Bücher mit dem Tag "joseph roth"
20 Bücher
- Joseph Roth
Radetzkymarsch
(126)Aktuelle Rezension von: happyoldendaysJoseph Roths Roman „Radetzkymarsch“ ist eine langsam voranschreitende Erzählung, die voll ist von evokativen Bildern und Szenen, ihre wirkliche Stärke aber in der tragischen Verknüpfung dreier Generationen einer Familie offenbart.
Die Tatsache, dass der Roman den Aufstieg und Niedergang der Familie Trotta vor dem Hintergrund des kollabierenden Habsburger Staatenverbandes behandelt, könnte den Eindruck erwecken, dass es sich um eine ereignisreiche, auf Handlung basierende Geschichte handelt, aber dem ist nicht so. Viel eher steht die innere Gefühlswelt der Protagonisten im Vordergrund, vom Autor durch feine Allegorien evoziert.
Einige Passagen empfand ich beim Lesen als etwas langatmig. Ebenso erschloss sich mir der Zusammenhang zwischen mancher detailreich ausgestalteten Episode und der Gesamthandlung nicht, aber vieles offenbarte seinen tieferen Sinn schließlich gegen Ende des Buches.
Zeitlich gesehen umfasst der Plot das Leben von Großvater-Vater-Enkel, es werden aber nicht alle Lebensstationen auserzählt. Der Fokus des Autors liegt vielmehr auf Einzelereignissen und wie sie von den Protagonisten erlebt werden, bzw. wie sie sich auf die nachfolgende Generation auswirken. So steht zu Anfang etwa die Heldentat des Großvaters Joseph Trotta, der dem Kaiser auf dem Schlachtfeld das Leben rettet. Durch diese impulsive Handlung werden die Trottas in eine höhere soziale Ebene gehoben und auf immer mit dem Kaiser und der Monarchie verbunden: Die ehemals slowenischen Bauern werden nun Berufsoffiziere und Beamte im Dienste der Habsburger. Damit einher geht die (teilweise unreflektierte) Identifikation mit dem militärischen Ehren- und Verhaltenskodex des ausgehenden 19. Jahrhunderts, welche dem Enkel schließlich zum Verhängnis werden wird.
Das Leben des jüngsten von Trotta – Carl Joseph – nimmt den meisten Raum in der Erzählung ein. Er gerät mit dem schweren Familienerbe in Konflikt. Den „Helden von Solferino“, seinen Großvater, kennt er nur durch Erzählungen. Gleichzeitig aber hängt sein Ruhm über ihm wie ein Damoklesschwert, denn nur durch seinen guten Ruf, konnte der Enkel im Militär reüssieren. Frustriert über das eigene Versagen bei gleichzeitigem allerhöchsten Anspruch an sich selbst, verfällt Carl Joseph dem Alkohol und der Spielsucht.
Was mir am „Radetzkymarsch“ besonders gut gefallen hat, sind die bildhaften Symbole, die Joseph Roth schafft, um einerseits Kontinuität, gleichzeitig aber auch die Veränderlichkeit der Dinge zu illustrieren. So etwa die mangelnde Fähigkeit der von Trottas miteinander zu kommunizieren und ihre Gefühle zu artikulieren. Dieses Handicap wird durch die Generationen weitergegeben und steht als großes Hindernis zwischen den Männern. Beinahe schmerzerfüllt folgt der Leser den Gesprächen zwischen Vater und Sohn, bei denen das Wesentliche aber stets unausgesprochen bleibt. Auf ähnliche Weise tritt Kaiser Franz Joseph immer wieder ins Leben der Familie. Einerseits verhilft er ihnen zu Status, andererseits führt die Pflichterfüllung in seinem Namen auch zu deren Untergang. Als alten, gebrechlichen Mann lernt der letzte von Trotta den Kaiser kennen. („Ein Greis dem Tode geweiht, von jedem Schnupfen gefährdet, hält den alten Thron, einfach durch das Wunder, dass er auf ihm noch sitzen kann.“) Historisch bahnt sich der Niedergang des Habsburgischen Reiches und politische Reform an; sinnbildhaft steht somit der überalterte, vergessliche Kaiser für die Degeneration der k.u.k. Monarchie. Es sind eben diese eleganten, bildhaften Verquickungen, die mich absolut begeistert haben. Noch Tage nach der Lektüre fallen mir Roths brillante Allegorien auf.
Fazit: „Radetzkymarsch“ ist mehr als nur ein Historischer Roman, sondern ein gefühlvolles Porträt einer im Niedergang befindlichen Familie, die der eigenen Vergangenheit und den politischen Umständen erliegt.
