gregorius so sehr faszinierten, dass er den Nachtzug nach Lissabon nahm, um den Spuren des Autors zu folgen. 

    Der Sinn des Romans besteht schon in den Aufzeichnungen Padros, der seine Gedanken zu verschiedenen Stationen seines Lebens zu Papier brachte. Er war ein Feind des Kitsch, glaubte nicht an die Liebe, sondern nur an die Loyalität, welches das Einzige wäre, dass annähernd Bestand hätte. Er war kritisch und aufrichtig zu sich selbst, schonungslos aufrichtig, so dass einem der Roman vorkommt wie ein Essay.

    Versteht mich nicht falsch, Essays sind wunderbar und viele Dinge in Nachtzug nach Lissabon haben mich tatsächlich zum Nachdenken angeregt, aber für jemanden, der auf Spannung steht, ist der Roman nichts.

    Zudem hat Nachtzug nach Lissabon für mich einige Probleme. Das erste ist der wesentlichste: Es ist kaum zu übersehen, dass Amadeu Padro der eigentliche Hauptcharakter des Romans ist. Nur kommt er kein einziges Mal vor und wird nur durch die Erinnerung andere oder seine Aufzeichnungen beschrieben. Eigentlich finde ich das Konzept sehr spannend. Doch verhält es sich hier ein wenig mit John Greens Eine wie Alaska und zwar wird hier mal wieder eine Person idealisiert und das Leiden dieser Person. Das geht mir inzwischen ziemlich auf die Nerven.

    Zunächst sieht niemand gut aus, wenn er leidet. Niemand sagt: "Gott, wie ist die Person tiefgründig!" Niemand wird sich wünschen, an ihrer Stelle zu sein, denn Leiden ist - tut mir leid, wenn ich das mal so drastisch sagen muss - nichts erstrebenswertes! Und es ist auch nicht ästhetisch. Ich weiß nicht, woher diese Illusion kommt. Vielleicht liegt es auch daran, dass es oft heißt Künstler würden ihre größten Werke im Schmerz vollbringen. Also wird Leiden für uns zu etwas, dass uns besonders macht, dass uns gut macht und uns Anerkennung bringt.

    Und das tat es auch bei Amadeu Padro. Sein Buch wurde vielleicht kein Bestseller, aber jeder Mensch, den Gregorius im Laufe des Buches traf, hat Amadeu angehimmelt und vergöttert und das wortwörtlich, obwohl er selbst so einsam war Das halte ich auch für problematisch und höchst unrealistisch. 

    Denn in Wahrheit leiden wir alle allein und wir wünschen uns zwar, dass irgendjemand auf uns blickt und uns dafür bewundert, aber das passiert in den wenigsten Fällen und es sollte auch nicht passieren. Man sollte Leute bewundern, die es geschafft haben, glücklich zu sein und sich selbst reflektieren und vergeben können. 

    Keine Person kann so toll sein und meist liegt die Verehrung einer Person nicht besonders an dieser Person, sondern eher an der, die sie verehrt. Menschen sind so, wie wir sie sehen und welche Personen uns was bedeuten, das liegt an uns.

    Hier kommen wir zum zweiten Problem und zwar Gregorius, der eigentliche Hauptcharakter oder zumindest Erzähler des Buches. Doch hier liegt das Problem, denn er ist weder noch. Man erfährt schon etwas über ihn und kann durch gewisse Handlungen auf sein Inneres schließen, doch im Endeffekt ist er nicht wichtig für die Handlung. Er erzählt Padros Geschichte nicht und wenn er mit Personen aus seinen Leben spricht, dann merkt man kaum, dass er anwesend ist und er spricht so gut wie nie. 

    Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er das alles macht und warum er sein Leben verlässt. Denn seine Ambivalenz habe ich ihm nie ganz abgenommen, so wie sein Fernweh. Seine Handlungen sind mir so melodramatisch beschrieben, als das ich es ernst nehme könnte und für jemanden, der Kitsch hasst, ist der Roman fast zu romantisch. Denn es geht auch alles viel zu einfach. Natürlich hatte Gregorius auch keine Geldprobleme, sodass er wochenlang in verschiedenen Hotels wohnen und quasi von Genf und Lissabon pendeln konnte. Die Sprachbarriere war nie ein Problem. Entweder sprachen alle Französisch oder Gregorius konnte nach einen Kurs Portugiesisch schon ein Gespräch anfangen. Und Padros Texte konnte er natürlich auch einfach wie einen Lateintext übersetzen. 

    Obwohl Gregorius vielleicht kein Paul Varjak ist, gibt es doch eine Sache, die ihn für mich einfach unwichtig und sinnlos erscheinen ist und zwar, dass er nichts am Ende davon mitnimmt. Er verändert sich nicht durch die Gespräche mit den anderen. Das Leben von Padro verändert ihn nicht, außer dass er wahrscheinlich am Ende auch tot krank wird und wahrscheinlich genau so stirbt wie Amadeu Padro. Diese Spannung mit Gregorius "Schwindelanfällen" haben mich nicht gepackt und das offene Ende fand ich auch etwas zu gewollt. 

    Letztendlich führte Gregorius kein anderes Leben nach seinem Aufenthalt in Lissabon. Er kehrt zurück nach Bern und lässt sich dann in eine Klinik einweisen. 

    Ich hätte gern nochmal so einen abschließenden Epilog gehabt, indem erklärt wird, was Gregorius jetzt so macht, nachdem er diese Reise gemacht hat, denn so hatte das Buch am Ende keine Message und nichts, worauf irgendwas hinauslief.

    Und nochmal zum Schluss finde ich es auch sehr merkwürdig, dass das Erlebnis mit der Frau am Anfang, die von Brücke springen wollte und Gregorius diese Telefonnummer auf die Stirn schrieb. Das war nämlich das eigentliche Ereignis, was Gregorius zu seiner Reise bewegt hatte und es kam NIE wieder zur Sprache. Oder wenn nur so am Rande, was ich sehr schade finde. Es wäre cool gewesen, wenn Gregorius sie am Ende vlt nochmal angerufen hätte diese Nummer und vielleicht jemand aus Padros Leben abnahm. Das hätte den Bogen nochmal zurück gespannt. Es hätte auch irgendjemand ran gehen können.

    Erst dachte ich ja auch, Gregorius geht nach Portugal, um diese Frau zu finden, aber was soll's. Ich verstehe dann nur ihren Zweck in der Handlung nicht, denn so hätte man Gregorius auch anders aufs Buch stoßen können.


    Nachtzug nach Lissabon ist keines Falls ein schlechtes Buch, aber meines Erachtens vielleicht ein bisschen überbewertet und es handelt von Dingen, von denen ich mir wünschen würde, dass man auch mal über etwas anderes schreiben könnnte.



  3. Cover des Buches Die drei Leben der Hannah Arendt (ISBN: 9783423282086)
    Ken Krimstein

    Die drei Leben der Hannah Arendt

     (57)
    Aktuelle Rezension von: Sokratestochter

    "Am Leben zu sein und zu denken ist ein und dasselbe" 

    Es ist wirklich interessant den Lebensweg dieser starken Frau nachzuverfolgen. Ihr Leben ist eigentlich mehr als ein einziges, wie der Titel so treffend schon sagt. So viel wie diese Frau, erlebt nicht jeder. 

    Die Umsetzung als Graphic Novel finde ich besonders gut, um die Philosophie auch dem Laien näher zu bringen. Hannah Arendt erkennt man durch ihre grüne Kleidung auf jeden Bild sofort wieder und auch andere bekannte Denker ihrer Zeit werden aufgegriffen und in Verbindung gebracht. 

    Am meisten hat mich die Entwicklung der Beziehung zu Heidegger überrascht. Ich wusste bisher nicht viel über ihn, jetzt wurde mir allerdings deutlicher, wie wichtig es ist den Charakter hinter einer Philosophie zu kennen, um sie einzuordnen. 

  4. Cover des Buches Und Nietzsche weinte (ISBN: 9783641157371)
    Irvin D. Yalom

    Und Nietzsche weinte

     (409)
    Aktuelle Rezension von: Kolibri_liest

    Die etwas veraltete Sprache ist zunächst gewöhnungsbedürftig, passt aber hervorragend zum Inhalt. Wer allerdings Probleme mit philosophischen Werken hat, wird an diesem Roman keine Freude finden. Gerade Nietzsche ist für seine zuweilen recht wirren, schwer zu durchdringenden Werke und Gedankengänge bekannt und dies wird hier aufgenommen. Die Charaktere wirken, als hätte der Autor sie selbst gekannt, so lebensecht treten sie auf. Ich bin begeistert und werde noch mehr von Yalom lesen!

  5. Cover des Buches Der Ekel, Sonderausgabe (ISBN: 9783499235924)
    Jean-Paul Sartre

    Der Ekel, Sonderausgabe

     (276)
    Aktuelle Rezension von: Vera-Seidl

    Da sitzt sie, die Melencolia, reglos, den Kopf auf ihre Hand gestützt, kann sich trotz ihrer Flügel nicht erheben, das Handwerkszeug um sich herum nicht ergreifen. 

    Hört sie das Läuten der Glocke über sich? Sieht sie die Jakobsleiter, die zum Licht mit seinem Regenbogen führt?

     

    Mehrmals hatte ich Jean-Paul Sartres "Der Ekel" angefangen zu lesen. Aber die Sichtweise seiner Hauptfigur, Antoine Roquentin, auf die Welt stieß mich zu sehr ab, verursachte einen Ekel in mir.

