Bücher mit dem Tag "dadaismus"
29 Bücher
- Peter Prange
Himmelsdiebe
(89)Aktuelle Rezension von: AischaManchmal schleiche ich eine ganze Weile um Bestseller herum - zu oft schon musste ich feststellen, dass mein Literaturgeschmack sich nicht immer mit dem der breiten Masse deckt. Nun also, gut zehn Jahre nach Ersterscheinung, habe ich mich doch auf Peter Pranges "Himmelsdiebe" eingelassen.
Der kunstinteressierte Leser findet recht schnell zahlreiche Parallelen zwischen den beiden Protagonisten Harry Winter und Laura Paddington und ihren realen Vorbildern, dem deutschen Maler Max Ernst und seiner Geliebten Leonora Carrington. Da mag der Autor - im Vorwort, Nachwort und zahlreichen Interviews - noch so sehr betonen, dass er keine Tatsachen-Biografie geschrieben hat, sondern ein Porträt zweier Liebender mit viel künstlerischer Freiheit und erfundenen Handlungen. Nicht nur die vorangestellten Zitate von "M.E." und "L.C." sondern auch etliche Nebenfiguren stoßen einen förmlich auf das historische Umfeld, sei es Max Ernsts Sohn Jimmy (im Roman: Bobby) oder Max´ zweite Ehefrau Marie-Berthe Aurenche (alias Florence). Und auch die Selbstdarstellung des Künstlers als Vogelfigur "Loplop" bzw. "Dada" darf nicht fehlen.
Nun bietet Max Ernsts Leben mehr als genug Stoff für einen mitreißenden Roman. Markus Orths hat mit "Max" gezeigt, wie man diesen Ausnahmekünstler mit enormem Frauenverschleiß in eine Geschichte mit großer Sogkraft packen kann. Peter Prange ist dies nur zum Teil gelungen.
Sind die ersten Kapitel noch fesselnd und interessant, so wird im weiteren Verlauf nicht nur Lauras Geisteszustand sondern auch der Plot des Romans zunehmend wirr. Lauras Psychose nimmt viel zu viel Raum ein, es wird mythisch und langatmig. Sogar die Schilderungen des Alltags im französischen Gefangenenlager, in das Harry gerät, ziehen sich wie Kaugummi in die Länge.
Das Künstlerpaar fasst den Wahnsinn als "mutige Geisteserfahrung" auf, nimmt gerne diverse Rauschmittel, um die Kreativität zu steigern, und selbst Lauras Psychose schreckt Harry nicht, im Gegenteil, er ist neidisch, dass sie "die andere Seite" kennen lernen durfte.
Laura immerhin darf eine Entwicklung erfahren und begreift vieles als Schrecken, während Harry konsequent auf dem Ego-Trip bleibt, den er bereits als junger, verantwortungsloser Vater begann.
Auch sprachlich ist der Roman recht durchwachsen. Es gibt durchaus gelungene Bilder, etwa wenn Bobby über Harrys künstlerische Obsession nachdenkt: "Alles riss sein Vater aus dem Leben heraus, um es in Kunst zu verwandeln." Aber leider gibt es auch grobe Fehler. Etwa wenn Prange schreibt: "Manchmal musste er nachts Hand an sich legen." Eigentlich ist dies eine Umschreibung für einen Suizid. Prange benutzt den Ausdruck jedoch (fälschlicherweise) als Umschreibung sexueller Selbstbefriedigung. "Dieselbe" wird statt "die gleiche" verwendet, und oft gleitet die Erzählung in Kitsch à la Rosamunde Pilcher ab. Damit nicht genug, auch eine Prise Rassismus findet sich, etwa wenn ein arabischer Wachsoldat als "hübscher junger Mann mit Tieraugen" beschrieben wird. Geht´s noch?!
Ich verstehe weder, was Laura an Harry so faszinierend fand, noch wieso Prange über diese kranke Beziehung einen Roman schreiben wollte, und schon gar nicht, wieso dieser auch noch ein Bestseller wurde. Für mich leider nur ein mittelmäßiger Lesegenuss.