- Joseph Roth
Hiob
(203)Aktuelle Rezension von: HerbstroseAls Bibellehrer im russischen Zuchnow bestreitet der fromme Jude Mendel Singer den kargen Lebensunterhalt für seine Familie - eine bigotte zänkische Frau, zwei Söhne, eine Tochter und ein spätgeborener zurückgebliebener behinderter Junge. Seine Behandlung im Krankenhaus lehnen sie ab, sie vertrauen lieber auf Gott und ihre Gebete. Jahre in Armut vergehen, die Kinder wachsen heran. Dann bricht Jonas, der älteste Sohn, mit den jüdischen Gesetzen und meldet sich zum Militär, während Schemarjah, der Zweitgeborene, die Familie verlässt und nach Amerika auswandert. Als Tochter Mirjam beginnt sich mit den dort stationierten Kosaken einzulassen, entschließt sich Mendel, mit Frau und Tochter seinem Sohn Schemarjah nach Amerika zu folgen - den immer noch schwer behinderten Jüngsten Menuchim müssen sie zurücklassen. Auch in Amerika ist die Familie weiter vom Pech verfolgt. Es sollen Jahrzehnte vergehen, Mendel ist inzwischen vom Glauben abgekommen, bis ihm das große Wunder widerfährt und er endlich Ruhe und Frieden findet …
Joseph Roth war ein österreichischer Schriftsteller und Jounalist, der 1894 im galizischen Brody bei Lemberg (Lwow) geboren wurde. Er studierte zunächst in Lemberg, dann in Wien Germanistik und Philosophie und war danach als Journalist tätig. Sein erster Roman erschien 1923, weitere folgten. „Hiob“ erschien erstmals 1930 und handelt in der Zeit um 1900 bis nach dem I. Weltkrieg. Die Machtergreifung durch die Nazis zwang den Juden ins französische Exil, seine Bücher wurden in Deutschland verbrannt. Roth starb 1939 in Paris an den Folgen einer schweren Alkoholsucht.
Wie schon der Titel des Buches vermuten lässt, greift der Autor hier die Geschichte von Hiob aus dem Alten Testament auf, der vielen harten Prüfungen unterzogen wird, an Gott verzweifelt und seinen Glauben beinahe verliert, bis dann das Wunder geschieht. Entgegen der Dramatik und Tragik der Handlung ist die Sprache Roths eher als einfach und erfassbar zu bezeichnen. Es gelingt ihm dadurch, den Leser zu packen und das Geschehen bildhaft entstehen zu lassen, sodass es sich fest im Gedächtnis zu verankert.
Fazit: Ein beeindruckender Roman voller Dynamik, ein Klassiker der deutschen Literatur, den man gelesen haben sollte und den ich gerne empfehle.
- Volker Weidermann
Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft
(86)Aktuelle Rezension von: Smilla_FantEin Sommer der Freundschaft im Exil vor langer Zeit in Ostende. Man fühlt sich zeitlich zurückversetzt und landet an diesem belgischen Badeort am Meer. Hier treffen sich die gut befreundeten Dichter und Schritsteller, die zur Zeit der Nazis keine Heimat mehr haben: Zweig, Roth Koestler,... Es könnte ein so schöner Sommer sein, wenn sie nicht auf der Flucht wären. Der Autor schreibt von ihrer Verzweiflung, ihrer Liebe und ihrer Freundschaft .
Ein nachdenkliches ernstes Buch, das ich gerne gelesen habe.
- Joseph Roth
Die Geschichte von der 1002. Nacht
(12)Aktuelle Rezension von: MonsignoreDer Alkohol hatte Joseph Roth schon fast elendig zugrunde gerichtet, als er diesen - seinen letzten - Roman schrieb. Seine Lebensumstände in dieser Zeit im Pariser Exil waren scheußlich und unter aller Würde. Umso erstaunlicher ist die glasklare Sprachgewalt, der Glanz und die Melancholie der Worte. Als ob Roth es allen noch einmal zeigen wollte, bevor seine Welt gemetzelt wurde. Der Kritiker Hermann Kesten spricht von "echter, liebesgieriger Verzweiflung" - und das trifft es genau. Die Story ist genial: Ein gelangweilter Schah von Persien besucht seinen Amtskollegen, den Kaiser, in Wien. Zerstreuung sucht er. Auf einem Ball fällt ihm eine schöne Adlige auf und will sie auf sein Zimmer bestellen. Da er nicht versteht, dass dies in Wien nicht geht, es ihm aber auch niemand offen sagen kann, nimmt sich der schneidige Rittmeister Baron von Taittinger der Sache an. Eine seiner Gespielinnen, die Tochter des Ofensetzers Schinagl, sieht der Adligen nämlich sehr ähnlich. Der Schah merkt nichts, aber die Sache kommt heraus, denn der Schah schenkt dem Mädchen ein sehr wertvolles Perlenhalsband. Ein Skandal zieht herauf, die ganze Wiener k.u.k.-Blase platzt. - Joseph Roth
Das Spinnennetz
(28)Aktuelle Rezension von: till_stegmeierWas passiert mit Menschen, die ehrgeizig streben und überleben wollen, wenn in einer Gesellschaft die Demokratie wegbricht? Joseph Roth hat 1924 mit „Das Spinnennetz“ einen hochaktuellen Roman über das opportunistische Wesen Vieler verfasst, das dem Wirken derer Anschub leistet, die nichts Gutes mit einem freiheitlichen Land vorhaben. Hierbei arbeitet Roth in eindrucksvoller Weise die Grauzonen zwischen menschlicher Vernunft und der Gier, dazugehören zu wollen, heraus. Lupus est homo homini: Wehret den Anfängen!
