Bücher mit dem Tag "kremayr & scheriau"
18 Bücher
- Simone Hirth
Bananama
(25)Aktuelle Rezension von: sursulapitschiDieses Buch ist eine gute Idee, ein bisschen Poesie und eine böse Überraschung.
Hier erzählt ein Mädchen im Grundschulalter von ihrem Leben in einer Aussteigerfamilie. Ihre Eltern wünschen sich ein ursprüngliches, naturnahes Leben und haben dazu ein Haus im Wald bezogen, das sie Bananama nennen. Dort leben sie abseits der Gesellschaft, lassen ihren Gemüsegarten verwildern und bestellen ökologisch einwandfreie Artikel im Internet.
Sie würde gerne zur Schule gehen, Schokolade essen und Freunde haben, aber all das halten ihre Eltern für schädlich.
Anrührend und eigentümlich poetisch lässt einen dieses kleine Mädchen an seinen Gedanken teilhaben. Die Sprache ist naiv, aber die Gedanken sehr klug. Sie hinterfragt alles und ordnet es ein: „Was ich mir wünsche“ - „Was Vater mir beibringt“.
Mit feiner Ironie wird hier über das ideale Leben und alternative Lebensmodelle philosophiert, gestichelt, kritisiert, bis dann die Ironie kippt und in Sarkasmus übergeht.
Der letzte Teil des Buches ist geradezu absurd. Ich verstehe den Gedanken dahinter, es verstört, schockiert und ist natürlich auch tiefsinnig und kunstvoll. Dennoch landet eine feinsinnige, sorgfältig vorbereitete Gesellschaftskritik hier mit einem Krachen in der Tonne. Schade um ein schön angelegtes Buch mit guter Idee. Das hätte man eleganter lösen können.
- Marianne Jungmaier
Sommernomaden
(17)Aktuelle Rezension von: LiberteToujoursDie Erzählerin hat nirgendwo eine Heimat. Was aber auch dazu führt, dass sie überall zuhause ist. Getrieben und rastlos jagt sie von einem Land ins nächste, auf der Suche nach irgendwas, von dem sie wahrscheinlich selbst nicht genau weiß, was das ist..
Puh. Mir ist glaube ich schon lange keine Rezension so schwer gefallen. An einigen Stellen hatte ich das Gefühl, zwei verschiedene Bücher im selben Einband in der Hand zu halten - denn so fantastisch die eine Hälfte der Kapitel war, so langweilig und unnötig empfand ich die andere Hälfte.
Das einzige was mich von dieser Vermutung abbringen konnte war der Schreibstil - denn der blieb durchgehend auf einem hohen Niveau, sehr bildhaft, ja fast ein bisschen poetisch.
Ich habe allerdings durchaus ein Muster feststellen können - denn ob mir ein Kapitel gefallen hat oder nicht hing selten von den Ländern und deren Beschreibungen ab. Darum geht es hier nämlich eigentlich auch nur am Rande. Viel mehr geht es um den Selbstfindungsversuch eines Menschen. Wir beobachten einen Weg.
Gefallen hat er mir immer dann, wenn ich das Gefühl hatte etwas authentisches zu lesen. Wenn es mir so vorkam als hätte die Protagonistin sich endlich einmal eingestanden wie sie wirklich ist.
Die Kapitel in denen sie auf Biegen und Brechen versucht hat, ihre Unabhängigkeit zur Schau zu stellen konnten mich hingegen nicht packen. Das erschien mir einfach zu gewollt - und eben auch nicht ganz wahr. Denn, wir können so frei sein, wie wir wollen. An irgendwas hängt unser aller Herz - und das ist doch auch eigentlich gut so.
Auch das Ende ringt mir leider nur ein Zähneknirschen ab - zwar fand ich es schön, dass wir im selben Land enden, in dem wir begonnen haben (das macht die Sache wundervoll rund), allerdings fand ich es schade, dass so viele Fragen offen bleiben. Mir kam das Ende dann einfach einen Ticken zu plötzlich.
Für mich also ein glatter Schuss in die Mitte - zum Teil Großartig und zum Teil eben gar nicht. - Andrea Stift-Laube
Die Stierin
(17)Aktuelle Rezension von: elane_eodain»Ich gehe nach Hause, an meinem Berg vorbei. Vielleicht gehen wir einen kleinen Moment lang nebeneinander her, der Berg und ich, wer weiß das schon in Zeiten wie diesen.«
INHALT: Maeve, die Besitzerin eines kleinen Käseladens, führt ein zurückgezogenes und fremdbestimmtes Leben durch einen Mann, der viel verlangt, aber wenig gibt. Bis eines Tages eine schwarzgekleidete Frau ihren Laden betritt und mit sich einen Mythos in die Gegenwart bringt.
GEDANKEN: Ein wenig verwirrend wirkt die Geschichte anfangs, da man die immer wiederkehrenden Passagen des Chors noch nicht einzuschätzen vermag. Seite für Seite wird das Bild klarer, dabei zwar nicht weniger kurios, aber ich tauchte tief ein in Maeves Geschichte und auch in die irischen Mythologie, der ich persönlich schon zuvor sehr zugeneigt war. In einer solchen Art habe ich aber noch nicht darüber gelesen. Umso begeisterter bin ich.
»Ich habe heute ein kleines Tier geschnitzt, aus übrig gebliebenem, hart gewordenem Käse. Es sieht aus wie ein Stier. Ein kleiner, kräftiger Stier. Er hat zwei Hörner und ein markantes Antlitz.«
Immer näher kommt Maeve, die Käsehändlerin, der irischen Königin Maeve.
»Die irische Königin provozierte also einen langen Krieg, und das nur, weil sie einen Stier besitzen musste, der so prächtig war wie der Stier ihres Mannes.
Und immer ähnlicher werden auch ihre Erfahrungen mit von Männern verursachter Gewalt. Doch wird ihre Reaktion darauf die selbe sein?