     

    Im Gegensatz zum Ich-Erzähler ergab ich mich nicht der Selbstreflexion in Form eines Tagebuchs, sondern forschte zunächst in der Entstehungsgeschichte des Romans, insbesondere in Sartres Biografie.

     

    In seiner Kindheit war Sartre einem Wechselbad von Bezugspersonen ausgesetzt. 

    Sein rechtes Auge erblindete nach und nach. Die visuelle Wahrnehmung erfolgte also fortan stärker über die rechte Gehirnhälfte, über die Gefühle. "Le petit homne", das Männlein, wurde er von seinen Freunden genannt, weil er nur 1,53 m groß war.

    Seine erste Liebe lernte er auf einer Beerdigung kennen. Die Treffen mit ihr frustrierten ihn. 

    Ein Heiratsantrag, der einer anderen Frau galt, wurde abgelehnt.

    Nach Reisen am Anfang der dreißiger Jahre unterrichtete Sartre in Le Havre, wo die Wirtschaftskrise für eine gedrückte Stimmung sorgte.

    Seine Doktorarbeit über die Vorstellungskraft konnte er nicht beenden. Das Meskalin, das er sich spritzen ließ, linderte seine Depressionen nicht, sondern verstärkte sie begleitet von Wahn- und Panikphasen.

    Als das Manuskript seines Romans "Melancholia" 1936 abgelehnt wurde, war Sartre zwar enttäuscht, ließ sich aber nicht entmutigen. In der Fortsetzung seiner belletristischen Arbeit wurde er von seiner Lebenspartnerin Simone de Beauvoir bestärkt.

    1938 erschien das Buch schließlich unter dem Titel "La Nausèe" und wurde zum Erfolg.

     

    Mit diesem Hintergrundwissen fiel mir der Zugang zum Buch viel leichter. 

     

    Der Historiker Antoine Roquentin lässt sich nach einer mehrjährigen Forschungsreise in der fiktiven Stadt Bouville nieder. 

    Er arbeitet nicht an seiner Doktorarbeit, sondern forscht über einen Adligen namens Marquis de Rollebon. Daneben beginnt er ein Tagebuch, weil ihn bestimmte Ereignisse und Veränderungen verstören.

     

    Gegenstände und Menschen lösen plötzlich eine Art Angst bei ihm aus. Ein Kieselstein, ein Stück Papier, selbst seine eigene Hand werden zu einer diffusen Bedrohung. "Ich sehe meine Hand, die sich auf dem Tisch ausbreitet. Sie lebt - das bin ich. Sie öffnet sich, die Finger spreizen und strecken sich. Sie liegt auf dem Rücken. Sie zeigt mir ihren fetten Bauch. Sie sieht aus wie ein umgefallenes Tier. Die Finger, das sind die Beinchen."

     

    Hier hörte ich Klänge von Franz Kafkas "Verwandlung". Zwei Seiten weiter, als Roquentin seine Hand mit dem Messer attackiert, erinnerte ich mich daran, dass Vincent van Gogh sein Ohr oder ein Teil davon abgeschnitten hatte.

     

    "Sein Hemd aus blauer Baumwolle hebt sich fröhlich von einer schokoladenfarbenen Wand ab. Auch das verursacht den Ekel. Oder vielleicht: das ist der Ekel." Immer wieder spielen Farben eine Rolle im Roman. Eine Wirkung des Meskalins, wie ich nachgelesen habe.

     

    Im Stilmittel der Beschreibung werden Edmund Husserl und auch Martin Heidegger transparent, mit denen sich Sartre 1933 in Berlin beschäftigt hatte. Auch andere Denker schimmern in seinen philosophischen Überlegungen durch. Vor allem aber nimmt Sartre an diesen Stellen sein theoretisches Hauptwerk "Das Sein und das Nichts" vorweg.

     

    "Es gibt jetzt also Leute, die mich erkennen, die denken, nachdem sie mich scharf angesehen haben: 'Der da gehört zu uns'", schreibt er auf Seite 107 im Roman. Fünf Jahre später heißt es: "Wenn es einen andern gibt, wer er auch sei, wo er auch sei, was immer seine Bezüge zu mir sein mögen, auch wenn er auf mich nicht anders als durch das bloße Auftauchen seines Seins einwirkt, ich habe ein Außen, ich bin eine Natur; mein Sündenfall ist die Existenz des anderen; und die Scham ist – wie der Stolz – die Wahrnehmung meiner selbst als Natur, wenn auch eben diese Natur mir entgeht und als solche unerkennbar ist."

     

    Auf Seite 159 erlebte ich, wie Sartre die Gedanken René Descartes und die von Martin Heidegger weiter vorantrieb beziehungsweise berichtigte.

    "Mein Denken, das bin ich: deshalb kann ich nicht aufhören. Ich existiere, weil ich denke ... und ich kann mich nicht daran hindern zu denken. Sogar in diesem Moment - es ist gräßlich, wenn ich existiere, so, weil es mich graut zu existieren. Ich bin es, ich bin es, der mich aus dem Nichts zieht, nach dem ich trachte ..."

     

    Als Roquentin schließlich im Park eine Wurzel erblickt, erkennt er die Sinnlosigkeit der Existenz: "Das Wesentliche ist die Kontinguenz. Ich will sagen, daß die Existenz ihrer Definition nach nicht die Notwendigkeit ist. Existieren, das ist dasein ... Alles ist grundlos, dieser Park, diese Stadt und ich selbst ... Wie lange dauerte die Faszination? Ich war die Wurzel des Kastinienbaums. Oder vielmehr, ich war ganz und gar Bewußtsein ihrer Existenz. Noch losgelöst von ihr - da ich mich ihrer ja bewußt war - und dennoch in ihr verloren, nichts anderes als sie."

     

    Dass Roquentin nach dieser Erkenntnis nicht mehr in der Schlammstadt sein Leben als Historiker fortsetzen wollte, konnte ich gut nachvollziehen. Am Ende (er)findet er sich neu als Romancier.

     

    Albrecht Dürers Melencolia und Sartres Roquentin sind gezwungen innezuhalten. Niedergedrückt, aber mit wachem Blick erkunden sie nun die Phänomene dieser Welt. Sie stellen Fragen und finden Antworten. Die Erde ist keine Scheibe mehr. Vor der Melencolia liegt eine Kugel. Ein großer Polyeder trennt Himmel und Erde. Eine Wurzel ist nicht mehr Funktion, sondern grundlos existent wie der Mensch. 

    Roquentin ergreift am Ende die Feder, um seiner Existenz einen Sinn zu geben. Ob es der Melencolia mit ihrem Zirkel gelingen wird, einen Kreis um die geteilte Welt zu ziehen, um so Himmel und Erde zu versöhnen?

     

    Vera Seidl

     

     

     

     

     

  6. Cover des Buches Hectors Reise (ISBN: 9783492306249)
    François Lelord

    Hectors Reise

     (1.181)
    Aktuelle Rezension von: gst

    Diese märchenhaften Zeilen, die mir anfangs noch ein Lächeln aufs Gesicht zauberten, regten mich im Laufe der Seiten regelrecht auf. Das lag weniger am Inhalt, denn die Aussagen haben Hand und Fuß. Kein Wunder, der Autor ist schließlich Psychiater. 1953 geboren, konnte er schon 2002, als das Buch in Frankreich zum ersten Mal erschien, auf seine nicht nur während der Arbeit erworbene Kenntnis der Menschen und Charaktere schauen. Was mich genervt hat beim Lesen und beinahe nach der Hälfte des Buches abbrechen ließ, war sein Stilmittel. Er spricht seine Leser an, als wären sie kleine, unwissende Kinder.

    Wen das nicht stört, der kann die 23 Lehrsätze bejahen, die er sich auf seiner Reise durch China und mehrere unbenannte, aber gut erkennbare Länder erarbeitet hat. Allerdings sind die Weisheiten für fortgeschrittenere Semester nicht mehr neu und so hatte ich persönlich keinen Mehrwert durch das Lesen.

  7. Cover des Buches Die philosophische Hintertreppe (ISBN: 9783784436883)
    Wilhelm Weischedel

    Die philosophische Hintertreppe

     (103)
    Aktuelle Rezension von: wordworld

    "Die philosophische Hintertreppe" erreichte mich als Geburtstagsgeschenk und kann von mir als solches für Philosophie-Begeisterte mit gewissem intellektuellen Anspruch auch weiterempfohlen werden. Ein "Buch für jedermann" ist Weischedels Aufstieg in die Loge der großen Philosophen der Menschheitsgeschichte aber definitiv nicht. Die passende Zielgruppe, die dieses Büchlein anregend und interessant finden wird, ist stark vom jeweiligen Wissensstand abhängig. Für komplette Neueinsteiger dürften die hier erläuterten Inhalte definitiv zu wenig anschaulich, für LeserInnen mit mehr Vorwissen hingegen zu oberflächlich und lückenhaft sein. Der Autor steigt in jedem der 34 Kapitel mit einer anekdotische Einführung in das Leben und Schaffen des jeweiligen Philosophen ein. Wenn wir uns dann ein Bild von der Person gemacht und verstanden haben, in welchem Kontext er gelebt hat, werden exemplarisch die wichtigsten Errungenschaften und Thesen vorgestellt. Da nur jeweils acht bis zehn Seiten für einen Denker aufgewendet werden und davon oftmals über ein Drittel für die Kurzbiografie wegfällt, ist die Erklärungstiefe der Theorien natürlich stark begrenzt. Auch hinsichtlich der Auswahl der vorgestellten Philosophen ergeben sich einige Lücken und es wird wie so oft die Brille der europäischen Kultur deutlich. Trotz aller Einschränkungen dieses Formats wird ein Rundumschlag und ein Gang durch die Geschichte des Denkens über Sein, Wirklichkeit, Menschenbild, Gesellschaft, Gott, Kirche und Sinn ermöglicht.