- Joseph Roth
Der Leviathan
(16)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerKiepenheuer & Witsch brachte 2005 diesen schmalen Band mit drei Erzählungen des großartigen österreichischen Schriftstellers Joseph Roth heraus. Er beinhaltet die Titelgeschichte "Der Leviathan", welche vom jüdischen Korallenhändler Nissen Piczenik handelt und dessen tragischen und mitreißend erzählten Abstieg aus der Gesellschaft zum Thema hat. Daneben stehen die Geschichten "Triumph der Schönheit" und "Die Büste des Kaisers". Während in erster Novelle die vernichtende Macht der Frau über den Mann im Mittelpunkt steht, vermittelt die letzte Geschichte einen Eindruck von den psychologischen Auswirkungen des Untergangs der k.u.k. Monarchie auf den einfachen, traditionsbewussten und konservativen Menschen. Allen Texten eigen ist Roths Fähigkeit der genauen Beobachtung, der treffsicheren Typisierung der Figuren und schließlich die grandiose Stilistik. "Der Leviathan" bietet für wenig Geld drei Perlen der Erzählkunst Joseph Roths; aus diesem Grund eine eindeutige Empfehlung. - Joseph Roth
Die Geschichte der 1002. Nacht
(5)Aktuelle Rezension von: Günter LandsbergerJoseph Roth - Die Geschichte von der 1002. Nacht. Gelesen von Michael Heltau. Diese Box enthält 8 CDs. Eine erotische Komödie. (Diogenes) - Diese Ankündigung führt ein wenig auf eine falsche Fährte. Die Rückseite der Box präzisiert zu Recht: „Die erotische Komödie kippt in tödlichen Ernst.“ Eine Joseph-Roth-Hörbibliothek ist bei Diogenes Hörbuch im Entstehen begriffen. Einiges ist schon erschienen („Hotel Savoy“, „Das falsche Gewicht“, „Die Legende vom heiligen Trinker“, „Radetzkymarsch“, „Die Kapuzinergruft“, „Die Geschichte von der 1002. Nacht“), anderes erscheint noch in diesem Jahr („Tarabas“, „Hiob“, „Triumph der Schönheit“/ „Der Leviathan“). Namhafte Sprecher sind dafür gewonnen worden: Peter Matic, Mario Adorf, Hans Korte, Josef Lorenz, Senta Berger, Peter Simonischek und Michael Heltau, der nach dem berühmtesten und vielleicht besten Roman Roths, „Radetzkymarsch“, nun auch Roths vorletzten und bei Lebzeiten zuletzt veröffentlichten Roman „Die Geschichte von der 1002. Nacht“ als Hörbuch gestaltet hat. Wenn man Roths Roman nicht kennt, kann man ihn - auf diese Weise gelesen - gut kennenlernen. Weil das Rothsche Erzählen dem mündlichen Erzählen durchaus noch nah ist, – und zwar sogar ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, da Walter Benjamin klagt, dass das Erzählen unter den Bedingungen der modernen Welt an ein Ende geraten sei, während er (W. B.) beinahe nostalgisch auf das Erzählwerk von Nikolai Lesskow zurückblickt -, mag sich dieses Rothsche Erzählen dem Medium Hörbuch bei kongenialen Erzähl-Sprechern heutzutage geradezu anbieten. Wer den österreichischen Tonfall beim Lesen selber noch gut im Ohr hat und die Abtönungen schon von sich aus auch im Stillen mitzulesen vermag, wird ein derartiges, von Michael Heltau sprachlich gestaltetes Hörbuch nicht unbedingt brauchen. Jene aber, die der (alt)österreichischen Schattierungen nicht ganz so mächtig sind, werden diese Romane in Hörbuchform dankbar als ohrenöffnend begrüßen. Michael Heltau hat dabei die Entscheidung getroffen, dass der Erzählduktus durchgängig österreichisch timbriert zu sein habe, auch da, wo Joseph Roth vom Wortlaut her grundlegend hochdeutsch schreibt. Allerdings ist dieses Hochdeutsch auch bei Roth selber immer wieder von typisch österreichischen Ausdrücken durchsetzt, so dass der Übergang zur leisen Dialektfärbung plausibel erscheint, zumal es Michael Heltau durchweg gelingt, die Nuancen auch des von Roth stellenweise direkt vorgegebenen kräftigeren Dialekts dagegen abzuheben. Leuten, die ähnlich wie ich schon seit langem eingeschworene Roth-Leser sind, vermag eine derartige, sich Zeit lassende und den Originaltext erfreulich ernst nehmende Romanlesung wieder Lust zu machen auf die eigene Lektüre und das eigene Verstehen-Wollen. Andere mögen durch diese gut verstehbare Lesung auf den Geschmack kommen. Ja, und was passiert denn in diesem Roman des Exils mit dem seltsamen, an Tausendundeine Nacht und die gegen den drohenden Tod anerzählende Scheherezade