- Loel Zwecker
Vom Anfang bis heute
(19)Aktuelle Rezension von: WolfhoundLoel Zwecker komprimiert uns hier die Weltgeschichte auf unter 500 Seiten.
Dabei schafft er es durch seinen Schreibstil, aber auch durch vereinzelt eingestreute unnütze Anekdoten, den manchmal doch recht trockenen Geschichtsaspekt aufzulockern. An einigen Stellen konnte ich mir ein Schmunzeln oder auch Lachen nicht verkneifen.
Die Themen sind gut aufgearbeitet und machen auch Spaß. So bekommt man einen schönen knackig kurzen Einblick in vielen Aspekte unserer Geschichte.
Jedoch werden auch hier (unvermeidbare?!) Schwerpunkte wie z. b. die französische Revolution gesetzt und andere Bereiche werden nur angerissen. So werden Jahrhunderte der afrikanischen Geschichte nur wenige Seiten.
Auf der anderen Seite sind so schwierige Themen wie Rassismus und die Kolonialisierung meiner Meinung nach gut dargestellt und aufgearbeitet.
Leider ist der lockere, moderne Stil des Buches auch auf einigen Strecken etwas anstrengend und die Coolness und der Humor wirken zu gewollt, was mir zum Ende hin den Lesespaß etwas verhagelt hat. Dennoch ist es ein absolut lesenswertes Buch, aus dem man einiges mitnehmen kann und das mein Wissen in einigen Belangen doch wieder sehr aufgefrischt hat
- Sophie Villard
Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück
(66)Aktuelle Rezension von: Stephanie_RuhDas Buch spielt in den Jahren 1937 bis 1942. Von der anfangs sorglosen Zeit, umgeben von Künstlern, bis zur Zeit des 2. Weltkriegs, in der es nicht nur um Kunst, sondern auch ums eigene Überleben geht. Peggy Guggenheim möchte die Kunst fördern, ein eigenes Museum haben. Das ist nicht so einfach, grade als Frau. Doch Peggy schafft es, wenn sie zwischendrin auch auch aufgeben muss.
Sophie Villard schafft es mit "Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück", ein lebendiges Bild dieser interessanten Frau zu erschaffen. Einer Frau, die nicht nur für die Kunst, sondern auch für Männer schwärmt. Durch die berühmten Namen von Malern, Künstlern und Autoren lernt man noch einiges dazu. Das Buch war von Anfang bis Ende interessant, ich habe mich keinen Augenblick gelangweilt.Das Cover ist mir zu unauffällig, da hätte ich noch mehr Bezug auf den Namen Guggenheim erwartet. Der Schreibstil der Autorin ist klar und unterhaltsam, trotz der nicht immer fröhlichen Themen. Am liebsten würde ich mir jetzt direkt ihr Museum in Venedig anschauen!
- Walter Benjamin
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
(31)Aktuelle Rezension von: SabWeKnapp 40 Seiten umfasst Walter Benjamins berühmter Aufsatz zur technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken und gilt trotz dieser Kürze als „Gründungsdokument der modernen Medientheorie“.
In seinem Essay befasst sich Benjamin mit der Frage, wie die Möglichkeit, Kunstwerke unendlich zu reproduzieren, unsere Wahrnehmung von Kunst und unsere Bewertung und Interpretation von Wirklichkeit verändert.
Der Aufsatz entstand 1936, als Benjamin selbst sich bereits ins Exil flüchten musste, und entstand daher vor dem Hintergrund des sich zum Massenphänomen entwickelnden Faschismus. Doch hat er auch mehr als acht Jahrzehnte später noch nichts an Bedeutung verloren, weshalb er aus meiner Sicht unbedingt auf den Kanon jener Werke gehört, die in allen Schulen und Universitäten gelesen werden sollten.