Die vielen Andeutungen im Buch auf die Mythologie regen an, neben dem Lesen des Buches noch auf die Suche nach mehr Geschichten zu gehen, in der Mythologie zu stöbern, zu interpretieren und immer neue Verbindungen zu suchen.
Andrea Stift-Laube ist eine absolut besondere Geschichte gelungen, die mit keiner vergleichbar ist, zwischen Realität und Mythologie, wunderschön und brutal zugleich. Dieses Buch ist so viel größer als seine realen Ausmaße, es wächst weit darüber hinaus und bringt viele Themen mit sich, über die sich das Nachdenken und Weiterdenken lohnt.
FAZIT: Eine Käsehändlerin im jetzt und eine keltische Königin der Vergangenheit verschmelzen durch ihre Gewalterfahrungen miteinander. Eine berauschende Geschichte über Veränderung. Ein Leseereignis!
(Zitate aus "Die Stierin" von A. Stift-Laube) - Barbara Rieger
Bis ans Ende, Marie
(20)Aktuelle Rezension von: killmonotonyEin Buch wie ein Rausch, ein Trip durch eine Persönlichkeit, mit der etwas nicht stimmt, ohne dass man wüsste, was genau. Wie ein Donnerwetter prasseln die Gedanken unserer namenlosen Ich-Erzählerin auf den Leser ein, vermischen sich mit Dialogfetzen Maries, alles wirkt surreal, wie ein Traum, in dem es keinen klaren Fokus gibt. Die Beziehung zur Familie scheint zerrüttet, der Vater hat ein ungesundes Verhältnis zu Medikamenten und man kann die Überlegung anstellen, dass dieser Medikamentenmissbrauch möglicherweise auf unsere Protagonistin abgefärbt, sie beeinflusst hat – steht sie womöglich selbst unter dem Einfluss von Medikamenten oder haben diese nachhaltig ihre Persönlichkeit verändert, sodass sie keinen klaren Gedanken fassen kann? Das Verhältnis zu ihrer Mutter war auch schonmal besser, sie kommt einfach nicht darüber hinweg, dass die Erzählerin sich von ihrem ach so perfekten Freund getrennt hat. Er, der schicke Jurastudent, mit seinen perfekten Eltern und seinem perfekten Leben, und sie, die in diese Form hereingedrückt werden soll, aber sich nicht länger verbiegen will. Und dann ist da Marie. Marie, die sie mit auf die wildesten Partys nimmt, Marie, die sich mit allerlei Männer herumtreibt, die so anders ist als sie selbst. Unsere Erzählerin möchte wie sie sein, steht zwischen dem perfekten Leben und dem Maries, wird zerrissen von den Möglichkeiten, von dieser toxischen Freundschaft und kommt mit alledem nicht mehr klar. Die Ereignisse werden immer turbulenter und am Ende steht das Chaos.
Ich liege in einem Raum mit zwanzig anderen Menschen, in einem Hüttenschlafsack, Marie legt den Arm um mich, sie will mich zurückziehen in den Schlaf, sie will mich hineinziehen in den See aus Schnaps und Bier, sie taucht mich unter, unter Wasser treiben die Körper der Männer, ihrer Frauen und Kinder, treiben Telefone ohne Empfang, Wohnungsschlüssel.
Wie hat es mir gefallen?
Beim Beenden der Lektüre von Barbara Riegers „Bis ans Ende, Marie“ wusste ich bereits, dass es mir schwer fallen würde, eine Besprechung zu diesem Buch zu verfassen. Dennoch möchte ich hier meine Leseeindrücke versuchen zusammenzufassen. Dieses Buch ist wie nichts, was ich zuvor gelesen habe. Die Erzählsprache ist nichts für schwache Nerven und mitunter sehr, sehr anstrengend. Wir begeben uns in einen Verstand, der irgendwie kaputt ist, dem etwas zu fehlen scheint, um „normal“ zu funktionieren und seine Gedanken zu sortieren. Und auch wenn im Buch viele Dinge passieren und es auch eine Handlung gibt, steht doch immer die Freundschaft (wenn man es denn so nennen kann) von Marie und der Erzählerin im Vordergrund. Nichts anderes erscheint relevant, es gibt nur Marie. Zu Beginn des Buches denkt man noch, es handele sich um eine etwas abstrusere Geschichte zwischen zwei Freundinnen, doch nach und nach merkt man, dass diese toxische Beziehung nicht nur das Leben der Erzählerin zerstört, sondern auch das der anderen merklich tangiert und zerrüttet. Und obwohl ich den Schreib- und Erzählstil ungemütlich fand, muss ich sagen, dass mir diese Geschichte schon ziemlich gefallen hat. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich das Ende (und somit das gesamte Buch) verstanden habe, aber dennoch war es sehr spannend zu lesen und hatte eine recht große Sogwirkung. Wer mutig ist und sich an ungewöhnliche Literatur herantraut, sollte möglicherweise mal einen genaueren Blick auf Barbara Riegers Roman werfen.