erinnernden Titel? Mit dem Titel, der sich anders als der Hofmannsthalsche des „Märchen(s) der 672. Nacht“ außerhalb der orientalisch vorgegebenen 1001 hält und fast schon zur Tausendunddrei, dem „mille tre“ der Leporelloschen Registerarie aufschließt? In einem Bildband zu Joseph Roths Leben und Werk habe ich folgende kurze Inhaltsangabe gefunden, die den Vorteil hat, dass sie gute Aufschlüsse gibt und doch nicht allzuviel verrät: „Das Wien der Gründerzeit ist der Schauplatz turbulenter Ereignisse um einen Besuch des Schahs von Persien. Eine Intrige zur Erfüllung der frivolen Wünsche des Potentaten stellt alle Beteiligten zunächst zufrieden. Langfristig gesehen offenbart sich jedoch sein Geschenk an die Geliebte einer Nacht als eine Büchse der Pandora, die den in die „persische Geschichte“ verstrickten Personen nach Wechselfällen des Glücks Kriminalität und Tod bringt.“ (Heinz Lunzer & Victoria Lunzer-Talos: „Joseph Roth“, Köln 1994, S. 247) - Joseph Roth
Die Kapuzinergruft
(47)Aktuelle Rezension von: awogfliNach meinem Erstdurchgang von Kapuzinergruft 2012 habe ich nun 2021 einen Re-Read gewagt, nachdem ich mir kurz vorher noch den Radetzkymarsch zu Gemüte geführt habe. Ich lasse die alte Rezension von 2012 stehen, denn sie hat noch immer ihre Gültigkeit, will mein damaliges Urteil nicht revidieren, möchte aber in der überarbeiteten Rezension auch noch Anmerkungen im Vergleich zum Radetzkymarsch machen.
Ursprüngliche Review von 2012:
Ein literarisches Schmankerl, das vor Ausbruch des ersten Weltkrieges in Wien eine dekadente überhebliche, leichtfertige Adelsschicht beschreibt, die nichts kann und zu nichts nütze ist, außer vielleicht für den Krieg. Nach der "glücklichen" Heimkehr aus einem Weltkrieg, der für die adeligen Offiziere eigentlich gar nicht so schlimm war, kommen der junge Baron und seine Freunde überhaupt nicht mehr mit der veränderten Welt zurecht, sie jammern und philosophieren aber nicht so viel wie diese russischen Adelsparasiten bei Dostojewski, sondern gehen fatalistisch und ein bisschen humoristisch eben typisch österreichisch sehenden Auges unter, oder lavieren sich eben so durchs Leben.
Roth beschreibt es ganz treffsicher: "Für den Tod untauglich befunden" - und meiner Meinung nach für das Leben irgendwie auch nicht wirklich geeignet.
Fazit: Grossartige Literatur, traurig, humorvoll, charmant, dekadent, nachdenklich, elegant......eben sehr gut die historische österreichische Seele eingefangen.
Update und Reread von 2021:
Als ich zuerst die Kapuzinergruft mit dem Radetzkymarsch verglich, war ich anfänglich enttäuscht, denn natürlich auch Roth kam nie wieder qualitativ an sein Meisterwerk heran, das auch allgemein als absolutes Meisterwerk seiner Zeit gilt, mit dem sich kaum einer seiner Zeitgenossen messen konnte. Eigentlich spricht alles für meine prinzipielle Strategie, ein Buch niemals zwei Mal zu lesen, denn es vergällte mir nun ein bisschen zu Beginn meine Begeisterung des ersten Durchgangs, weil ich einfach alles mit der Genialität des Radetzkymarschs vergleiche. Das ist aber unfair, denn wenn ich die Kapuzinergruft mit anderen Werken der Zeit vergleiche, und versuche, den Radetzkymarsch auszublenden, ist die Kapuzinergruft noch immer um Hausecken besser als alle anderen. Der Roth ist in seinen schlechtesten Werken, die ich bisher gelesen habe, besoffen und fix und fertig noch tausendmal besser als der Musil und der Doderer.
Zu Beginn haben mich die "Gleichheit" der Figuren und die Analogien zwischen Radetzkymarsch und Kapuzinergruft sehr irritiert und ein bisschen gestört, am Ende des Romans nach intensivem Nachdenken über die verzwickten Beziehungen begeistern sie mich aber zusehends.
Der letzte Baron von Trotta aus dem Radetzkymarsch und der bürgerliche Trotta aus der Kapuzinergruft sind Urgroßcousins, der gallizischen Graf Chojnicki, der mit dem Baron von Trotta in dem kleinen Dorf an der russischen Grenze lebt, ist der Bruder des Wiener Graf Chojnicki, der mit dem bürgerlichen Trotta befreundet ist. Konsistenz kann er der Joseph Roth, sogar hervorragend, alle verzweigten und verzwickten Beziehungen werden letztendlich logisch aufgedeckt.