Fragen, mit denen ich dem Text begegne
Gelesen habe ich Benjamins Essay mit ganz eigenen Fragen im Kopf. Ich befasse mich derzeit sehr intensiv mit der Frage, wie sich unsere sinnliche Wahrnehmung durch die Nutzung von Technologien verändert. Mich interessiert insbesondere das Phänomen des Gaffens, mit dem sich Rettungskräfte heute immer häufiger konfrontiert sehen. Dieses steht für mich in einem Zusammenhang mit einer neuen Form von Gewalt: Dem Cybermobbing und speziell dem Hochladen von entwürdigenden und gewalttätigen Aufnahmen am Smartphone.
Meine Thesen dazu lauten, dass
- sich durch den massenhaften Konsum von technisch vermittelten Bildern die Wahrnehmung vieler Menschen bereits vehement verändert hat.
- Gaffer und Gewalttäter, die ihre Taten filmen, sich mit dem Smartphone verbinden, nicht aber mit dem Geschehen, das sie aufnehmen. Dies umso mehr, da es sich zumeist um Laien handelt, die die Technologie nicht „im Griff“ haben.
- diese Menschen etwas „Einzigartiges“ schaffen wollen, was erst dadurch an Wert gewinnt, dass sie es anschließend wie ein Kunstwerk in ihre Netzwerke hochladen und präsentieren können.
Alle drei Thesen sehe ich durch Benjamins Aufsatz bestätigt.
Echtheit und Aura unterscheiden Original und Kopie
Walter Benjamin thematisiert in seinem Essay wie die technologische Reproduzierbarkeit von Kunst unsere Wahrnehmung verändert. Das Werk legt den Schluss nahe, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesem Wandel und dem Aufkommen des Faschismus gibt, da Massenkultur und Faschismus verschiedene Aspekte eint.
Um Benjamins Ausführungen folgen zu können, ist es allerdings notwendig, eine Prämisse zu akzeptieren, die wegen ihrer Begrifflichkeit zunächst irritieren dürfte. Benjamin unterschied das Kunstwerk als Original von seiner Kopie durch den Begriff der Echtheit, die schließlich dazu führt, dass das Original eine jeweils eigene „Aura“ umgibt. Damit ist allerdings kein Geistwesen oder eine spirituelle Energie gemeint. Die Aura des Kunstwerkes ergibt sich aus dessen
- Einzigartigkeit,
- Bezug zum Hier und Jetzt,
- Entstehungsgeschichte,
- Bezug zu einem Ritus oder einer Tradition.
Die Aura sorgt für eine gewisse Distanz des Betrachters, durch die allein er das Kunstwerk genießen und wahrnehmen kann. Insgesamt erlangt das Original damit eine Autorität, die der Kopie fehlt. Die technische Reproduktion verfügt über keine solche Aura und verzichtet auf jeden Anspruch auf Echtheit.
Verlust der Aura und Ausbettung führen zur Veränderung der sinnlichen Wahrnehmung
Die technische Reproduktion hebt das Kunstwerk aus all diesen Zusammenhängen heraus. Es lässt sich beliebig oft kopieren, überall aufstellen oder an die Wand hängen, verliert den Anspruch auf Echtheit, Einzigartigkeit und Autorität. Der Konsum technisch reproduzierter Kunstwerke verändert damit auch die Wahrnehmung – und zwar nicht in einem irgendwie übertragenen Sinn, sondern ganz konkret.
Denn die „Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt. Verschiedene Epochen haben nicht allein unterschiedliche Kunststile, sondern auch verschiedene Arten der Wahrnehmung“ (Kapitel III). Das Einzigartige weicht innerhalb einer unendlich kopierbaren Wirklichkeit dem Gleichartigen.
Die Masse macht’s – Reproduktionstechnologien aus Sicht des Kapitals
Die Investition und Weiterentwicklung in Reproduktionstechnologien lohnt sich aus wirtschaftlicher Sicht jedoch nur, wenn sie von den Massen angenommen werden oder für die Massenproduktion genutzt werden. Im vierten Kapitel seines Aufsatzes führt Benjamin diesen ökonomischen Ansatz seines Essays am Beispiel Film aus. In diesem sei „die Massenproduktion schon deshalb angelegt, weil die Produktion selbst so teuer ist, dass sie sonst nicht leistbar wäre“.