- Renate Silberer
Das Wetter hat viele Haare
(16)Aktuelle Rezension von: frauvormittagDiese Buch wurde mir von einer Freundin empfohlen, die bei der lovelybooks leserunde mitgemacht hat. Ich lese sehr gerne Kurzgeschichten und diese Erzählungen folgen in den einzelnen Geschichten wiederkehrenden Figuren, sie schreiben sich fort. Erzählt wird nie zu viel, was mir sehr gefällt, denn ich mag es nicht, wenn auch das offensichtliche noch nachzulesen ist. Einige Geschichten spielen mit dem Absurden, verzichten auf eine nachvollziehbare Handlung und gerade dieser Zugang zu Sprache und Literatur ist für mich sehr fesselnd. Bilder, die in meinem Kopf auftauchen und in mir etwas ansprechen oder mich anregen, sind genau das, was ich an Literatur mag. In diesem Buch geschieht dies auf sehr vielfältige Weise. Die Autorin mischt Alltagsgeschehen mit Traummomenten und stellt dadurch spannende Bezüge her, die Situationen in neuem Licht erscheinen lassen. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und werde es demnächst wieder lesen. - Andrea Stift-Laube
Schiff oder Schornstein
(21)Aktuelle Rezension von: EmiliAnaDas Cover eines Buches ist sicher eines der Kriterien, nach denen man ein Buch - auch - aussucht. Ist es nichtssagend, übersieht man es gerne; ist es aber ein Blickfang, wie das Buch, um das es hier geht, verleitet es zum Geöffnetwerden, zum Hineinlesen, am Ende vielleicht auch dazu, es zu kaufen.Ja, das Cover mit der schwarzen Katze, die einen da direkt anschaut, spricht an - und es gibt auch einen Hinweis auf die Geschichte, wenn man sich dann den Klappentext durchliest.Um ein Kunstprojekt soll es da gehen, um "ein Statement gegen die Massentierhaltung und Fleischkonsum", das da zwei junge Leute machen, die scheinbar einen Online-Versand für Katzenfleisch gründen.Ja, das kann man wohl lesen in diesem Roman - Hauptthema jedoch ist es nicht! Hauptsächlich geht es hier um die Umweltaktivistin Franziska, die verschwunden ist und deren Verbleib unbekannt bleibt. Zurück bleiben ihre Schwester Ila und ein gewisser Konstantin, Franziskas Mitstreiter oder treffender Mitläufer und heimlicher Verehrer.Durch beider Sichtweisen wird zum einen die Geschichte der beiden Schwestern aufgerollt, zum anderen das Verschwinden Franziskas verarbeitet in einem Wust von Informationen, mit denen der recht unbedarft wirkende Konstantin über sie, ihre Aktivitäten und seine eigene Rolle dabei in naiv-blauäugigen Sätzen den Leser speist.Die Handlung spielt sich ab vor der weiten Kulisse von Klimawandel, Umweltzerstörung, gnaden- und rücksichtsloser Verschwendung der Ressourcen, ungebremst weiter wachsender Bevölkerung, krassester Tierquälerei, von Massentierhaltung bis hin zum Töten und Verspeisen von nahezu allem, was da kreucht und fleucht, und einer scheinbar unsensiblen Menschheit, die all dem tatenlos zusieht oder gar ihr Übriges dazu beiträgt, um dem blauen Planeten endgültig den Garaus zu machen.Ila und Franziska haben sich rückhaltlos der Rettung und Bewahrung der Umwelt und ihrer Geschöpfe verschrieben, wobei vor allem Franziska mit äußerster Konsequenz und völlig kompromisslos handelt - was letztlich auch zu ihrem Verschwinden führen wird...Man muss sie bewundern, diese Unerschrockene, die zu dem kleinen Häuflein der Aufrechten gehört, die ihre Überzeugungen tatsächlich leben, anstatt sie wie ein Banner vor sich herzutragen und bei passender Gelegenheit sinken zu lassen.Mögen sie auch gegen Windmühlenflügel kämpfen, mögen sie schier verzweifeln an der Ignoranz der Gesellschaft - sie verzagen dennoch nicht und kämpfen weiter!Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich passiv verhalten oder die gar ihre hehren Ideale verraten, wenn jener Faktor ins Spiel kommt, von dem man sagt, dass er die Welt regiert: Geld nämlich!Einen Vertreter letzterer Gruppe finden wir auch wieder in diesem Buch! Um Konstantin handelt es sich, wie man vielleicht schon ahnen konnte; er konnte letztendlich den Verlockungen des Geldes nicht widerstehen und - sehr realistisch, denn Typen wie ihn gibt es zuhauf - und zieht das "gute Leben", das also, das seine Gier befriedigt, dem anständigen und aufrichtigen vor...
"Schiff oder Schornstein" ist, obwohl der Klappentext anderer Meinung ist, ein ernster Roman, in dem das Lachen nicht einmal bis zur Kehle vordringt, um darin stecken zu bleiben. Er macht traurig und wütend und verzagt zugleich. Man fühlt sich ohnmächtig angesichts des Zugrunderichtens der Erde und seiner unschuldigen Kreaturen, wofür immer wieder erschreckende Beispiele herhalten müssen.Gleichzeitig erkennt man, dass man allein mit dem - wenn auch unbändigen - Willen, die Welt zu retten, nicht weiterkommt.Angesichts des Scheiterns oder des Umkippens und Aufgebens so vieler mutigen Kämpfer wird langsam klar, dass der sinnvollste Weg, den Wahnwitz, dem sich die Gesellschaft hingegeben hat, zu stoppen der der kleinen Schritte ist, nämlich das Realistische, das Machbare zu tun anstatt das Unrealistische, das von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist, zu versuchen.Doch frage ich mich am Ende des Romans etwas unsicher, ob es das ist, was die Autorin dem Leser mitteilen wollte, oder ob es ihr nicht vielmehr um Aufklärung, um die Bloßlegung himmelschreiender Missstände geht. Oder vielleicht um etwas ganz anderes?So bleibe ich in der Tat einigermaßen ratlos und auch ein wenig unbefriedigt zurück...
- Marie Luise Lehner
Im Blick
(15)Aktuelle Rezension von: BibliomaniaMarie Luise Lehner erzählt in Ihrem zweiten Buch von einer Frauenfreundschaft. Zwei Freundinnen, die seit ihrem zehnten Lebensjahr unzertrennlich sind, machen alles mögliche gemeinsam durch. Erstes Schminken, Rauchen, Drogen nehmen, Sex. Sie lieben einander auf einer freundschaftlichen, innigen Ebene und reisen viel gemeinsam. Die Ich-Erzählerin ist lesbisch. Sie weiß es schon früh und macht auch keinen Hehl daraus. Sie befindet sich derzeit in einer etwas schwierigen Beziehungen. Es ist nicht ihre erste Beziehung und sie hat auch Erfahrungen mit Männern gemacht. Dabei ist das Thema Sexismus, sexuelle Übergriffe und Gewalt permanent präsent.