    Nach einem kurzen Blick in das Impressum wird klar, dass die erste Ausgabe dieses Sachbuchs schon 1975 erscheint. Demnach angestaubt ist leider auch der Schreibstil. Wilhelm Weischedel stellt seine 34 Denker in prägnanzlosem, trockenen Plauderton vor, der zwar zwischendurch das ein oder andere Augenzwinkern enthält, alles in allem aber doch recht theoretisch und realitätsfern wirkt. Auch wenn hier statt der vornehmen, komplizierten Vordertür mit all ihren Eingangsbeschränkungen, die "Hintertreppe" gewählt wurde, muss man diese auch erstmal erklimmen - und das ist harte Arbeit. Statt die Kernaussagen der jeweiligen Denker greifbar und durch handliche Alltagsbeispiele zu veranschaulichen wie es zum Beispiel Jostein Gaarder in "Sofies Welt" hält, sind die Aufsätze eher sperrig und beinhalten viele Zitate aus Originalarbeiten. Zwar hat "Die philosophische Hintertreppe" einen deutlich akademischeren Anspruch als "Sofies Welt", weshalb der direkte Vergleich etwas hinkt, die Leserfreundlichkeit dieses Buches ist aber dennoch ein wenig zu bemängeln.


    Die geringe Leserfreundlichkeit wird auch durch Satz und Gestaltung des Buches mitverantwortet, in welchem ebenfalls deutlich wird, dass das Buch schon etwas älter ist. Kaum Absätze, schmucklose Kapitelüberschriften und ein sehr geringer Zeilenabstand sorgen dafür, dass das Büchlein nicht gerade darum bettelt, zur Hand genommen und gelesen zu werden. Eine kurze und prägnante Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte am Kapitelende, Querverweise zu vorherigen Kapiteln und gerne auch die ein oder andere graphische Aufbereitung hätten den Lesekomfort deutlich verbessert. Sehr gut gefällt mir hingegen das Cover, dass - passend zum Thema - Raffaels "Die Schule von Athen" zeigt.




    Das Urteil

    Ein interessanter Aufstieg in die Loge der großen Philosophen der Menschheitsgeschichte, welchen ich aber aufgrund des prägnanzlosen Plaudertons, der geringen Anschaulichkeit und der nicht gerade leserfreundlichen Aufmachung nur an Philosophie-Begeisterte mit gewissem intellektuellen Anspruch weiterempfehlen kann. Komplette Neueinsteiger können stattdessen zu "Sofies Welt" greifen, bei größerem Vorwissen dürften die Beschreibungen hier zu oberflächlich und lückenhaft sein.

  8. Cover des Buches Hier sind Drachen (ISBN: 9783492315500)
    Husch Josten

    Hier sind Drachen

     (21)
    Aktuelle Rezension von: bluesjj
    Kennt ihr das? Ihr habt ein Buch beendet und fragt euch nach den letzten Zeilen: Was will mir dieses Buch sagen? So erging es mir mit „Hier sind Drachen“ von Husch Josten. Ich muss zugeben, erschlossen haben sich mir letztendlich nicht alle Handlungsstränge. Und so blieben große Fragezeichen und etwas Enttäuschung. Dabei sind die Thematik und der Aufbau des nur 160 Seiten dünnen Buches durchaus spannend und bieten Potenzial.
    Husch Josten erzählt von der Journalisten Caren, die einen Tag nach den Pariser Terroranschlägen (Herbst 2015) auf das Bataclan, das Stade de France und mehrere Bars und Cafés auf dem Weg in die Metropole ist, um von den Geschehnissen zu berichten. Bereits ihr bisheriges Leben ist von früheren Anschlägen gezeichnet, so hat sie sowohl den 11. September als auch den Anschlag auf den Bosten Marathon durch glückliche Fügungen überlebt. Am Flughafen Heathrow wird sie von einem Mann, den sie Wittgenstein nennt, in ein philosophisches Gespräch über Zufälle und unerzählte Geschichten verwickelt. Währenddessen wird der Start ihrer Maschine verschoben, Sicherheitskräfte riegeln das Terminal ab und Passagiere werden kontrolliert. Ist das alles nur Zufall?

    Allerdings ist damit nur ein Bruchteil der Geschichte erzählt. Es geht um eine Dreiecksbeziehung, die die Beteiligten bei genauer Betrachtung alles andere als glücklich macht, Carens traumatischen Erlebnissen und deren Folgen, ihre unterdrückte Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe, die Rolle der Medien, die Bedingungen und Grenzen des Geschichtenerzählens, Zufall, Schicksal, Bestimmung, Schuld, die Frage nach dem Warum… Und letztendlich auch um das Unmögliche. Und vielleicht ist es genau das, was die Geschichte unglaubwürdig erscheinen lässt und sie überfrachtet. Hinzu kommt, dass ich die Anfänge des philosophischen Gesprächs mit Wittgenstein einfach viel zu lang und ermüdend fand – vor allem, da in der ersten Hälfte des Buches eh kaum eine Handlung vorhanden ist.














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  9. Cover des Buches Das Verhängnis (ISBN: 9783442473502)
    Joy Fielding

    Das Verhängnis

     (369)
    Aktuelle Rezension von: xeni_590

    Das Verhängnis von Joy Fielding ist eine packende Thriller Story welche um eine Traurige Ehe zweier Menschen handelt. Die Frau versucht sich zu befreien und ja los geht die Action. Sehr spannende Story, gutes Ende, die Charaktere sind alle Mega gut Getroffen 

  10. Cover des Buches Zweistein oder Das Brummen der Welt (ISBN: 9783813506105)
    Franziska Wolffheim

    Zweistein oder Das Brummen der Welt

     (19)
    Aktuelle Rezension von: Carivos
    Zweistein oder das Brummen der Welt ist eines der schönsten Bücher, das ich in den vergangenen Jahren genossen habe. Insbesondere die wortgewandte Erzähltechnik ist außerordentlich und man versteht auf Anhieb, wie Zweistein, die Katze von nicht geringem Verstand, seine Umwelt wahrnimmt. Das Buch ist ein sprachliches Meisterwerk und für Kinder ebenso geeignet (Vorlesen am besten) wie für Erwachsene.
  11. Cover des Buches Das Glück in glücksfernen Zeiten (ISBN: 9783423139502)
    Wilhelm Genazino

    Das Glück in glücksfernen Zeiten

     (61)
    Aktuelle Rezension von: WinfriedStanzick
    Die Romane von Wilhelm Genazino kennen keine glorreichen Helden, sie beschreiben keine romantischen oder gar leidenschaftlichen Liebesbeziehungen, sie handeln nicht von den Gewinnern dieser Welt. Immer wieder richtet der Frankfurter Schriftsteller seinen literarischen Blick auf die Außenseiter, nicht unbedingt jene, die gänzlich aufgegeben und verloren außerhalb der Gesellschaft leben. Nein, seine Figuren leben mitten in der Gesellschaft, gehen einem Beruf nach, haben eine Beziehung oder sind verheiratet. Sie mühen sich alle miteinander so gut es geht um ein gutes Leben, manchmal suchen sie auch nach Sinn und fragen sich , was das nun alles soll mit dieser existentiellen Tristesse. Denn darunter leiden sie alle: ich nenne es existentielle Tristesse. So auch die Hauptfigur des neuen, vorliegenden Romans, Gerhard Warlich. Er ist promovierter Philosoph, kann das auch nie verleugnen, was seiner Lebenszufriedenheit nicht unbedingt weiterhilft, und arbeitet seit vielen Jahren als Leiter einer Wäscherei, nachdem er nach dem Studium dort als Aushilfsfahrer angefangen und ohne viel dafür zu tun, allein durch seine natürlich Intelligenz aufgestiegen ist. Es ist kein aufregendes, aber ein absolut sicheres Dasein, das er da führt. Er lebt seit langem zusammen mit Traudl, einer lebensklugen und sympathischen Frau, die Gerhard Warlich so zu nehmen gelernt hat, wie er ist. Doch als sie ihm eines Tages ihren Wunsch nach einem Kind gesteht, gerät seine ganze, doch so sicher geglaubte Existenz ins Wanken. Er weiß nicht, was er tun soll, und sein Leben gerät aus dem Gleis. Eine mit viel Ironie erzählte Geschichte. Genazino denunziert seine Figuren nicht und er liebt sie auch nicht; er beschreibt, was er beobachtet, vielleicht auch angereichert durch viele eigene Lebenserfahrungen, und was ihn beschäftigt. Er hat eine gleichsam natürliche Solidarität mit diesen schrägen Typen seiner Bücher, die Menschen, die nur auf der Sonnenseite leben und die anderen nicht sehen wollen oder können, fremd bleiben wird. So gesehen sind die Romane Genazinos nicht jedermanns Ding. Sollen sie auch nicht. Dennoch, es bleibt Hoffnung. Warlich sagt am Ende: "Eine Art Glück durchzittert mich. Offenbar kann ich, trotz allem, immer noch wählen, wie ich in Zukunft leben will." Warum er das sagt, wird nicht verraten. Wichtig ist, dass man sich entscheiden kann im Leben. Es gibt immer eine Alternative. Niemand ist der Sklave seines Schicksals.
  12. Cover des Buches Imperium (ISBN: 9783453419353)
    Robert Harris

    Imperium

     (240)
    Aktuelle Rezension von: Thilo-Hoettges

    Marcus Tullius Cicero war ein Hansdampf in allen Gassen. Ein Politiker, ein Philosoph, Jurist, Autor. In der Rennaisance hätte man ihn ein Universalgenie genannt. Und doch war Kichererbse, so sein Spitzname übersetzt, ein typisches Kind seiner Zeit.