Die Massenproduktion muss daher zwangsläufig einen allgemeinen Geschmack hervorbringen und wird gleichzeitig von dem, was die Masse wünscht und fordert, beeinflusst. Kunst, so interpretiere ich diesen Gedanken, steht dieser Masse dann nicht mehr als Gegenstand der Betrachtung zur Verfügung, sondern entspringt ihrer Vorstellung, was Kunst sein soll und sein darf. Diese Allgemeintauglichkeit aber geht mit einer Verflachung einher, da das, was allen gefallen soll, eben nicht einzigartig und besonders sein darf.
Verbindung mit dem Apparat statt mit dem Kunstwerk oder dem Künstler
Benjamin stellt der technischen Produktion von Filmen die Aufführung von Theaterstücken gegenüber. Er verdeutlicht dabei, dass das Theaterstück wesentlich von der Leistung der Darsteller abhängt, mit denen sich der Betrachter verbindet. Im Film dagegen kommt der schauspielerischen Leistung untergeordnete Bedeutung zu.
Nicht er repräsentiert die Darbietung, sondern die technische Apparatur. In der Folge gibt es „keinen Kontakt zwischen Darsteller und Publikum. Dieses fühlt sich in den Darsteller nur rein, indem es sich in den Apparat einfühlt“ (Kapitel VIII). Auch der Darsteller und damit der Mensch verliert somit im Film seine Aura, an deren Stelle der „Starkult“ tritt, „der einem Warencharakter entspricht“ (Kapitel X).
Schockwirkung statt Kontemplation
Und während das Kunstwerk zur Kontemplation einlädt, setzen technologische Darstellungsmittel auf die Schockwirkung einer bis dato unbekannten, distanzlosen Betrachtungsweise.
„Die beweglichen Bilder besetzen den Platz der eigenen Gedanken, der eigene Assoziationsablauf wird dadurch unterbrochen. Darauf beruht die Schockwirkung des Films, die wie jede Schockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will“ (Kapitel XIV).
Diese Schockwirkung aber entspricht dem Gefühl der Bedrohung, der sich der Mensch in seiner Zeit ausgesetzt sieht. Der Film spiegelt damit auch Veränderungen im Wahrnehmungsapparat, wie sie beispielsweise „jeder Passant im Großstadtverkehr“ erlebt und vollziehen muss, um mit diesen Gefahren umgehen zu lernen (XIV).
Verlust an Anspruch und Erfahrung
Durch die Einbeziehung der Massen in die Rezeption von Kunst, wird bei diesen auch das Begehren geweckt, sich selbst als Künstler oder in verwandter Art zu betätigen. Benjamin führt dies am Beispiel „Schreiben“ aus. Während zunächst „einer geringen Zahl an Schreibenden eine vieltausendfache Zahl von Lesenden gegenüberstand“, zeigt sich der Wandel darin, dass um die Wende zum 20. Jahrhundert „immer größere Teile der Leserschaft […] unter die Schreibenden“ geriet (Kapitel X).
Damit verliert nicht nur die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum an Bedeutung. Verloren geht auch der Anspruch, dass es bestimmter Erfahrungen, Kenntnisse und Talente bedarf, um sich als Autor, Journalist oder Kommentator an ein Publikum zu wenden.
Aus Fortschritt wird Lust am eigenen Untergang
Das Fortschrittliche, das man in einer solchen Entwicklung sehen könnte, relativiert sich durch den Umstand, dass durch die technische Reproduzierbarkeit von Kunstwerken „die Lust am Schauen und am Erleben“ eine „innige Verbindung mit der Haltung des fachmännischen Beurteilers eingeht“. Dabei fallen „die kritische und die genießende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kritisiert man mit Widerwillen“ (Kapitel XII).