Es gibt zwei Erzählebenen. Die Gegenwart, die hauptsächlich von der aktuellen Beziehung bestimmt ist und die heranwachsenden Freundinnen bis zum Alter von 18 Jahren. Der Leser erfährt, wie die beiden größer werden und was sie erleben. Beide Ebenen sind spannend, und erscheinen durch die eindringliche Sprache der Autorin besonders lebendig. Marie Luise Lehner richtet ihren Blick ganz genau auf alles. Sie beschreibt das Gefühl beim Angeschautwerden und was das Schauen in ihr bewirkt. Obwohl Gefühle natürlich eine große Rolle spielen, driftet die Geschichte niemals ins Kitschige ab und bleibt realitätsnah, was mir ebenfalls sehr gut gefällt.
Ich denke, die Autorin beschreibt, was viele Frauen und Mädchen erleben und es bleibt der negative Klang, dass so viele Frauen negative Erfahrungen machen, die angezeigt und/oder besprochen werden sollten. Es passieren immer noch zu viele Dinge mit Männern, die einfach nicht passieren sollten. Ein tolles Plädoyer an den Feminismus.
- Daniel Zipfel
Die Wahrheit der anderen
(16)Aktuelle Rezension von: SikalNachdem ein pakistanischer Flüchtling bei einem Polizeieinsatz stirbt, eskaliert die Lage rund um die Wiener Votivkirche. Demonstrationen und die Zuflucht in der Kirche sind die Folge. Doch der Roman zeigt auch das Bild der Medienwelt, ein Bild voller Manipulation und Sensationsgier.
Als der Journalist Uwe Tinnermann ein Foto schießt, auf dem die junge Pakistanerin Veena von einem Polizisten geschlagen am Boden liegt und hilfesuchend den Blick hebt, wird etwas in Gang gesetzt, was sehr gut aufzeigt, wie weit es her ist mit der Interpretation von Bildern. Was wollen wir sehen? Was wird uns geboten? Worauf wird gezeigt und was beiseitegelassen? Veena wurde natürlich nicht geschlagen, sie war hingefallen und der Polizist wollte ihr helfen…
Doch der Journalist lässt nicht locker, wittert seine Chance auf den ganz großen Coup und erzählt von einer Wahrheit, die es in der Form einfach nicht gibt.
Tinnermann nimmt Veena als Symbolfigur und versucht sein Konstrukt an Fakten rund um sie aufzubauen. Dass dies schiefgehen muss, erkennt man als Leser relativ bald, doch Veena hört nicht mehr auf ihre Anwältin Birgit Toth, die dem Gericht beweisen soll, dass Veena keinesfalls abgeschoben werden darf. Doch die Wahrheiten vermischen sich in einem bald undurchschaubaren Gewirr.
Der Autor Daniel Zipfel schafft es mit diesem Roman die Macht der Medien aufzuzeigen. Wie viele Graustufen der Wahrheit gibt es? Wie weit kann diese gedehnt werden, damit die Menschen sie noch annehmen?
Der Roman wirft schon einige Fragen auf und hallt auch lange nach, denn dieses Thema begleitet uns laufend. Gerne vergebe ich hier 5 Sterne
- Angelika Stallhofer
Adrian oder: Die unzählbaren Dinge
(9)Aktuelle Rezension von: PowLee_Paul_LohbergerSmart und kreativ ist die Hauptfigur und ihre Berufswelt. Es geht darum, Produkte zu bewerben, die Erfolg bedeuten - kaum möglich, ohne selbst Teil dieses Spiels zu werden. Dem steht die kritisch gestimmte Künstlerin gegenüber, die Schriftstellerin. Auch sie arbeitet mit Worten und Sprache, aber ihre Motive sind ganz andere. Trotzdem ist sie die Partnerin der Hauptfigur. Form und Inhalt gehen ineinander über, weil die Gedanken des Spracharbeiters zugleich die Geschichte erzählen und natürlich auch mit der Sprache spielen. So ist der poetische Stil des Buches nicht bloß künstlerischer Ausdruck der Autorin, sondern klar motiviert. Wer nüchterne Erzählungen und plaktive Themen braucht, wird das vielleicht anstrengend finden. Die Sprache ist aber keineswegs onduliert und das Buch liefert eine sehr plastische Reflexion unserer getriebenen Zeit - wer das schätzt und sich darauf einlässt, wird große Freude haben und manche Sätze mehrmals lesen, um ihren vielschichtigen Sinn zu genießen. - Gertraud Klemm
Hippocampus
(31)Aktuelle Rezension von: BeautyBooksIrgendwie hat das Unglück der Österreicher mit dem Sonntag zu tun. Mit diesem Nine-to-five, Montag bis Freitag und mit diesen gesetzlichen Feier- und Urlaubstagen. Von einem Feiertag wird zum nächsten gejammert, im Winter zum Frühling hingejammert, im Frühling wird der Sonnenschein herbeigesehnt, und wenn es mal im Mai heißt ist, jammern alle wegen des Klimawandels. Die Menschen vor den Fernsehern und Radios haben immer den Freitag im Blick, damit endlich Samstag und Sonntag folgen. So will er niemals werden. - Seite 8
Inhaltsangabe:
Helene Schulze ist tot. Eine vergessene Autorin der feministischen Avantagarde, die ausgerechnet jetzt als Kandidatin für den Deutschen Buchpreis gehandelt wird. Ihre Freundin Elvira Katzenschlager sortiert Helene's Nachlass und findet sich in einer Marketingmaschinerie voll Gier, Sensationsgeilheit und Neid wieder. Als sie sich mitten in einem Nachruf-Interview befindet, bricht sie dieses ab und begibt sich mit dem wesentlich jüngeren Kameramann Adrian auf einen Roadtrip durch Österreich, um die verzerrte Biografie ihrer Freundin richtigzustellen. Was als origineller Rachefeldzug beginnt, wird immer mehr zum Kreuzzug gegen Bigotterie und Sexismus. Sie verkleiden Heldenstatuen, demontieren Bildstöcke und stören Preisverleihungen. Immer atemloser, immer krimineller werden die Regelbrüche der beiden auf ihrem Weg nach Neapel, wo die letzte Aktion geplant ist.