    Von Robert Harris kannte ich vorher das Alternativwelt Buch "Vaterland", das mir sehr gefallen hat. Und seinen "Pompeii"-Roman, der mich nicht ganz so fesselte. Als ich las, dass er einen weiteren Roman über die Römerzeit geschrieben hat, war ich neugierig. Dabei hat mich "Imperium" beim ersten Lesen vor Jahren anfangs nur bedingt gepackt. Es ist eben sehr politisch, sehr viele Figuren, der Aufstieg des Helden geht nur langsam von statten. Und Cicero ist bei aller Genialität auch nicht immer nur sympathisch. Zum Glück wird die Handlung aus der Sicht seines Sklaven geschildert, der für mich viel zugänglicher war. Eigentlich wollte ich "Titan" danach nicht lesen, habe es aber doch. Und am Ende sogar auch noch "Dictator"!

    Zuerst erschien mir das etwas trocken. Heute weiß ich warum es mir trotzdem sehr gefallen hat. Denn imgrunde erzählt diese Triologie vom Zusammenbruch eines Gemeinwesens durch Korruption und Lügen. Von einer massiven Krise der Demokratie, wie wir es jetzt auch leider haben! Als hätte der Engländer Harris ein Jahrzehnt vor Brexit geahnt, was kommt. Und das hat etwas Zwingendes, was reinzieht. So kann man die Cicero-Wälzer allen empfehlen, die sich für Politik interessieren, man muss dafür nicht zwingend Römerfan sein, nur etwas Ausdauer bzw. Sitzfleisch mitbringen.

  13. Cover des Buches Kritik der reinen Vernunft (ISBN: 9783958011533)
    Immanuel Kant

    Kritik der reinen Vernunft

     (33)
    Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-Nutzer
    Ehm ... bömische Dörfer  (@_@)
  14. Cover des Buches Das Spinoza-Problem (ISBN: 9783442748778)
    Irvin D. Yalom

    Das Spinoza-Problem

     (58)
    Aktuelle Rezension von: Vera-Seidl

    "Als er schließlich von Franco keine Spur mehr erkennen konnte, trat Bento langsam von der Anlegestelle zurück und begab sich wieder in die Arme der Einsamkeit."

     

    Beiden Hauptfiguren, Bento de Espinosa und Alfred Rosenberg gesellt Irven D. Yalom einen fiktiven Freund hinzu, um die Charaktere der beiden Einzelgänger transparent werden zu lassen. 

     

    Genannter Franco stammt wie Spinozas Vorfahren aus Portugal. Wie viele andere Juden war seine Familie zum Katholizismus konvertiert. In Amsterdam hat er Schwierigkeiten mit dem Judentum und dessen dogmatischen Gesetzen. "Franco schloss die Augen. 'Ich dachte: Was ist der Unterschied zwischen diesem Spektakel und dem Spektakel - nein, ich will es geradeheraus sagen - und dem Unsinn, der während der katholischen Messe stattfand, die wir Neuchristen besuchen mussten.'"

     

    Der junge Spinoza erläutert ihm seine Ansichten. Die Thora, die Bibel sei von Menschen geschrieben, nach Mose gab es laut der Schrift keine Propheten mehr, der Mensch sei nicht nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, es gebe keine Wunder und kein Leben nach dem Tod. 

     

    Gott und die Natur seien identisch, Gott also immanent. Er sei eine ewige Substanz, deren Eigenschaften konstant blieben. "Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich begriffen wird, das heißt das, dessen Begriff, um gebildet werden zu können, den Begriff eines anderen Dinges nicht bedarf." (Die Ethik nach geometrischer Methode dargestellt)

     

    Als Religionslehrerin hatte ich mit Spinozas rationalen Ansichten ganz schön zu kämpfen. Aber gerade deshalb hat mir der Roman "Das Spinoza-Problem" so gut gefallen. 

    Natürlich war eine Aufklärung im 17. Jahrhundert und danach dringend notwendig war. Aber wie Franko am Ende feststellt, war Spinoza nicht so leidenschaftslos, wie gern wollte. 

     

    Im 21. Jahrhundert muss ich sagen, dass es mir gleich-gültig ist, ob Gott immanent oder transzendent ist. Wunder gibt es für die, die daran glauben. "Der Glaube versetzt Berge", sagt ein Sprichwort. Medizinisch könnte man auch vom Placebo-Effekt sprechen. Was das Leben nach dem Tod betrifft, gefällt mir immer noch Theodor Fontanes Gedicht "Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland" am besten, in welchem auf dem Grab des Herrn ein Birnbaum wächst und den Vorübergehenden Birnen spendet, wie es der Lebende getan hatte. 

     

    Bei Franciskus van den Enden lernt Spinoza nach dem Hebräischen die alten Sprachen und deren Sprecher kennen. Besonders dankbar bin ich Yalom, dass er mich an Epikur erinnerte. "Für Epikur war ataraxia das einzig wahre Glück. Und wie erreichen wir es? Weder durch Platons Harmonie der Seele noch durch Aristoteles' Erlangen von Vernunft, sondern schlicht durch das Ausschalten von Sorge und Furcht." Die größte Angst sei die vor dem Tod. Epikurs Rezept dagegen: "Wo Leben ist, ist kein Tod, und wo Tod ist, ist kein Leben."

     

    "Die Arme der Einsamkeit" wählte sich Spinoza selbst, so Yalom. Er wusste, welche Folge die Verbreitung seiner Ansichten haben würde. Am 27. Juli 1656 wurde er von der Amsterdamer portugiesischen Synagoge mit dem Bann, Cherem ausgeschlossen.

     

    Nur zu Franko hat er in großen Abständen Kontakt, ein Überbleibsel an Heimat und Geborgenheit. Aber auch das verliert er am Ende, als Franco, der jetzt Rabbiner ist, in die Neue Welt aufbricht, um dort das Judentum zu verändern.

     

    Für Spinoza gibt es zwei Arten von Gemeinschaft, die "die sich aneinanderschmiegen, um einander zu wärmen und sich sicher zu fühlen, und den Menschen, denen eine aufgeklärte, freudige Sicht auf die Natur oder Gott gemeinsam ist."

    Um Letzteres zu erreichen, müsse er seine "eigene Identität abwerfen, das heißt meine Bindung an mich selbst - und alles vom absolut Adäquaten und der wahren Perspektive aus betrachten."

     

    "Was geschehen ist, ist, dass ich keinen Bedarf mehr an ihren Diensten habe, Herr Oberleutnant Pfister. Kehren Sie augenblicklich auf Ihren Posten nach Berlin zurück."

     

    Das sind die letzten Worte, die Alfred Rosenberg an seinen Freund, den Psychiater Friedrich Pfister richtet, nachdem er kurz zuvor von Hitler endlich die Anerkennung erhalten hat, nach der er sich sehnte.

     

    Auch Alfred Rosenberg ist ein Einzelgänger. Aber er hat dieses Schicksal nicht selbst gewählt, so Yalom in Übereinstimmung mit seiner Figur Friedrich Pfister. Seine Mutter starb zwei Monate nach seiner Geburt, sein Vater war krank und verschied, als Alfred elf Jahre alt war. Fortan waren es zwei Tanten, die sich um den Jungen kümmerten.

     

    Schuldgefühle am Tod der Mutter werden angesprochen und noch mehr die Suche nach einem Ersatzvater. Die Gefühle der Minderwertigkeit und Schuld werden auf die Juden und Bolschewisten übertragen. Im Autor Housten Stewart Chamberlein findet Rosenberg einen Vater, den er verehren kann.

     

    Nachdem er Russland und dem Baltikum den Rücken gekehrt hat, wird Dietrich Eckart, der Chefredakteur des Völkischen Beobachters zu seinem Mentor. Ihm folgt Adolf Hitler, der ihm einen Schreibtisch schenkt und später, nach dem gescheiterten Putsch am 9. November 1923, die Führung der NSADAP überträgt.

     

    Immer wieder lässt er sich von Hitler ködern, aber in den "inneren Zirkel" gelangt er erst, als er nach dem Krieg mit 21 anderen Größen der Nazi-Zeit auf der Anklagebank sitzt. Aber im Gegensatz zu ihnen widerrief Rosenberg niemals.

     

    Die erste Beschäftigung mit Spinoza wird vom Direktor und dem Deutschlehrer der Petri-Realschule in Reval erzwungen. Aber "Das Spinoza-Problem" lässt Rosenberg nicht mehr los, bis es ihn schließlich ins Spinoza-Museum nach Rijnsburg führt. Der ERR (Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg) räumt dann das Museum, ohne die beiden Jüdinnen im Spitzboden des Hauses zu bemerken. 