In dieser Hinneigung zum Konventionellen besteht die Chance von Faschismus und Totalitarismus, den Massen das Gefühl zu geben, dass man ihnen zum Ausdruck verhelfen wolle, indem man ihre Sinneswahrnehmung mit technischen Reproduktionen bedient, besetzt und lenkt.
„Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt“ (Nachwort).
Bedeutung für die Gegenwart und Fazit
Walter Benjamins Essay über das „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ ist von einer genialen Prägnanz und Voraussicht. Er geht über das Verständnis von Kunstwerken und deren Rezeption weit hinaus. Benjamin versuchte nicht, im Sinne einer Elite, die heilige Kunst für eine auserwählte Schar zu retten, sondern leistete einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Faschismus, indem er auf Aspekte und Zusammenhänge einging, wie sie in Werken zur politischen Ökonomie kaum vorkommen.
Übertragung aufs Heute: Verlust an Wahrnehmung und Verbindung mit Apparaten
Seine Ausführungen lassen sich auf die gegenwärtige Digitalisierung von Kunst, aber auch von gesellschaftlichen und politischen Prozessen übertragen und gedanklich weiterführen. Was wir derzeit erleben, gleicht einem evolutionsgeschichtlichen Bruch in der Geschichte des Sehens und Wahrnehmens. Gaffer und filmende Gewalttäter gehören bereits heute zu den Auswüchsen dieser Veränderung. Es sind Menschen, die sich voll und ganz mit der Apparatur verbinden, nicht aber mit der leidenden Kreatur.
Tendenzen zu Faschismus und Totalitarismus
Auch die Tendenzen zu Faschismus und Totalitarismus, die Beliebigkeit der Entstehung und Verbreitung von Nachrichten, die Meinungsbildung ohne jegliche Erfahrung oder Auseinandersetzung mit einer Thematik und mit den Medien zu ihrer Verbreitung gehören dazu und sind deutlich erkennbar. Und ganz im Geiste des Faschismus wenden sich heute bestimmte Parteien an die vermeintlich unerhörte Masse, der sie zum Ausdruck verhelfen wollen, aber „beileibe nicht zu ihrem Recht“. Wie damals versucht man heute, „die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten“ (Nachwort).
Fortschritt als Pakt mit dem Kapital: Mensch ohne Aura
Doch sind es nicht die ewig Rückwärtsgewandten, die mir allergrößte Sorge bereiten. Es ist der Begriff des Fortschritts, der in Benjamins Schrift einen ungewohnten Stellenwert erhält. Auch heute ist jeder Fortschritt an einen ökonomischen Gegenwert gebunden. Er muss sich lohnen, muss die Masse erreichen, sie sich zunutze machen und von ihr angenommen werden.
„Das Kapital“ braucht dafür ein Individuum ohne Aura – eines, das entwurzelt und beliebig sein kann, was immer es zu sein wünscht. Denn nur ein solches Individuum erfindet sich beständig selbst und neu und bleibt dabei doch purer Konsument von Reproduktionstechnologien – sei es nun im künstlerischen, sei es im medizinischen oder auch in jedem erdenklichen anderen Bereich.
Automatisierung und Roboterisierung – es gibt Wichtigeres zu besprechen
Die Ausbettung des Originals aus seinem Zusammenhang, die Täuschung unserer Wahrnehmung, die Verbindung mit Apparaten statt mit Kreaturen und der Verlust an praktischer Erfahrung sind wichtige Merkmale und Begleiterscheinungen jenes Prozesses, den wir als digitale Transformation bezeichnen.
Im Gegensatz zu Automatisierung und Roboterisierung der Arbeitswelt, die letztlich nur das logische Ende der Rationalisierung darstellen, haben wir diese aber kaum im Blick. Nachdem ich Benjamins Essay gelesen habe, wird mir einmal mehr klar, dass es dringend an der Zeit ist, dies zu ändern.
Unbedingte Leseempfehlung!