Und obwohl er das alles weiß und jetzt schon seit zwei Jahren dabei ist, deprimiert ihn immer mehr, wie viel Illusion erzeugt werden muss, um die Zuschauer für eine Naturdokumentation bei Laune zu halten. Vogelkinder mussten ihre Mütter verlieren, Löwenmütter ihren Kindern beim Gefressenwerden zusehen, die Elemente mussten rebellieren und der Lebenskampf toben. Erst wenn Natur mit Storytelling und Mitleidhaschen gespickt wird, ist sie so richtig essfertig für den Durchschnittstrottel vor dem Bildschirm. - Seite 9-10
Meine persönliche Meinung:
Aus diesem Buch habe ich mir so viele Buchzitate herausgeschrieben, die einfach wie eine Faust aufs Auge gepasst haben. Frau Klemm hat uns Österreicher herrlich locker in diese Geschichte miteingebunden. Wie wir so ticken und auch denken. Oder aber auch einfach ein paar Zeilen, die komplett aus dem Leben gegriffen sind, in denen wir uns selbst tagtäglich widerfinden. Buchzitate, die ich euch in diese Rezension miteinbinden werde, damit ihr selbst lesen könnt, was ich meine.
Beginnt man diesen Roman zu lesen, spürt man sofort, dass es sich hier um eine sprachlich anspruchsvolle Geschichte handelt. Die Autorin bringt uns die Welt der Literaturbranche näher und weist uns stets daraufhin, wie wichtig feministisches Engagement tatsächlich ist.
Die beiden Hauptcharaktere werden von der Autorin benutzt, um Geschlechterklischees drunter und drüber zu werfen. Adrian, der junge Fotograf des Interview-Teams, befindet sich in einer typisch weiblichen, dienenden Funktion. Er begleitet Elvira als "Assistent" auf ihrem Road Trip um diesen zu dokumentieren. Adrian hat ganz bestimmte Ansichten, was alte Frauen betrifft. Mit diesen Ansichten wird er tagtäglich von Elvira, die von ihm ja als alt bezeichnet wird, herausgefordert. Sein Leben besteht bisher darin, dass er seinen Alltag als Möchtegern-Liebhaber einer jungen Frau verbringt, während Elvira ihm zeigt, wie lässig sie in Liebesdingen umgeht. Elvira ist eine unglaublich starke Person, der vollkommen egal ist, was andere von ihr denken. Sie hält es nicht aus, wie ihre tote Freundin Helene dargestellt wird und tut alles, um das zu ändern, ohne Rücksicht auf irgendwas oder irgendjemanden. Manchmal musste ich regelrecht schlucken, da sie Aktionen bereithält, die ich fast schon ein wenig zu übertrieben empfunden habe. Damit bekommt sie jedoch ihre Aufmerksamkeit, die sie haben möchte und zieht ihr Ding einfach durch.
Die Menschen machen Licht, bevor es dunkel ist, sie heizen, bevor es kalt wird, sie sterben, bevor sie leben. - Seite 38Die erste Hälfte des Buches konnte mich noch so richtig packen, während ich die zweite Hälfte eher als anstrengend empfunden habe. Anfangs fand ich den Road Trip von Elvira und Andrian noch ziemlich amüsant, schon bald legte sich dieses Gefühl aber ein wenig und kippte für mich schnell ins übertriebene rüber. Es fühlte sich während dem Lesen einfach an, als käme nichts mehr neues und die Geschichte plätscherte so vor sich hin. Ich habe stets gehofft, dass noch irgendwas spannendes oder anderes passieren wird, dass mich aus dieser Lethargie wieder herausholen wird. Ich habe das Buch wirklich gerne gelesen und auch der Schreibstil gefiel mir richtig gut, aber all die Aktionen die Elvira durchgezogen hat, waren dann einfach irgendwann too much. Man hätte auch anders handeln können, um Helene Schulze's Leben oder sie als Person aufleben zu lassen um all den Menschen zeigen zu können, dass sie anders war, als alle gedacht haben.
Sie versteht immer mehr, warum Terroristen so brutal werden müssen. Es hört ihnen ja sonst niemand zu. Sie lassen sich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft in Menschenleben bezahlen, sie errichten Installationen aus Schmerz und Leid und nehmen in Kauf, dass man sie hasst und verfolgt und von all den Forderungen, die sie im Zusammenhang mit ihren Aktionen stellen, gar nichts mehr mitbekommt. Terror ist auch nur eine Protest-Kunstform, denkt Elvira verwundert, wenn auch eine sehr widerliche, abstrakte. - Seite 299
Nichtsdestotrotz konnte mich Gertraug Klemm überzeugen bzw. hat sie mich neugierig gemacht und ich habe mir nun "Muttergehäuse" von ihr gekauft. Von "Hippocampus" sollte sich jeder einfach selbst überzeugen. Ich habe sehr viele ganze positive Rückmeldungen in der Arbeit erhalten. Für mich war die Geschichte irgendwann zu eintönig. - Stephan Roiss
Triceratops
(47)Aktuelle Rezension von: Jin_nyIch mache mir sehr oft Gedanken darüber, warum ein Autor einen Titel wählt; schließlich ist es meistens das erste, was der Leser mitbekommt und daher sollte es eine bestimmte Bedeutung haben, die der Leser spätestens am Ende der Geschichte erkennen sollte.
Wir sagten Mutter, dass wir sie lieben. Es war nicht wahr. Wir wollten nichts sagen, sie nicht berühren, nicht alleine mit ihr sein.
Ein Triceratops ist ein Dinosaurier mit 3 Hörnern und einer "Nackenkrause" als Panzer. Trotz des furchteinflößenden Aussehens war es ein Pflanzenfresser und man weiß nicht, ob es Herden- oder Einzeltiere waren, so wie es im Buch erklärt wird. Ich habe mich gefragt, warum man gerade den Triceratops genommen hat und keinen Sauropoden oder sogar einen Tyrannosaurier. Ich selbst habe als Kind allerdings auch den Triceratops am meisten geliebt, er wirkte so stark und gab Halt.