     

    "Der ERR hatte ein seltsames Interesse an Spinoza. Der Mitarbeiter Rosenbergs, der Nazi, der die Bibliothek auf seinen Befehl hin plünderte, hinterließ in seinem offiziellen Bericht einen vielsagenden Satz: 'Auch diese Bibliotheken ... enthalten ausserordentlich wertvolle frühe Werke, die zur Erforschung des Spinozaproblems (sic!) von besonderer Bedeutung sind'", bekam Yalom beim Besuch des Museums zu hören. Die Inspiration für seinen Roman.

     

    Mir hat das Innenleben Spinozas in den Augen Frankos viel besser gefallen, als die psychoanalytischen Deutungen von Friedrich Pfister. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich nicht glaube, dass die Welt nicht nur aus Ursache und Wirkung besteht. Viele Physiker, angefangen bei Marie Curie, würden das bestätigen. 

     

    Für die Dramaturgie und noch mehr für das Verständnis von Spinozas Philosophie war die Geschichte Alfred Rosenbergs unerlässlich.

     

    Ich verneige mich vor Irven D. Yalom und bedanke mich herzlich.

     

    Vera Seidl

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

  15. Cover des Buches 999 - Der letzte Wächter (ISBN: 9783442476305)
    Carlo Adolfo Martigli

    999 - Der letzte Wächter

     (7)
    Aktuelle Rezension von: GaranceLovesBags
    Zur Zeit der italienischen Renaissance verfasst Pico della Mirandola 900 Thesen zu Gott und der Menschheit. Natürlich lässt die Kirche sich dies nicht gefallen und beschuldigt ihn der Ketzerei. Viel gefährlicher für die Kirche sind jedoch Mirandolas 99 geheimen Thesen - würden diese ans Licht kommen, wären die Tage der Kirche gezählt. Jahrhunderte später setzen die Nazis alles daran, in den Besitz jener Thesen zu kommen...

    Das Grundkonzept dieser Geschichte finde ich sehr interessant - ein Mann, der die Wahrheit über Gott entdeckt hat und somit das Schicksal der Kirche in der Hand hält. Außerdem die skrupellosen Nazis, die alles dafür tun würden, um an diese geheimen 99 Thesen zu gelangen. Somit wurden in "999 - Der letzte Wächter" mehrere Zeitebenen miteinander verbunden, was dem Autor auch sehr gelungen ist.

    Die Protagonisten - Pico della Mirandola und seine Freunde - sind sehr sympathisch. Die Antagonisten jedoch sind "typisch dumm" und machen viele Fehler, was ich manchmal etwas unrealistisch fand. Teils wurde das Buch für meinen Geschmack aus zu vielen verschiedenen Sichten erzählt, einige Perspektiven hätte der Autor meiner Meinung nach weglassen können.

    Die Spannung in "999 - Der letzte Wächter" war zum Ende hin sehr gut, ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Zwischendrin gab es jedoch auch langweiligere Stellen im Buch. Das Ende wirft einige Fragen auf, weswegen ich mich über einen zweiten Band oder ein aufklärendes, abschließendes Kapitel gefreut hätte.

    Ein weiterer Pluspunkt ist das schön gestaltete Cover meiner Ausgabe aus dem Goldmann Verlag.

    Fazit: Empfehlenswert für jeden, der sich für die Renaissance und die Machenschaften der Kirche zu jener Zeit interessiert.
  16. Cover des Buches Walden (ISBN: 9783150206683)
    Henry David Thoreau

    Walden

     (4)
    Aktuelle Rezension von: The iron butterfly

    Bereits 1845 entwickelte sich das Umfeld um Henry David Thoreau so schnell, dass er das Bedürfnis hatte sich zurückzuziehen. Sich zu beschränken bzw. herauszufinden, was er für ein wirklich glückliches Leben überhaupt benötigt. Wie viel Arbeit ist notwendig, um wie viel Einkommen zu erzielen, um sich welche Lebensumstände zu ermöglichen. Wie viel Nahrung wird benötigt, welche Gerätschaften…

    Im Sommer 1845 zieht er in eine selbstgebaute Blockhütte an den Walden See. Auf das Wesentliche, das Nötigste beschränkt sucht er den Kontakt zu sich, der Natur, Flora, Fauna, aber auch den Farmern oder Wanderern. Sein Geist weitet sich, seine Augen öffnen sich und er erschafft mit seinem Bericht ein umfassendes Naturgedicht. Kein Plädoyer in den Wald zu ziehen, aber viele Lesemomente, die innehalten lassen und nachdenklich stimmen.

  17. Cover des Buches Sämtliche Werke, hrsg. von Ursula Wolf. Band 2 (ISBN: 9783499555626)
  18. Cover des Buches Philosophisches Lesebuch (ISBN: 9783596161652)
    Hans-Georg Gadamer

    Philosophisches Lesebuch

     (6)
    Noch keine Rezension vorhanden
  19. Cover des Buches Leonardo da Vinci (ISBN: 9783596522385)
    Charles Nicholl

    Leonardo da Vinci

     (14)
    Noch keine Rezension vorhanden
  20. Cover des Buches Die Welt ist im Kopf (ISBN: 9783257601121)
    Christoph Poschenrieder

    Die Welt ist im Kopf

     (56)
    Aktuelle Rezension von: caro_lin

    Am Anfang mochte ich es sofort, da der Schreibstil genau meinem Geschmack entspricht. Es wurde dann aber durch die vielen unterschiedlichen Perspektiven schnell unübersichtlich und auch langweilig. Viele der Erzählstränge wurde für mich nicht ausreichend weitergeführt. Ich habe sehr lange gebraucht, fand es aber letzlich doch ganz nett und habe es gegen Ende auch wieder lieber gelesen, als im Mittelteil.

  21. Cover des Buches Die Wörter (ISBN: 9783518016503)
    Jean-Paul Sartre

    Die Wörter

     (55)
    Aktuelle Rezension von: annepei
    "Die Bücherei war die Welt im Spiegel; sie hatte deren unendliche Dichte, Vielfalt, Unvorhersehbarkeit."
    .

    Jean-Paul Sartre berichtet hier autobiographisch von seiner Kindheit, die er hauptsächlich bei seiner Mutter und deren Eltern verbrachte. Sein Großvater ist Lehrer und leitet den jungen Sartre früh an die Literatur und bringt ihn so unbeabsichtigt auch zu dem Berufswunsch Schriftsteller.
    .
    Das Buch zu lesen, kann durch die intellektuelle, teilweise hochtrabende und mit Anspielungen gespickte Schreibweise anstrengend sein, aber ich hatte das Gefühl, dass es sich lohnt. Es gibt viele interessante Denkansätze zur Literatur und auch zu Sartre selbst, denn er glorifiziert seine Kindheit nicht nachträglich, sondern analysiert sich selbst und seine Lebensumstände. Das Buch ist also auch allen zu empfehlen, die mehr über Sartre als Person erfahren wollen.
    .
    Bewertung: 📝📝📝📝
  22. Cover des Buches Das Lob der Torheit (ISBN: 9783328108023)
    Erasmus von Rotterdam

    Das Lob der Torheit

     (26)
    Aktuelle Rezension von: Günter Landsberger
    Erasmus von Rotterdam: „Das Lob der Torheit / ENCOMIUM MORIAE“, übs. und hrsg. von Anton j. Gail, Reclam UB1907/08, Stuttgart 1969 Vor zwei Wochen ist dieses erstmals im Jahre 1509 veröffentlichte Buch des großen Humanisten Erasmus von Rotterdam, das im Original naheliegenderweise in der Humanistensprache Latein abgefasst worden ist, zu meinem Buch der Woche geworden. Schon vom Titel her. Spätestens jedoch auf der Seite 68, auf der ganz aktuell zu lesen war und ist: „Was wiegt schon die Stimme der paar Klugen gegen einen solchen Haufen? Noch gerissener machen es die Plagiatoren, die den Ruhm fremder Lebensarbeit mit einigen Worten sich selbst zuwenden und sich eine Weile Gewinn davon versprechen, wenn sie auch noch so eindeutig des Plagiats überführt werden. Man muß es gesehen haben, wie sie sich in öffentlicher Anerkennung gefallen und mit dem Finger auf sich weisen lassen: „Das ist der berühmte Mann!““ Von einer speziellen Aktualität betr. Herrn zu Guttenbergs natürlich noch nichts ahnend hatten wir uns vor vier / fünf Wochen in unserem privaten Literaturkreis darauf verständigt, genau dieses Reclambändchen zu lesen und bei unserer nächsten Zusammenkunft am 28. 02. 2011 zu besprechen. So wenig umfangreich und so berühmt diese Schrift des Erasmus auch ist, einigen unserer siebenköpfigen Erwachsenengruppe machte sie zunächst doch Schwierigkeiten. Verständlich. Heute fehlt es eben doch etwas zu sehr an der geläufigen Kenntnis der antiken Götterwelt in all ihren Verästelungen, auf die ganz selbstverständlich und immer wieder bei Erasmus angespielt wird. - Nun bietet zwar die Reclamausgabe durchweg eine ganze Reihe von Anmerkungen an; für die meisten von uns war es dennoch zu ermüdend, diese immer wieder eigens nachschlagen und nachlesen zu sollen. Ein Ehepaar kam schließlich auf die gute Idee, sich zunächst das - wie sich alsbald herausstellte - „sehr gut lesbare“ biographische Erasmus-Buch von Stefan Zweig zu besorgen, durch das ihnen einerseits der für sie unerlässliche biographische und historische Kontext zu Erasmus vermittelt wurde und durch das sie andererseits immer wieder nachdrücklich auf die Schrift „Das Lob der Torheit“ geradezu neugierig gemacht wurden. Und so war die Voraussetzung für sie gewonnen, unser Reclam-Bändchen mit Gewinn zu lesen. Warum diese Schrift des Erasmus nie auf dem katholischen Index gestanden hat, fragten sie sich. Ob dabei entscheidend war, dass Erasmus durchgängig die personifizierte Torheit selber sprechen (und sich selber loben) lässt und er deshalb für die Worte der offensichtlichen Rollenfigur nicht so ohne weiteres selber haftbar gemacht werden konnte und kann? Oder ob es noch wichtiger für die Kirche war, dass er, der schon berühmte Erasmus, sich nicht auf die Seite der Reformation geschlagen hat?
  23. Cover des Buches Geschlossene Gesellschaft (ISBN: 9783499157691)
    Jean-Paul Sartre

    Geschlossene Gesellschaft

     (293)
    Aktuelle Rezension von: nana_what_else



    … die Hölle, das sind die anderen.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 59


    Das sagt der Verlag: Geschlossene Gesellschaft: Drei Personen, die im Leben einander nie begegnet sind, werden nach ihrem Tod für alle Ewigkeit in einem Hotelzimmer zusammen sein. Das ist die Hölle.