- Helge Schneider
Zieh dich aus, du alte Hippe
(39)Aktuelle Rezension von: Yoyomaus"Zieh dich aus du alte Hippe" ist der erste Teil der Kriminalreihe rund um den verschrobenen Kommissar Schneider. Helge Schneider. Seines Zeichens der Kommissar der Kommissare, kein Auge bleibt bei ihm trocken. Er prügelt sich durch sein Arbeitsleben und schafft es immer mit Müh und Not den verzwicktesten Situationen zu entkommen, sei es ein Schuss millimeterknapp neben dem Herzen oder eine Lavafontaine inmitten des Stadtteil seines Reviers. Kommissar Schneider höchstselbst ist ein Fuchs, lässt gern Leichen und somit andere Kriminalfälle liegen, denn er hat eine viel wichtigere Aufgabe, er muss den Frauenmörder finden, dabei ist er ihm schon so einige Male begegnet.
Der Grundgedanke an der ganzen Sache ist sicher nicht schlecht und hätte spannender verpackt werden können. An einigen stellen gab es etwas zu lachen, an anderen musste man einfach nur den Kopf schütteln, denn Helge schreibt sich von einem Extrem ins nächste. Wer tiefgründige Texte sucht, der ist hier völlig fehl am Platz. Jedoch kann man mit einer ordentlichen Portion Humor dieses Buch durchaus mal lesen. Aber erwartet wirklich nicht zu viel. Ich denke das Buch wurde lediglich verlegt, weil der Helge berühmt ist, ansonsten hätte er damit keine Chance gehabt. Ab und an ist die Wortwahl aus unter der Gürtellinie oder die Art, wie der Kommissar mit seinem Gegenüber umgeht. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass der Helge mit dem Buch total abgedreht ist. Mit Kunst hatte es meiner Meinung nach sehr wenig zu tun. - Mina König
Mademoiselle Oppenheim – Sie liebte das Leben und erfand die moderne Kunst
(35)Aktuelle Rezension von: Lia48"Die wahre Kunst kommt von hier drinnen. Nicht aus einem Lehrbuch oder von einem Lehrmeister. Wir müssen einfach die Rationalität ausschalten und der Kunst freien Lauf lassen."
INHALT:
Meret stammt aus der Kleinstadt Steinen an der Grenze zur Schweiz.
Sie versucht, als Künstlerin Fuß zu fassen. Doch für ein Kunststudium in Basel sind ihre Skulpturen und Zeichnungen zu ausgefallen.
Schon als Kind steckte der kreative Freigeist in ihr. So hatte sie beispielsweise in der Schule statt den Eltern, zwei Frösche gezeichnet.
Meret sehnt sich nach Inspiration, die sie im konservativen Umfeld und im alltäglichen Trott nicht finden kann.
All ihre Hoffnung setzt sie nun auf Paris, eine offene, lebhafte Stadt, voller unbegrenzter Möglichkeiten!Paris, 1933: Seit einem Jahr befindet sich Meret Oppenheim nun in der französischen Hauptstadt. Es fällt ihr nicht immer leicht, finanziell über die Runden zu kommen.
Ab und zu verkauft sie einzelne Stücke ihrer Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, etc. oder fertigt auf Wunsch Porträts an.
Bis sie für die führende Modemacherin Elsa Schiaparelli schließlich Accessoires entwerfen darf. Außerdem experimentiert sie mit Kunst aus Alltagsgegenständen und feiert erste Erfolge…Besonders im Kreise der Surrealisten findet Meret Freunde und Bekannte.
Diese tummeln sich vor allem im „Café de Flore“, sitzen täglich an ihrem Stammplatz beisammen, inspirieren und motivieren sich gegenseitig und stellen gemeinsam ihre Kunstwerke aus. Unter ihnen weilen u. a.: Alberto Giacometti, Hans Arp, André Breton, Marcel Duchamp, Max Ernst, Man Ray, Pablo Picasso, Joan Miró und Salvador Dalí.