Auch die Analogien zum Radetzkymarsch, die mich urspünglich a bissi störten, weichen nun am Ende der Geschichte doch der Begeisterung. Die Protagonisten beider Romane führen quasi teilweise ein Spiegelleben, das sich einerseits frappant gleicht, aber andererseits doch sehr unterschiedlich ist. Die Hauptfiguren haben sich nie persönlich getroffen oder kennengelernt, haben aber sehr viele Analogien im Lebenslauf. Haben beide Trottas dieselbe freundschaftliche Beziehung zu einem Bruder Chojnicki, so gibt es auch in beiden Trotta-Haushalten den gleichen Achetypen von Diener, der wiederum von beiden Familien innig geliebt wird. Baron Trotta und den bürgerlichen Trotta verbindet auch eine Analogie im Kriegsschicksal. In den ersten Tagen ihres Kriegseintrittes ist für die beiden schon wieder der Kampf vorbei. Baron Trotta fällt, und der bürgerliche Spross gerät in Gefangenschaft. Dabei kann es sogar möglich, und bei den Beschreibungen der Gegend um das Grenzdorf ist es vielleicht sogar wahrscheinlich, dass beide Trottas in der selben Gegend in Ostgallizien an der russischen Grenze ihr Kriegsschicksal erleiden. Der wiener bürgerliche Trotta muss erst von Wien zu seiner Einheit anreisen und sein Regiment suchen, zu diesem Zeitpunkt war Baron Trotta schon tot, sonst hätten sie sich möglicherweise in diesen Kriegswirren auf dem Rückzug und der Flucht vor den russischen Truppen sogar getroffen. Spätestens im Gefangenenlager wären sie aufeinander getroffen, wenn der eine nicht gestorben wäre.
Das ist so genial konzipiert, das es mich im Nachgang mehr und mehr begeistert. Beide Trottas leben eben irgendwie ein Spiegelleben aber trotzdem anders. Das ist ein bisschen Wiederholung, aber so konzipiert, dass man nachdenken muss und es nicht langweilig wird. Ein Nick Knatterton Rätsel - kombiniere.
Zusätzlich hat mir auch im zweiten Durchgang diese punktgenaue Beschreibung dieser Verlorenheit der Zwischenkriegsgeneration ausnehmend gut gefallen. Bei der ehemals gut situierten Bevölkerung wird das Zuoberste nach Zuunterst gekehrt. Die reiche Gesellschaft hat infolge des Kaufes von Kriegsanleihen, galoppierender Inflation, Einführung der neuen Währung und durch das blinde Vertrauen in Betrüger beziehungsweise Schmarotzer all ihre Wertanlagen verloren. Sie können halt auch so gar nix Praktisches sind lebens- und arbeitsunfähig und nicht anpassungsfähig an die so plötzlich geänderte Zeit.
Leider endet der sehr kurze Roman mit dem Sturz der österreichischen Regierung und der Errichtung des Ständestaates. Schad, dass Roth hier nicht mehr den Aufstieg der Rechten kommentieren konnte, das hätte hier noch perfekt dazugepasst, aber wahrscheinlich war er dazu auch schon zu alt und zu fertig. Warum ich das hier noch hineinmoniere? Mich hätte wahnsinnig interessiert, was Roth als treffender Beobachter und Analyst zu dieser politischen Situation zu sagen gehabt hätte. Aber der sehr unpolitische Abschluss, als sich Trotta gar nicht mehr für seine Umwelt interessiert und nicht einmal mehr Zeitung liest, ist auch gut gewählt. Er wird erneut von einem Zusammenbruch überrascht. Die Regierung stürzt und er verliert sein ZuHause.
Fazit: Kapuzinergruft ist soltiär gesehen grandios und im zweiten Lese-Durchgang zu Beginn ob meines ständigen Vergleichs mit dem Radetzkymarsch etwas holprig, aber bei finaler Betrachtung dann wieder sehr gut. Also in beiden Beurteilungen 5 Sterne! - Joseph Roth
Hotel Savoy
(38)Aktuelle Rezension von: awogfliJoseph Roth kann wirklich gut schreiben und Figuren punktgenau konzipieren, seine Stärken liegen auch im Umstand, dass er nie episch breit und sinnlos herumschwafelt, sondern durch kurze Bilder, die er in den Gedanken der Leser auferstehen lässt, eine Handlung sehr plastisch im Hirn seiner Fans verankert. Dieser Kurzroman war mir aber dann um eine Nuance zu kurz und episodenhaft, als dass er von mir in der Gesamtheit als Meisterwerk bezeichnet werden könnte, obwohl er natürlich seine genialen Momente voll ausspielt und auch der Plot im Finale noch einige spannende Überraschungen bereit gehalten hat. Dass ich das einmal sage, „der Roman hätte länger, episch um eine Nuance breiter und umfassender sein können“, hätte ich mir nie träumen lassen, das ist wirklich erstaunlich, denn ich hasse normalerweise Geschwätzigkeit. In diesem frühen Werk, das seine dritte Veröffentlichung darstellte, konnte Roth einfach sein Potenzial, noch nicht voll ausschöpfen, was auch nicht verwunderlich ist, denn seine Meisterwerke kamen erst später. Aber die Anlagen sind schon ganz klar ersichtlich.