Der Hauptcharakter, ein Junge, der während der knapp 200 Seiten zum Teenager heranwächst, sieht sich selbst als ein Triceratops, vielleicht auch aus den oben genannten Eigenschaften. Die schuppige Haut des Jungen am Hals oder wie er immer wieder Hörner zeichnet oder sich vorstellt, dass welche wachsen oder wie er sich als letzten Überlebenden sieht in einer Welt, wo er nirgendwo hingehört. Ein Panzer, der ihn beschützen soll, anstelle einer Familie, die nur Zerstörung verursacht. Hörner, die ihm Kraft und Mut geben sollten, aber nie wirklich nützlich sind. Natürlich beherrscht so ein Tier keine menschlichen Fähigkeiten wie das Sprechen oder soziale Anpassungsfähigkeit; die Geschichte fängt nämlich schon damit an, dass der Junge sich einfach in allem fremd und distanziert fühlt, zum Beispiel wie er nicht Mama, sondern Mutter sagt. Und diese Fremdartigkeit zieht sich durch bis zum Ende hin.
"Wenn ich die Augen schließe", sagte sie zu ihrer Sitznachbarin, "kann ich die Wellen noch fühlen."
Wir schlossen die Augen. Stimmt doch gar nicht.
Die Geschichte schafft es nur mit wenigen Worten und Sätzen die Gefühlslage des Jungen zu vermitteln, und geht dabei nicht konkret auf die inneren Emotionen des Jungen ein. Eher sehen wir aus den Augen des Jungen -aus einer sicheren Distanz- wie die Welt sich auf ihn stürzt, vieles abverlangt, aber niemals das gibt, was der Junge bräuchte: Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit. Man muss als Leser viel Arbeit leisten um die Geschichte zusammenzusetzen wie ein Puzzle, aber gerade das fand ich sehr spannend. Es war ein kurzes, aber sehr starkes Buch, was zwar nicht unbedingt ein Lächeln auf meinem Gesicht gezaubert hat, aber trotzdem kraftvoll war, sodass es einen großen Eindruck hinterlassen hat.
Unsere Schwester schnitt uns das Wort ab: "Alles ist gut."
"Nichts ist gut", hörten wir uns sagen.
** Dieses Buch wurde mir über NetGalley als E-Book zur Verfügung gestellt ** - Thomas Mulitzer
Tau
(12)Aktuelle Rezension von: Sikal„Die Leute haben es aber für bare Münze genommen. Viel gefährlicher als die Lügner selbst sind ja die Leute, die ihnen glauben. Die Naivität der Leute bringt die Lügner ja gerade erst dazu, zu lügen. Und sie haben ihm alle geglaubt. Sie waren da und haben alles durcheinandergebracht. Sie haben herumgestöbert und schamlos gelacht, und alles nur wegen dem Deppen und seinem Buch.“
Ein junger Student bekommt den Auftrag auf den Spuren Thomas Bernhards zu wandeln. Dazu reist er in sein Heimatdorf Weng, wohnt bei seinem Großvater, der bereits zur Zeit Thomas Bernhards dort ein Gasthaus betrieben hatte. Dieser Ort ist auch der Schauplatz von Bernhards Werk „Frost“, welches den Ort in kein schmeichelhaftes Licht taucht.
In „Tau“ lässt uns Thomas Mulitzer mit seinem Protagonisten auf Spurensuche gehen. Wir dürfen dabei sein, wenn dieser seine Beobachtungen der Dorfbewohner analysiert, seinen inneren Monologen nachhängt und Museen bzw. Ausstellungen besucht – alles im Sinne der Forschung sozusagen. Dass er sich manches Mal von seinen Studien abbringen lässt und in die Genusswelt der Gebirgswelt eintaucht, lässt sich nicht so ganz vermeiden.
Der Schreibstil Thomas Mulitzers ist sehr speziell, sehr provokant, manches Mal sogar unter der Gürtellinie. Doch mir hat dieser Schreibstil gefallen, es liest sich kurzweilig, bildgewaltig. Das Buch behandelt äußerst viele Themen, von denen mir nicht alle zugesagt haben – Kritik an der Literaturwelt, Korruption, Generationenkonflikt, Gesellschaftskritik … Was mir weniger gefallen hat, war die Darstellung der Bewohner von Weng, die teilweise ziemlich schlecht weggekommen sind (vermutlich im Sinne des Ursprungswerks „Frost“). Nur weil Menschen in einem „Kaff“ leben, heißt es nicht, dass alle gewaltbereit, dem Alkohol zugeneigt und ungebildet sind. Solche Pauschalierungen sind nicht nach meinem Geschmack.
Auf eine richtige Handlung, den roten Faden, wartet man vergeblich. Der Protagonist verläuft sich allzu oft in seinen Gedankenspielereien, seinen Abschweifungen, dreht sich irgendwie im Kreis. Nichtsdestotrotz habe ich das Buch gerne gelesen, was aber ausschließlich diesem wunderbaren Schreibstil des Autors geschuldet ist. Wortspielereien und besondere Sprachgebilde faszinieren mich und lassen mich am Ende trotz einer fehlenden Handlung versöhnt sein.
- Hans Bankl
Im Rücken steckt das Messer
(20)Aktuelle Rezension von: Bellis-PerennisPathologe Hans Bankl, Verfasser von mehreren Sachbüchern, plaudert aus dem Nähkästchen des Pathologen.
Er reiht in seinem Buch Anekdote an Anekdote und zitiert aus Schauspielen wie Hamlet. Bankl lässt auch Kollegen zu Wort kommen.
Seine "Anleitungen" zum Mord sollten allerdings nicht wörtlich genommen werden. - Petra Piuk
Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman
(27)Aktuelle Rezension von: Literatur_FamulusHerzhaft lachen ist befreiend, wenn das Lachen steckenbleibt bringt es dich weiter.