    Aufmachen! Aufmachen! Ich nehme alles hin: Beinschrauben, Zangen, flüssiges Blei, Halseisen, alles, was brennt, alles, was quält, ich will richtig leiden. Lieber hundert Stiche, lieber Peitsche, Vitriol als dieses abstrakte Leiden, dieses Schattenleiden, das einen streift, das einen streichelt und das niemals richtig weh tut.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seiten 54-55


    Persönlicher Leseeindruck: L’enfer, c’est les autres. Die Hölle, das sind die anderen. Auch, wenn ich mir als Agnostikerin mit Tendenz zu Wurschtigkeit/Frust gegenüber religiösen Themen nicht viele Gedanken darüber mache, was auf uns zukommt, wenn wir erstmal über die Regenbogenbrücke gegangen sind, den Löffel abgegeben, das Zeitliche gesegnet, ins Gras gebissen und schlussendlich die Radieschen von unten betrachtet haben, hat den nie-müden Ungustl in mir dieses Zitat immer auf verdrehte Weise angesprochen. Als Österreicher/in bekommt man das misanthrope Grantler-Gen ja praktisch frei Haus mitgeliefert und deshalb schien’s – nachdem mir diese eine Zeile immer wieder in der Zeitung, in Podcasts, Träumen und dem Kaffeesatz unterkam und ich mich irgendwann beim Sehen der Nachrichten dabei erwischt habe, wie ich sie passiv-aggressiv wie ein Mantra vor mich hinmurmelte – quasi meine heilige Pflicht zu sein, den Text, aus dem diese weisen Worte stammen, mal genauer unter die Lupe zu nehmen.

    Scherz beiseite. Ich wollte mich schon seit Ewigkeiten etwas genauer mit Sartre befassen und wann ließe sich ein Text mit dem Titel „Geschlossene Gesellschaft“ wohl besser lesen als während einer globalen Quarantäne?


    Wir nämlich machen die Augenlider auf und zu. Zwinkern nannte man das. Ein kleiner schwarzer Blitz, Vorhang zu, Vorhang auf: Das war die Unterbrechung. Das Auge wird feucht, die Welt verschwindet. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erholsam das war. Viertausend Pausen in einer Stunde. Viertausend kleine Fluchten.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seiten 13-14




    Das Stück kommt erwartungsgemäß mit sehr überschaubarem Personal aus: Inés, Estelle und Garcin sind die verblichenen ProtagonistInnen, die nach und nach von einem höflich-distanzierten Kellner in das Hotelzimmer geführt werden, welches die wiederum recht kleine, aber außergewöhnliche Bühne für die gesamte Handlung darstellt.


    Kurz, es fehlt hier jemand: der Folterknecht.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 28


    Ein fensterloser Raum, drei verschiedenfarbige Sofas – hellblau, spinatgrün und bordeauxrot, eine Büste, keine Spiegel, eine verschlossene Tür samt Klingel, die nicht funktioniert. Das Zimmer enthält praktisch nichts, was Zerstreuung bieten könnte. Wie trostlos und qualvoll eine Ewigkeit in solch kargem Umfeld ist, geht den drei Verdammten jedoch nicht gleich auf: Denn zunächst warten sie noch getrieben und verzweifelt auf das Erscheinen eines Folterknechts. Den jedoch scheint es nicht zu geben; Inès, Estelle und Garcin sind einander fortan die einzige Gesellschaft und langsam kommt die höllische Ménage-à-trois zu der Erkenntnis:

    Die Hölle, das sind die anderen. Nicht, wegen der Gräueltaten, die sie begehen oder weil das ewige Aufeinanderhocken, von dem es kein Entrinnen gibt, irgendwann unerträglich wird. Sondern deshalb, weil wir uns nur erkennen, wenn andere Augen uns sehen. Das Bild, das andere von uns haben, ist der Rahmen, in dem wir unser Leben leben und erleiden, ein Gefängnis zu Lebzeiten und danach.


    Man stirbt immer zu früh – oder zu spät. Und nun liegt das Leben da, abgeschlossen; der Strich ist gezogen, fehlt nur noch die Summe. Du bist nichts andres als dein Leben.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 57



    Ist man, wenn man von anderen nicht wahrgenommen wird? Kann man etwas anderes sein, als das, was die anderen in einem sehen?

    Besonders schön finde ich, dass in der Rowohlt Ausgabe das gesprochene Vorwort zur Schallplattenaufnahme abgedruckt ist, in der Sartre mit Missinterpretationen aufräumt: „Man glaubte, ich wolle damit sagen, dass unsere Beziehungen zu andren immer vergiftet sind, dass es immer teuflische Beziehungen sind. Es ist aber etwas ganz anderes, was ich sagen will. Ich will sagen, wenn die Beziehungen zu andern verquer, vertrackt sind, dann kann der andre nur die Hölle sein. Warum? Weil die andren im Grunde das Wichtigste in uns selbst sind für unsere eigene Kenntnis von uns selbst. Wenn wir über uns nachdenken, wenn wir versuchen, uns zu erkennen, benutzen wir im Grunde Kenntnisse, die die andern über uns schon haben. Wir beurteilen uns mit den Mitteln, die die andern haben, uns zu unserer Beurteilung gegeben haben. Was ich auch über mich sage, immer spielt das Urteil anderer hinein. Was ich auch in mir fühle, das Urteil andrer spielt hinein, Das bedeutet, wenn meine Beziehungen schlecht sind, begebe ich mich in die totale Abhängigkeit von andren. Und dann bin ich tatsächlich in der Hölle.“ (Seite 61)


    Wir sind in der Hölle, meine Kleine, es kommt nie ein Versehen vor,

    und die Leute werden niemals für nichts verdammt.

    Aus: Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre, Seite 27


    Fazit: Wir sehen in uns, was andere uns sehen lassen. Jean-Paul Sartres Stück ist ein kurzweiliges und intensives Lesevergnügen mit viel Tiefgang und einer Botschaft, die nie aktueller war als heute.


    Geschlossene Gesellschaft von Jean Paul Sartre. Stück in einem Akt.

    Originaltitel: Huis clos | Übersetzung: Traugott König | Taschenbuch, 75 Seiten

    Rowohlt Taschenbuch | ISBN: 978-3-499-15769-1

  24. Cover des Buches Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin (ISBN: 9783314103827)
    Pei-Yu Chang

    Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin

     (5)
    Aktuelle Rezension von: Kinderbuchkiste
    Nach einer wahren Geschichte
    über den Philosophen Walter Benjamin

    Ein Bilderbuch für Kinder ab 5-6 Jahren +
    gut auch für den Unterricht an Grund-und Weiterführenden Schulen