Im Hotel Savoy beschreibt er einen kuriosen Mikrokosmos, der mit ganz schrägen Figuren bevölkert wird. Die Leserschaft wird wie immer mitten in die Geschichte geworfen, was mir ausnehmend gut gefällt. Nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien kehrt Gabriel Dan heim und quartiert sich auf dem Weg nach Hause im Hotel Savoy ein. Zuerst dachte ich noch, das sei das Savoy in Wien, aber sehr bald und nach einer kleinen Recherche war klar, dass das Hotel in Lodz stehen muss, da Daniel noch nicht am Ziel seiner Rückreise in der Josefstadt angekommen ist.
Die armen Leute des Savoy wohnen wie Gabriel Dan oben im siebten und letzten Stock und die Reichen unten. Der Protagonist streift durch die Gänge und durch die Zimmer und als Leserschaft lernt man zusammen mit Gabriel wirklich kuriose Personen und gescheiterte Existenzen kennen, die sich so recht ärmlich, vom Pech verfolgt und ständig abgebrannt aber mit viel Kunst und Kunstfertigkeit durchs Leben lavieren. Viele Mitglieder des Varieté wie die von Gabriel angebetete Stasia, der Hellseher Hirsch Fisch, der Clown Santschin mit seinem Esel, der die Hauptfigur bei der kuriosen Beerdigung des Clowns darstellt, werden uns präsentiert. Das Leben im Hotel Savoy schreibt herrliche, schräge Geschichten. Kommt Euch das bekannt vor? Mir auch. Es ist sehr wahrscheinlich, dass John Irving im Rahmen seiner Figurenkonzeption bei Joseph Roth ordentlich geklaut hat. Im Detail der Figuren ist die Ähnlichkeit noch viel frappanter.
Ein wichtiger Protagonist ist auch der sehr unsympathische Liftboy Ignaz, der die Rechnungen des Hotelchefs einfordert und bei Zahlungsaufschub das Gepäck der Armen durch ein eigenes Verschlusssystem in Besitz nimmt. Wenn die jungen Tänzerinnen ihr Zimmer nicht mehr zahlen können, verlieren sie zuerst ihre Koffer und Kleider und wenn sie keine Kleider mehr haben, werden sie von Frau Kupfer splitternackt zur Prostitution in der Bar des Hotels angehalten. So geht der systematisierte Abstieg im Savoy, wenn das letzte Hemd fehlt, kann frau nur noch ihre Haut an die reichen Gäste des Hotels im Erdgeschoß verkaufen.
Auch die Verwandtschaft von Gabriel Dan ist köstlichst gezeichnet. Sein reicher geiziger Onkel Böhlaug, der Cousin Alexanderl und auch der Rest der High Society der Stadt wie der Fabrikbesitzer Neuner oder der von allen erwartete reiche amerikanische Jude Bloomfield, von dem sich alle wohltätige Spenden und Investitionen erhoffen.
„Böhlaug ist ein reicher Mann mit einem kleinen Herzen. Sehen Sie, Herr Dan, die Menschen haben kein schlechtes Herz, nur ein viel zu kleines. Es faßt nicht so viel, es reicht gerade für Frau und Kind."
Gabriel hat sich als Kriegsheimkehrer in den Lebensstil der Hotelbewohner eingelassen, und nimmt das Schicksal, wie es kommt, er ergreift sogar einige Chancen nicht, wie die Möglichkeit, durch seinen Cousin ein fixes Zimmer zu bekommen, das er nicht bezahlen muss. Er glaubt, das Universum wird schon für ihn sorgen, denn wozu sonst hätte er den Krieg und die Gefangenschaft überlebt. Und er hat Recht. Als Bloomfield kommt, blüht die gesamte Stadt auf und jeder eröffnet ein Geschäft. Gabriel bekommt einen Job bei Bloomfield als sein Assistent, der die Wohltätigkeitsgesuche vorsortiert, und das, ohne überhaupt nach Arbeit gefragt zu haben. Durch die vielen Bittsteller erweitert sich nun das Spektrum der Figuren und man lernt sogar die wichtigsten Player der Stadt mit all ihren Anliegen und somit auch indirekt die Probleme der Stadt kennen. Am Ende kommt es zu Streiks und Ausschreitungen, Bloomfield reist ab, die Stadt versinkt erneut in Depression und eine der Figuren entpuppt sich noch als Hotelbesitzer.
Handwerklich bietet das Werk, wie man es auch bei den späteren Meisterwerken von Roth gewohnt ist, den typischen Roth-Humor, die wundervollen Figurenentwicklungen, sehr kluge Bonmots und grandiose Szenen, die auf treffenden Gesellschaftsanalysen und sehr gut beziehungsweise auch wohlwollend beschriebenen menschlichen Schwächen fußen.
„Hier in dieser Stadt verbauert man. (von Bauer). Der Schädel wird einem zugenäht. Das Gehirn verdorrt. Aber die Kehle nicht.“
„Die Frauen begehen ihre Dummheiten nicht wie wir aus Fahrlässigkeit und Leichtsinn, sondern wenn sie sehr unglücklich sind.“
Was für ein kluger Satz der für die damalige Zeit wirklich punktgenau passte.