Und wie ich gelacht habe (am Anfang), und wie das Steckenbleiben immer mehr zum Würgen wurde!
Vor Jahren wurde mir während einer Kur von Therapeutinnen das Lesen von Karl Valentin verboten, mein Lachen hatte die Kojen zu stark geschüttet. Ich glaube, „Toni und Moni – Oder: Eine Anleitung zum Heimatroman“ hätten sie mir auch verboten.
Im zweiten Teil die Schluckbeschwerden: Tief in der Kehle und zu spüren über die Ohren, bis hinab in die Zehen habe ich sie wahrgenommen und sie regen mich immer noch an.
Wie die Schriftstellerin, wie Petra Piuk, wie Toni und Moni und auch ein wenig wie die Lektorin, bemühe ich auch einen alten Hadern: „Ich sprenge alle Ketten“ grölten sie alle und ließen nicht ein Kettenglied eingehängt in diesem Mysterien- ups, Literaturspiel. Vielleicht habe ich noch nie ein Buch gelesen, in dem die Fußnoten, das Personenverzeichnis (beinahe alle Alphabet Buchstaben), die Perspektivenwechsel, ein Dorf und meine Erinnerungen als Leser so treffend eingesetzt, beziehungsweise angestoßen wurden.
Herzliche Gratulation Petra, Frau Schriftstellerin und Tanja
- Marianne Jungmaier
Sonnenkönige
(14)Aktuelle Rezension von: BluevanMeer„Meinst du beginn ich, meinst du als Online-Redakteur? Mit Vertrag? Mit Urlaub und Krankenversicherung?“
Schön wär's, aber so einfach ist es in Marianne Jungmaiers dritten Roman Sonnenkönige dann doch nicht. Im Mittelpunkt stehen Aidan und seine WG aus Twentysomethings, die versuchen ihren Platz im Leben zu finden. Prekäre Beschäftigung ist der Standard, über die Zukunft wird nicht viel nachgedacht. Aidan schreibt nebenher für ein Musikmagazin, aber eine Festanstellung ist nicht drin. Es gibt aber drei Frauen in seinem Leben. Mit Hannah aus der Redaktion führt Aidan eine glückliche und offene Beziehung. Mit Cherry, die gerade an ihrer Promotion schreibt, und ihrer Freundin Sam besucht er Sadomasoparties. Drogen gehören zum guten Ton. Als er auf einer Party den Amerikaner Bill kennen lernt, hat die Ziellosigkeit ein Ende. Aidan beginnt mit einem besonderen Projekt: im Keller bastelt er einen gigantischen Drachen. Seit seiner Kindheit sind Drachen für ihn besondere mystische Wesen, ein Drachentatoo drückt seine Verbundenheit mit der wilden Sagengestalt aus. Zusammen mit Bill möchte er das Kunstwerk in der Wüste Nevadas auf dem Favilla-Festival, das stark an die Riesenparty Burning Man erinnert, verbrennen und damit irgendwie auch ein Ritual begründen, das ihm eine neue Perspektive auf das Leben bieten kann. Wozu fährt man sonst auch in die Wüste? Richtig, um die Erleuchtung zu finden.
"Fünfzigtausend Menschen aus der ganzen Welt versammelten sich jeden August in der Wüste Nevadas, um ihre Freiheit, ihren Selbstausdruck, ihre Kunst zu feiern.“
Aidan wird von allen Figuren noch am stärksten charakterisiert, er erzählt die Geschichte und bleibt doch merkwürdig farblos. Auch Cherry, Sam und Hannah wirken wie unscheinbare Statistinnen, die sich irgendwie in einer Hippie-Bondage-Drogenwelt bewegen, die mich erst in der Wüste Nevadas richtig packen konnte (und das ist leider ein viel kürzerer Teil als der Rest der Handlung, die irgendwo in Berlin spielt). Warum die Figuren so an ihrem Dasein leiden, wird häufig nicht richtig klar und bleibt merkwürdig stark an der Oberfläche. Ohnehin eignen sich die Figuren kaum für eine tiefe Charakterisierung: Cherry lässt sich fesseln, weil sie ein Trauma aus der Kindheit verarbeiten muss. Aber dieser Nebensatz interessiert mich leider genau so wenig, wie Aidans Begründung für das Drachenkunstwerk: "Da steckt viel drin, Kindheit, Vater, so Dinge." Und an dieser Stelle sprechen wir von der Hauptfigur, dem Ich-Erzähler, der ähnlich schwer zu fassen ist, wie der ganze Rest der Figuren, die zwischen Party und Kater und der nächsten Party selten eine Pause machen.
Marianne Jungmaier hat einen tollen Stil und ich habe den Roman gern gelesen. Er funktioniert für mich aber nur als schöne Momentaufnahme, bei der sicherlich noch viel mehr drin gewesen wäre: viel mehr Background, viel mehr Tiefe der Figuren, viel mehr Klarheit in der Motivation ihrer Handlungen. Was mir gefällt sind die musikalischen Zitate und Aidan, von dem ich gerne viel mehr erfahren hätte. So bleibt ein wunderschön geschriebenes und berauschendes Ende, aber auch ein wenig das Gefühl, ein Buch gelesen zu haben, bei dem doch etwas gefehlt hat.
- Lucia Leidenfrost
Wir verlassenen Kinder
(23)Aktuelle Rezension von: schnaeppchenjaegerinIn einem Dorf sind nur noch wenige Häuser bewohnt. Die allermeisten Erwachsenen hab es verlassen, übrig geblieben sind die Kinder und ein paar wenige Großeltern, die sich noch so gut es geht, um sie kümmern. Die Erwachsenen haben das Dorf verlassen, um in der nächsten Stadt Arbeit zu finden. Offenbar schwelt ein Konflikt, der sich zu einem Krieg ausweiten könnte.