    Bevor ich dieses Buch vorstelle möchte ich zunächst einmal den Philosophen Walter Benjamin und die Erzählerin und Illustratorin dieser Geschichte, Pei-Yu Chang vorstellen.
    *
    Ich denke es ist sehr wichtig diese beiden Personen vor dem Lesen der Geschichte kennen zu lernen um ein Verständnis für das Buch entwickeln zu können bzw. einen Zugang zu finden.
    *
    Walter Benjamin
    geboren wurde Walter Bendix Schönflies Benjamin am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Wie der Nachname Benjamin vermuten lässt eine jüdische Familie. Eine bürgerliche Familie.
    Sein Onkel war der berühmte Kinderpsychologe William Stern, der heute vor allem durch sein Konzept des IQ ( Intelligenzquotient) bekannt ist.
    Vom13.bis 15 Lebensjahr besuchte er eine Reformschule in Thüringen, kehrte dann nach Berlin zurück wo er dann später sein Abitur machte . 1912  ging er zum  Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Germanistik nach Freiburg, kam dann aber zurück nach Berlin um seine Studien fortzusetzten. Es folgte ein Aufenthalt in Frankfurt wo er Theodor Adorno kennen lernte, der ihm zum engen Freund wurde. Paris war eine weitere Station. Dorthin kehrte er  dann auch zurück als er 1933 ins Exil gehen musste. Als Kriegsflüchtling interniert kommt er 1939 aus der Haft. 1940 flüchtete er über Lourdes nach Marseille um  von dort mit Hilfe von Lisa Fitko ( siehe unserem Bilderbuch)  irgendwie nach Spanien zu gelangen mit dem weiteren Ziel USA.
    Künstler, Anwälte, Schriftsteller und andere machten sich mit ihm unter Führung von Lisa Fitko auf den Weg.
    Dabei hatte er den geheimnisvollen schweren Koffer, der ihm mehr bedeutete als sein Leben.
    Bis heute ist nicht geklärt wieso ihm dieser Koffer so viel wert war und was sich darin befand. Er gilt  bis heute als verschollen.
    Im September 1940 nahm er sich, so heißt es, auf der Flucht , vor den Nazis , das Leben.  War der Herzkranke zu schwach für die  weitere Flucht?  War es ein Opfer um einem anderen die Flucht zu ermöglichen? Es soll einen Abschiedsbrief an seinen Freund Adorno geben der dieses belegt. Es wird bis heute dennoch viel gerätselt und spekuliert. Sogar ein Film erzählt von Benjamins  mysteriösem Tod / Verschwinden.
    In den 1930er Jahren begann er kleine Erzählungen zu verfassen, in denen er seine Kindheit rückblickend betrachtet. Diese Erzählungen der Kindheit bot er verschiedenen Verlagen an, die jedoch kein Interesse zeigten.
    Sein Freund Adorno publizierte posthum 1950 erste Fragmente, die er selbst zusammen getragen hatte da das original Manuskript als verschollen galt.
    Erst 1987 fand man dieses.
    Weggefährte für einige Zeit waren Berthold Brecht und Hanna Arendt.
    Walter Benjamin war ein Philosoph, Denker und auch Quergeist.
    Ein viel interessierter, sehr intellektueller Geist der Spaß daran hatte neue Wege zu gehen. z B. arbeitete er für den Rundfunk. Ein Medium, dass damals noch in den Anfängen steckte. Man mag es kaum glauben es gab schon den Kinderfunk, den er mit eigenen Sendungen gestaltete, und mit selbst geschriebenen Erzählungen aber auch Buchtipps bereicherte.
    Es scheint, als sein ihm klar gewesen, dass man die Gesellschaft nur ändern kann wenn man den Kindern die richtigen Botschaften vermittelt.
    Vielleicht war er irgendwie immer auch Kind geblieben? Neugierig wie ein Kind, der noch dazu leidenschaftlich Spielzeug sammelte.
    Und so schließt sich vielleicht auch der Kreis zu diesem Buch.
    Mit Sicherheit hätte es ihm gefallen, dieses BilderBuch der Chinesin Pei-Yu Chang.
    *
    Pei-Yu Chang
    ist Germanistin und   Illustratorin mit  Wurzeln in Taiwan
    Sie wurde 1979 in Teipe geboren, wo sie Germanistik, die Deutsche Sprache, Literatur und Kultur studierte.
    Um zu promovieren kam sie nach Deutschland. Genauer gesagt nach Münster.
    Ein Kommunikationsdesign -Studium  Schwerpunkt Illustration schloss sich an.
    Den Abschluss bildet nun dieses Buch.
    "Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin"
    Ihre Abschlussarbeit bei Professor Felix Scheinberger, Uni Münster
    *