Fazit: Hotel Savoy ist für mich ein Gesellenstück von Josef Roth, in dem man die Handschrift des späten Meisters schon eindeutig und klar erkennt, das aber noch nicht ganz zur ultimativen Genialität ausgereift ist. Ein bisschen besser als 3,5 Sterne daher aufgerundet auf 4. - Wilhelm von Sternburg
Joseph Roth
(3)Aktuelle Rezension von: MonsignoreJoseph Roth war ein begnadeter Polemiker und weitherziger Moralist, sein Lebensweg verschlägt einem den Atem: Kindheit als jüdischer Außenseiter in Ostgalizien, Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg, Starjournalist in der Weimarer Republik, Literat mit Weltruhm. Mit nur 45 Jahren stirbt er als verlorener und verzweifelter Trinker im Pariser Exil. Seine großartigen Romane aus einer untergegangenen Zeit werden heute wieder viel gelesen, die Verfilmungen waren erfolgreich und momentan bringt der Diogenes Verlag hervorragende Hörbuchbearbeitungen auf den Markt. Heinrich Böll brachte es einst auf den Punkt: "In Roth hatte die deutsche Prosa einen schöpferischen Bewahrer, in dem Glanz und Härte, Melancholie und Leichtsinn sich noch einmal fingen." Besonders lesenswert ist die neue Joseph Roth-Biografie von Wilhelm von Sternburg. Schwungvoll und äußerst kenntnisreich wird zum 70. Todestag dieses ungewöhnliche Leben ausgebreitet - ein einzigartiges Zeitbild mit einem einzigartigen Menschen im Mittelpunkt. - Joseph Roth
Beichte eines Mörders
(19)Aktuelle Rezension von: Ein LovelyBooks-NutzerKaum ein Autor der deutschsprachigen Literatur hat durch sein Werk zu seinen Lebzeiten so viel Aufmerksamkeit und Bekanntheit erlangt wie der aus Galizien stammende Joseph Roth. Und kaum einer ist heute so wenig präsent im literaturhistorischen Diskurs wie eben dieser große kleine Mann. Das erzählerische Werk Roths kann gar nicht hoch genug gepriesen werden; allein durch die Wahl seiner Stoffe und seinen ausdrücklich sachlichen und klaren Stil besticht das Gesamtwerk des in ärmlichsten Verhältnissen im Paris des Jahres 1939 verstorbenen Literaten. Mit „Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht“ liefert der Autor einen Roman, der vor allem durch seine psychologische Diktion besticht. Aus der Sicht eines unehelichen Sohnes des russischen Fürsten Krapotkin wird dessen beinahe manisch anmutender Kampf um die Anerkennung als rechtmäßiger Namensträger geschildert. Da es ihm aber strikt untersagt ist, sich Krapotkin nennen zu dürfen, weicht er, unterstützt durch einen halbseidenen Mentor, auf eine Stelle als Geheimpolizist aus, um seinem Ziel näher zu kommen. Ausgestattet mit sämtlichen Privilegien eines Spitzels, begibt sich Golubtschik, so der Name des Erzählers, im Gefolge eines Modemachers und seiner Models nach Paris. Als Tarnung wählt er den Namen Krapotkins, um als falscher Adliger die Vorteile dieses Standes genießen zu können. Zu aller Unglück verliebt sich Golubtschik in ein Mannequin und versucht eifersüchtig, ihrer vollends habhaft zu werden. Verstärkt wird dieser Drang noch durch den Umstand, dass sich kein anderer als ein weiterer Sohn des Fürsten Krapotkin sehr erfolgreich um das Model, Lutetia, bemüht.
Schließlich eskaliert die Situation in einem Pariser Zimmer, in der sich der echte Sohn des Fürsten und das Model aufhalten. Golubtschik gerät in Raserei und schlägt mehrfach äußerst brutal auf das Paar ein. In der Annahme, er habe sie getötet, verlässt er überstürzt das Zimmer und sucht Zuflucht in einer Pariser Kneipe. Hier schließlich erzählt er einer kleinen Schar von Milchbrüdern seine Lebensgeschichte, gleichsam Beicht und Rechtfertigung in einem. Jedoch macht er dabei nicht allein sich für die Tat verantwortlich, sondern gibt auch dem gleichsam teuflischen Wesen der Frauen als auch der Familie Krapotkin eine Mitschuld am Geschehenen. Auch sein Mentor und überhaupt die äußeren Umstände trieben den armen Sohn einer Förstersfrau in die verhängnisvollen Arme des Schicksals.