Die Kinder sind zunehmend auf sich alleingestellt. Die Pakete aus der Stadt und auch die Nahrungsmittel werden weniger. Die Kinder beginnen damit ihre eigenen Regeln aufzustellen, denn ohne einen geregelten Tagesablauf herrscht keine Struktur mehr. Mila, die Tochter des Bürgermeisters, der immer noch die Stellung hält, beugt sich nicht den Regeln. Sie glaubt nicht mehr daran, dass die Erwachsenen zurückkehren werden, bricht in leerstehende Häuser ein und bedient sich dort an den Utensilien. Das erzürnt die anderen Kinder und macht sie zur Außenseiterin. Mila bleibt jedoch standhaft. Ihr Traum ist es, Lehrerin zu werden und die Kinder zu unterrichten, um ihnen eine Perspektive zu geben.
Der Roman ist aus der Sicht der Kinder - ein kollektives "Wir" - aus der Perspektive von Mila und vereinzelten Erwachsenen geschildert, die auch rückblickend von der Zeit im Dorf berichten. Dabei kommt insbesondere die Brutalität der Kinder zutage, die so erschreckend ist, dass man sich fragt, ob es nicht die Kinder gewesen sind, die die Eltern vertrieben haben.
Das Dorf ist fiktiv und es ist nicht möglich, die Situation einer bestimmten Zeit oder einem bestimmten Ort zuzuordnen. Fakt ist nur, die Kinder wurden verlassen und je weniger Erwachsene übrig sind, desto weniger kommen die Kinder mit der Situation zurecht. Warum die Eltern das Dorf wirklich verlassen hab, ob tatsächlich irgendwo Krieg herrscht und warum sich aus der Stadt oder Regierung niemand darum kümmert, ist unklar. Auch die Rolle des Bürgermeisters, der zumindest die Funktion eines Regierenden hat, ist hinreichend unbestimmt.
"Wir verlassenen Kinder" ist eine Dystopie, die auf wenigen Seiten in einer bildhaften, metaphorischen Sprache ein düsteres Szenario zeichnet. Da der Hintergrund des Verlassenwerdens im Dunkeln blieb, hatte ich Schwierigkeiten, Gefallen an der Geschichte zu finden. Auch fand ich schade, dass die Protagonisten, insbesondere die verbliebenen Kinder, namenlos blieben, obwohl man aufgrund der geringen Anzahl an Personen einige Charaktere hätte hervorheben und ihnen ein Gesicht geben können. So gab es nur Mila und ein anonymes "Wir". Dabei empfand ich es als unrealistisch, dass sich innerhalb des Wir keine Struktur herausbildete. Es gab keine erkennbare Gruppendynamik oder Rollen, die die Kinder typischerweise eingenommen hätten.
Die Geschichte ist zudem weder spannend noch empathisch erzählt. Das Dorf, das im luftleeren Raum zu schweben scheint, und die Einzelschicksale bewegen nicht. Am Ende bliebt dem Leser ein enormer Interpretationsspielraum hinsichtlich der Sinnhaftigkeit dieser Parabel (?). Ich hatte mehr Fragen als Antworten.
- Verena Stauffer
Orchis
(28)Aktuelle Rezension von: Leselampe_Der junge Botaniker Anselm begibt sich auf die Suche nach dem schönsten Exemplar der Königin der Blumen in den Regenwald Madagaskars. Schnell wird er fündig, die weißen Blüten der Sternorchidee erscheinen ihm eines Nachts gleich der Sterne am Nachthimmel. Ehrfürchtig begibt sich Anselm mit seiner wertvollen Fracht im Bauch eines Frachtschiffs zurück nach Europa, doch unterwegs wird ein Großteil seiner Funde aufs Meer geschwemmt. Er verfällt in eine tiefe Depression, halluziniert in Wahn und Trauer eine Orchidee herbei, die sich in seine Schulter verwurzelt und tief mit seiner Psyche verwächst. Er richtet sein Leben auf das Wohlergehen der ihm verbliebenen Orchidee auf seiner Schulter aus, gießt sie regelmäßig und wird schließlich apathisch in eine Heilanstalt geschickt. Doch schon bald erfährt er von einer weiteren, kaum bekannten Orchideenart, die er finden und dokumentieren möchte. Und so begibt sich Anselm auf eine Odyssee Richtung China, um sein Glück zu suchen.
Puh, ich hatte einen schwierigen Einstieg ins Buch. Die Sprache war extrem ausladend und verschnörkelt, aber je mehr ich im Buch vorangekommen bin, desto besser gefiel es mir. Die Geschichte des Orchideenforschers Anselm ist berührend, tiefgründig und psychologisch. Er verliert durch Wahn und Manie den Bezug zur Realität, findet in der Suche nach besonderen, unbekannten Orchideen seine Erfüllung sich begibt sich überstürzt auf eine Reise per Schiff um die halbe Welt. Zuweilen ist der Roman in einen historischen Kontext eingebettet. Darwin ist in aller Munde, und Anselm wird zum eingefleischten Gegner dessen Evolutionstheorie. Zwischendurch übernimmt er an der Universität eine kurzweilige Professur, reist mit seinen Studenten umher und versucht ihnen, seinen Enthusiasmus zu Orchideen zu vermitteln. Bei mir hat ers geschafft. Durch und durch ein ganz tolles, außergewöhnliches Buch. Leseempfehlung für alle, die gerne stimmungsvolle, lyrische Sprache lieben.
- Tonio Schachinger
Nicht wie ihr
(29)Aktuelle Rezension von: Christian_FisTonio Schachinger ist sehr nahe am Bewusstsein von Ivo, seiner Hauptfigur. Er schreibt flüssig und zielsicher, die wienerischen Einsprengsel sind gekonnt. Durch die Perspektive und die Sprache fühlt man sich der Figur sehr nahe. Der Mittelteil des Romans hat aber deutliche Längen und wirkt auf mich stellenweise geschwätzig. Der Roman hätte deutlich gewonnen, wäre er um einen Drittel kürzer.
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