    Wie kam Pei-Yu Chang auf die Idee zu diesem Buch?
    Als sie in Marbach das  Literatur Museum der Moderne besuchte entdeckte sie einen Koffer.
     Ein leerer Koffer in dem ein kleiner Zettellag.
    Dieses Exponat weckte ihre Neugier.
    Von Adorno und Benjamin hatte sie bereits gehört nun stand da dieser Koffer.
    Sie begann zu recherchieren wobei sie später sagte, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema mehr Zeit in Anspruch genommen hat als die anschließende Umsetzung.
    Pei-Yu Chang wollte, gerade auch wegen der aktuellen Flüchtlingsproblematik, ein Buch über Flucht machen. Dabei jedoch nicht die zur Zeit gängigen Flüchtlingsthemen darstellen, sondern sich den Menschen und ihren Schicksalen widmen. Jeder der flüchtet hat ein Schicksal, das ihn veranlasst seinen Heimat zu verlassen. So wie die Menschen, die sich Lisa Fitko anschlossen.
    Es ist ihr gelungen ein sehr außergewöhnliches Bilderbuch zu schaffen.
    *
    Ein BilderBuch mit unglaublich ausdrucksstarker Bildsprache, freundlich, manchmal befremdlich, aber nie extrem beängstigend.
    Das Format etwas breiter gewählt als das der meisten Bilderbücher schon etwas besonderes. 
    Die Doppelseiten sind mit den kleinen Illustrationen und Collagen gefüllt die im starken Kontrast zu sehr großen Darstellungen kombiniert werden. Gleichzeitig finden wir immer auch einen sehr leeren Bereich. Pei-Yu Chang ist es wichtig Raum der Interpretation, der eigenen Gedanken die beim Betrachten aufkommen  zulassen. Ein Stil dem sich auch viele chinesische Illustratoren und traditionelle Maler bedienen. Vielleicht ist hier die Verbindung des Asiatischen zum Europäischen?
    Der Text fügt sich  auch rein optisch in das Bild ein. Sie spielt mit den Wörtern und ihrer Darstellung. Verwendet unterschiedliche Schrifttypen und Größen. Lässt sie starr und flexibel wirken je nach dem Inhalt der vermittelt werden soll.
    Sie illustriert die Schrift. Wechselt zwischen gedruckten, gemalten, ausgestellten Buchstabenhin und her so dass der Text seine eigene Geschichte erzählt mit einer ganz individuellen Wirkung.
    So gibt es zum Beispiel einen Dialog zwischen Frau Fitko und Herrn Benjamin als sie die Berge  besteigen. So wie die Berge hoch und runter gehen so steigen die Wörter schräg an und gehen ein anderes mal schräg runter.
    Seiten später wird die Gerüchte Küche angeheizt. Man erzählt sich etwas über den seltsamen Mann mit dem seltsamen Koffer. Ein Dialog via Telefon wird  in Wortschnipseln die wie aus einer Zeitung ausgeschnitten wirken visualisiert.
    Viele Darstellungen vor allem die der Häuser wirken im ersten Moment  simpel,naiv, spiegeln aber das kindlich naive sowohl der Zielgruppe als auch Benjamins selbst wieder.
    Das wird auch in einer weiteren Illustration deutlich. Hier steht Herr Benjamin in einer Gasse. Rechts und links Geschäfte er aber steht nicht etwa  vor einen Buchladen, nein er steht vor einem Spielzeuggeschäft. Mit den wieder sowohl die Zielgruppe der jungen Leser mit ins Boot geholt werden als auch Benjamins reale Leidenschaft für Spielzeug.
    Gekonnt lässt sie Benjamins realen Charakter, Leben, Träume, Wünsche ,Leidenschaften visuell gestalterisch einfließen.
    Pei-Yu Chang verbindet Zeichnungen, mit ausgeschnittenen Elementen, die wieder zu einem neuen Objekt zusammengesetzt werden. Collagen mit Zeichnungen. Dabei spielt sie so ganz nebenbei auch noch mit den Farben. Nie schrill,  warm aber der Situation angepasst auch mal sehr kühl mit viel Schwarz.
    Zu Beginn sehen wir Herrn Benjamin, einem nachdenklich aber sehr freundlich wirkenden Mann mit wirren Haaren in denkender Position.
    Jemand der die Geschichte nicht kennt wird eine ehr fröhliche Geschichte  vermuten. Blättert man um verlagert man beim Betrachten automatisch die Körperhaltung. Rückt etwas vom Bild weg als wolle man es mit etwas Abstand betrachten um die übergroßen, breiten, drei dunklen Männer in Uniform besser / klarer erkennen zu können. Gleichzeitig durchfährt einen der Gedanke:
    " Was wollen die denn hier?"
    Damit hatte man nicht gerechnet. Es ist auch ein Überfall auf den Betrachter.
    Auch die nächste Doppelseite ist nicht wesentlich freundlicher. Viele kleine Soldaten mit Gewehren und viele kleine schemenhafte Menschengestalten ,die die Arme hoch halten und aus ihren naiv wirkenden Häusern herausgeführt werden.
    Freundlicher wird es auf der nächsten Seite. Gefolgt von zwei Seiten der scheinbaren Neutralität In der Wirkung.
    Die Wirkung der Illustrationen schwankt je nach Inhalt der Geschichte, wirkt aber im weiteren Verlauf  nie völlig bedrohlich. Zum Ende hin sogar zuversichtlich.
    Denn hier werden Herr Benjamin und Frau Fitko vorgestellt, die es ja wirklich gab.
    Die Leser erfahren etwas zu den beiden Personen.
    Ja, und ganz zum Schluss auch noch über die Erzählerin und Illustratorin dieser Geschichte, die sich selbst nicht real zeichnet sondern angepasst an die Figuren der Geschichte wobei ihre Jacke das Muster und die Farben des Inneren des Koffers gleicht.
    *
    Ich habe selten ein Buch gesehen in dem Geschichte, Intention,Text und Darstellung so in einander verwoben sind. Pei-Yu Chang hat ihr ganzes Wissen über Herrn Benjamin, die beteiligten Personen und die Geschichte mit dem Koffer  in ein Gesamtkunstwerk transportiert, das viel mehr erzählt als nur eine Geschichte.
    *
    Jetzt habe ich so viel über die Personen und Darstellungen erzählt aber noch nichts über die eigentliche Geschichte.
    Das hole ich nun nach.
    Die Geschichte vom geheimnisvollen Koffer des Herrn Benjamin.
    Eine wahre Geschichte über den Philosophen Walter Benjamin.
    *
    Im Vorsatz blicken wir auf das Innere eines Koffers, ausgeschlagen mit gelbem, rot grün kariertem  Stoff . Braune Schnallen zieren dieses Bild.
    Dieses Bild führt uns unweigerlich in die Geschichte hinein., die Pei-Yu Chang leicht verständlich erzählt.
    Das sie dabei ihre Illustrationen mit dem Text verwebt erzählte ich bereits.
    Es beginnt mit der Schilderung der Ausgangssituation. Viele kluge Leute denken über die Welt in der sie leben nach. Überlegen wie sie besser  oder wie das Leben reicher werden könnte.
    Bildende und darstellende Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Philosophen so wie Herr Benjamin, der Mann mit dem großen schwarzen Hut und dem roten großen Koffer.
    Das wird aber zu der Zeit von dem Regime in diesem Staat nicht gewollt. Alle die frei ihre Meinung sagen wollten und dafür einstanden wurden verfolgt. Von Soldaten gefangen genommen und ins Gefängnis/Lager gebracht.
    Zu dieser Zeit hatten viele Leute Angst inhaftiert zu werden und versuchten aus diesem Land zu fliehen.
     Das war gar nicht so einfach. Erfuhren die Soldaten von den Fluchtideen verhafteten sie die Menschen. Daher musste alles heimlich geschehen.
    Es gab aber immer wieder Menschen, die sich gut aus kannten und anderen dabei halfen zu fliehen.
    Der Philosoph Herr Benjamin wollte eigentlich sein Land nicht verlassen fürchtete aber irgendwann um sein Leben und entschied sich  dann doch zur Flucht. Frau Fitko, war eine Frau, die man auch Widerstandskämpferinnen nannte. Sie verhalf vielen, vielen Leuten zur Flucht. Sie zeigte ihnen den Weg und begleitete sie so weit es möglich war.
    So auch einer Gruppe von Menschen zu der Herr Benjamin zählte.
    Schon vor dem eigentlichen Termin trafen sie sich um Details zu besprechen. Frau Fitko wies alle darauf hin, möglichst dunkle Kleidung zu tragen und wenig Gepäck, da der Weg lang und beschwerlich war und man seine Kraft nicht mit schwerem Gepäck vergeuden solle.
    Dennoch hielt sich Herr Benjamin nicht an den Rat und kam mit einem großen roten Koffer zum vereinbartem Treffpunkt.
    Er weigerte sich beharrlich den Koffer da zu lassen, denn er bedeutete ihm mehr wies ein Leben.
    So schleppte er ihn den weiten Weg über die Berge. Das Ziel war schon zu sehen als ......................
    Keiner wusste wo der Koffer abgeblieben war.
    Jahre später noch erzählte man sich die Geschichte des Herrn Benjamin mit dem geheimnisvollem Koffer. Der eine wusste zu berichten, dass Mutters gute, leckere Marmelade darin gewesen ist. Andere wiederum meinten zu wissen, dass das Manuskript für ein besonders Buch darin gelegen haben muss.
    Was sich wirklich in dem Koffer verbarg wird ein ewiges Geheimnis bleiben.
    *
    Eine Geschichte, ein Stück deutscher Zeitgeschichte, die uns die Nazi Zeit näher bringt. Im Vordergrund jedoch vermittelt sie die Geschichte des etwas kautzig, verschroben, eigenwillig aber auch warmherzig wirkenden Philosophen, den wir, so skurill er auch sein mag gleich ins Herz schließen. Das wiederum liegt wohl vor allem an der bildlichen Darstellung, die uns gleich zu Beginn, schon auf dem Buchcover entgegen blickt.
    *
    Ob solch ein Thema etwas für Kinder ist?
    Diese Frage werden sich sicherlich viele Erwachsene stellen.
    Ich denke ja, aber nicht wie vom Verlag empfohlen schon für 4 jährige.
    Wir haben viel zu wenig anspruchsvolle Bilderbücher für ältere Kinder ab 6 Jahren. Hier sehe ich das Buch.
    Doch wie so oft wollte ich es genauer wissen.
    Wie vreagieren4 jährige Kinder, wie 6-8Jährige und was ist mit dennoch älteren und den Jugendlichen?
    Dieser Frage bin ich in den letzten Wochen nach gegangen.
    *
    Eine mutige Erzieherin einer Kindertagesstätte ermöglichte es mir mit 4-5 jährigen Kindern das Buch zu betrachten.
    Da wir uns klar darüber waren, dass die Kinder davon zuhause berichten würden, luden wir die Eltern zu einer Vorab Buchvorstellung ein.
    Es kamen 26 interessierte Eltern, denen wir  an einem Abend 12 Bücher vorstellten, die in der nächsten Zeit mit den Kindern gelesen und bearbeitet werden sollten.
    Darunter eben auch dieses Buch.
    14 Elternlehnten das Buch Grund weg ab. Damit sollten sich ihre Kinder nicht auseinander setzten. Die anderen 12 waren interessiert fragten teilweise sogar ob sie bei der Nachbereitung helfen könnten.
    Letztendlich waren es an diesem Tag dann 9 Kinder die wir in unser Lesezelt einluden.
    Schnell stellten wir fest, dass sie entweder unverständlich oder verängstigt die Bilder verfolgten. Auf den Text reagierten sie kaum. Abbrechen war für uns keine Option um auch die Kinder nicht zu verunsichern, so ließen wir die Kinder erzählen was sie sahen und wie sie die Geschichte erleben.
    Der Kommentar des einen Kindes veranlasste das nächste Kind zu erzählen und so kamen wir der Geschichte ganz ohne Text sehr nahe. Dabei spielte der ein oder andere Mediale Erfahrungsschatz einiger Kinder  bei der Interpretation der Bilder mit, insbesondere der Szenen mit den Soldaten und Gewehren.
    Nicht alle wussten was Gewehre sind.
    *
    Was haben wir Erwachsene aus dieser "Lesung" mitgenommen?
    Auf jeden Fall, dass dieses Buch für unsere 4-5 Jährigen nur bedingt geeignet war. Sehr positiv hingegen die vielfältigen Möglichkeiten Sprachkompetenzen zu entwickeln.
    Auf der philosophischen Ebene und der Botschaft der Geschichte wirkte nicht alles.
    *
    Ganz anders hingegen war es als wir das Buch in der 2.Klasse einer Grundschule vorlasen.
    Die Kinder im Alter zwischen 6 und 8 Jahren verstanden die Botschaft sehr genau. Konnten Vergleiche aufstellen und ihre Eindrücke und Gedanken dazu sehr genau äußern.
    Ihnen gefiel das Buch sehr gut, vielleicht auch gerade deshalb weil man ihnen zu traute diese Geschichte zu verstehen.
    Ein Junge formulierte es so:" Ich finde das toll das wir das Buch gelesen haben. Mein großer Bruder ist in der 10 da haben sie über den Krieg gesprochen und die Judenverfolgung aber mein Papa hat gesagt er soll so etwas nicht erzählen wenn ich am Tisch sitze weil ich dafür zu klein sei. Das fand ich doof. Ihr habt mit uns das Buch gelesen da habt ihr doch bestimmt gedacht das ist schon was für unser Alter."
    Solche Äußerungen hörten wir häufig.
    Fazit dieser Lesung, die zur Einführung eines ganzen Wochenprojektes zum Thema  Krieg und Flucht diente:
    Die Kinder waren bis auf wenige Ausnahmen sehr angetan von dem Buch. Bei den Mädchen gab es einige die sagten: "Das find ich doof!"
    Alle verstanden den Inhalt der Geschichte und konnten ihn reflektiert betrachten.
    *
    Blieb die Gruppe der Älteren / Jugendlichen
    Wir übergaben das Buch einem Philosophie Lehrer an einem Gymnasium Klasse 12.
    Wir überließen ihm die Arbeit und beobachteten.
    Was wir erlebten war sehr beeindruckend.
    Ausnahmslos alle 18 Schüler/innen fanden das Buch, die Darstellungsform und die Umsetzung grandios. Sie waren beeindruckt von der Wirkung der Bilder in Kombination mit dem Text. Sie analysierten, hinterfragten, diskutierten, nahmen dass Buch als Einstieg in eigene Recherchen zu Walter Benjamin und Theodor Adorno.
    Keiner hätte vorher gedacht, dass es ein Bilderbuch gibt, das auch Jugendliche und Erwachsene anspricht.
    *
    Die Erfahrungen mit diesem Buch waren sehr bereichernd für uns.
    Wir haben Diskussionen und Gespräche mit Tiefe erlebt, die zeigen, dass es schade ist dass e ssoooo wenig
     Vergleichbares gibt.
    Also ihr Bilderbuchmacher und Illustratoren ja und natürlich Pei-Yu Chang,
    bitte mehr !!

    Es bleibt zu hoffen, dass es viele Eltern gibt, die mit ihren Kindern diese Geschichte lesen und entdecken.

    Ein ganz großer Dank geht an Pei-Yu-Chang, die mit soviel Liebe und Hingabe dieses wunderbare Buch geschaffen hat und uns so ein Stück deutscher Zeitgeschichte näher gebracht hat.
    Danke!

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