Der Text wirft hier gekonnt die Frage auf, welche Schuld Golubtschik letztlich an dem gewaltsamen Übergriff hat. Und damit, insgesamt, wie sehr sich Menschen in ihren Handlungen von äußeren Umständen treiben lassen. Vor dem Hintergrund der zur Zeit der Erscheinung des Buches bereits fest installierten Gewaltherrschaft der Nazis in Deutschland keine uninteressante Frage. Auch wird das Verhältnis von Mann und Frau im Kontext einer wilden, oberflächlichen Liebe beleuchtet. Freilich sehr zuungunsten der Frauen, die für den Erzähler nicht weniger als seinen persönlichen Untergang symbolisieren. Es wird deutlich, dass Golubtschik in einer extremen Form von der Oberflächlichkeit und dem flüchtigen Glanz eines adligen Lebens angezogen wird. Um so mehr, als er sich selbst diesem Adel zugehörig fühlt. In der Figur des Getriebenen, des zu allen Mitteln greifenden Geheimpolizisten Golubtschik entwirft Roth gleichzeitig aber auch das Bild des Menschen seiner Zeit. Von Parolen, Uniformen und dem Gefühl einer Übermacht gegenüber anderen ethnischen Gruppen verleitet, drängt die Bevölkerung einer Ideologie zu, die in ihrem Innern aber einen ganz anderen, gleichsam zerstörerischen Kern besitzt. Das, was hoffnungsvoll zu erreichen und zu erkämpfen gilt, sei es die Liebe einer Frau, sei es die Anerkennung des Vaters, oder die Zugehörigkeit zu einer ideologischen Gemeinschaft, trägt in sich das Moment der Vernichtung und Zerstörung der bisherigen Ordnung. Damit ist die „Beichte eines Mörders, erzählt in einer Nacht“ nicht nur ein großes erzählerisches Werk, sondern auch eine Reflexion der alltäglichen Geschehnisse, welche den Exilanten Roth in seiner Wahlheimat Paris an der Vernunft der Menschheit zweifeln ließen.
Vollkommen zu Unrecht wird Joseph Roth in der modernen Literaturlandschaft kaum beachtet, dabei sind seine Bücher viel eher dazu geeignet, moderne Prozesse der Meinungsbildung und –findung in der Gesellschaft zu erklären, als es bei zeitgenössischen Autoren oftmals der Fall ist.
- Volker Weidermann
Ostende – 1936, Sommer der Freundschaft
(8)Aktuelle Rezension von: BuecherschmausEs ist ein Trend, Geschichte als Collage aus lauter kleinen Puzzlestücken, aus Fakten und Anekdoten, Weltgeschichtlichem und ganz Privatem zusammenzusetzten. So entstehen Mischwesen aus biografischem Sachbuch, romanhaftem Einfühlen und fiktivem Füllen von Leerstellen. Ein sehr erfolgreiches Verfahren, das Florian Illies in "1913" oder auch Hans Pleschinski in "Königsallee" auf ihre je eigene Art angewandt haben. Volker Weidermann verfährt nun so mit der Schilderung eines Sommers. Es ist 1936, Deutschland schon fest im Griff des Nationalsozialismus, als sich im belgischen Seebad Ostende noch einmal die berühmten Gäste aus der Kunst- und Literaturszene zur Sommerfrische trafen. Egon Erwin Kisch, Arthur Köstler, Hermann Kesten, Erwin Toller und andere sind hier teils schon aus dem Exil angereist, um noch einmal unbeschwerte Tage zu verleben. Noch glaubt und hofft man, irgendwann in die alte Heimat zurückkehren zu können. Immer mehr zeichnet sich aber ab, das diese Hoffnung vielleicht unerfüllt bleiben wird. Im Zentrum des Buches steht das ungleiche Freundespaar Stefan Zweig und Joseph Roth. Stefan Zweig, der distinguierte, immer etwas abseits stehende Erfolgsschriftsteller und Joseph Roth, haltloser Trinker, literarisch immer weniger erfolgreich, finanziell und gesundheitlich ruiniert verbindet eine innige, aber dennoch distanzierte Freundschaft. Roth klammert sich an Zweig, brüskiert ihn gleichwohl, dieser leidet immer mehr am Verlust der europäischen Welt, die er liebte, kann und will Roth schließlich nicht mehr helfen. In kleinen Momentaufnahmen schildert Weidermann diese seltsame Freundschaft, diese seltsame Stimmung eines Sommers am Vorabend des Untergangs der alten europäischen Welt, der all die hier Versammelten so sehr verbunden waren. Es ist eine Atmosphäre des Abschieds, des Verlusts, die das Buch durchzieht, sehr einfühlsam, manchmal sogar ein bisschen zu gefühlsselig geschildert. Aber es vermittelt eindrucksvoll und kenntnisreich, was diese Menschen seit 1933 verloren haben, was aber auch Deutschland durch Verstoßung seiner intellektuellen Größen verloren hat. Ein Abschied von der "Welt von Gestern", wie Stefan Zweig sein großes autobiographisches Werk, bereits im brasilianischen Exil geschrieben, nennen wird. Am Ende schildert Weidermann, was aus all den Figuren im Laufe der Zeit noch wurde. Das ist in vielen Fällen todtraurig, macht aber Lust darauf, sich ihre Werke, deren Lektüre zumindest bei mir etliche Jahre zurück liegt, wieder einmal hervor zu nehmen.
Ruhig und wunderbar einfühlsam gelesen wird das Hörbuch von Ulrich Noethen.
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