Mit Alberto und André verbindet Meret bald eine enge Freundschaft, André gibt den Ton in der Gruppe an, Man Ray knippst Nacktfotos von ihr (woraufhin ihre Eltern entsetzt sind) und mit Max Ernst beginnt sie eine Affäre.
Doch Meret merkt, dass sie ihre Freiheit braucht. Sie will nicht nur Muse sein und fühlt sich immer eingeengter. Sie muss atmen können und sucht schließlich ihren eigenen Weg, zwischen Kunst und Liebe…
MEINUNG:
Da ich Romane über Kunst und Künstler*innen liebe, war klar, dass ich das Buch lesen muss.
Vorher wusste ich nichts über Meret Oppenheim. Das Buch konnte sie mir als Mensch und als Künstlerin etwas näherbringen.
Frauen hatten es damals nicht leicht, unter männlichen Künstlern ernst genommen zu werden. Doch Meret lässt sich nicht unterkriegen. Und ihre Kontakte zu den Surrealisten sind durchaus von Vorteil.
Die Protagonistin war mir von Anfang an sympathisch. Sie tanzt gerne aus der Reihe, wirkt rebellisch, möchte sich selbst verwirklichen, sagt, was sie denkt, macht, was sich richtig anfühlt und lässt sich nicht den Mund verbieten.
Eine starke Frauenfigur!Besonders gut sind der Autorin die Schilderungen vom bunten Leben in Paris gelungen. Atmosphärisch beschreibt sie die Straßen und Cafés sowie die ganze Künstler-Szene.
Das Café de Flore ist als Angelpunkt des Buches gut gewählt. Hier treffen sich Künstler und Surrealisten und feiern das Leben.
Da würde man nach dem Buch am liebsten selbst mal hingehen!
Ich fand es spannend und beflügelnd, in die Kunstwelt der Surrealisten abzutauchen. Auch wenn sie mir immer wieder total verrückt vorkommen, so faszinieren sie mich auch auf irgendeine Art und Weise und, dass man unter ihrer Gesellschaft Kreativität schöpfen kann, glaube ich sofort!Das Buch beschränkt sich mit den Jahren 1933 bis 1936 auf einen nur kleinen Ausschnitt von Merets Leben, was ich aber in Romanen häufig besser finde, da man sich so detaillierter und tiefer in die Geschichte hineinziehen lassen kann.
Tatsächlich hat mich das Buch sehr neugierig auf die Werke der Künstlerin gemacht.
Besonders interessant und bewundernswert fand ich, wie Meret gewöhnliche Alltagsgegenstände in Kunst verwandelte, wie z. B. Armreifen aus den Ringen für Vorhänge, um die sie Stoff wickelte, ein Tee-Service, das mit Pelz umwickelte, usw.). Auch wenn ich hoffen würde, dass ihr das heutzutage ohne tierische Produkte gelingen würde…Vor allem ab etwa der Hälfte des Buches lag für mich der Fokus etwas zu sehr auf Merets Männergeschichten, doch letztendlich hat mich ihr künstlerisches Schaffen und die Künstler-Szene immer wieder zurückgeholt. Etwas mehr Konzentration auf dem Erschaffen von Kunstwerken hätte ich persönlich bevorzugt.
Ansonsten liest sich der Roman recht leicht und süffig und erfordert nicht allzu viel Konzentration. Auch solche Bücher braucht es ab und zu!
FAZIT: Ein leichtes, flüssig lesbares Buch über die Künstlerin Meret Oppenheim im Paris der 30er-Jahre, ihr Leben, ihre Liebe, ihr künstlerisches Schaffen und die Surrealisten-Szene. Wen das anspricht, dem erteile ich gerne eine Buchempfehlung! 4-4,5/5 Sterne! - Marco Toccato
Amor Amaro und die tote Nachbarin
(9)Aktuelle Rezension von: bk68165
Der Detektiv Amor Amaro wird eigentlich durch einen Zufall in die Ermittlungen zum Mordfall an der bekannten Autorin Loretta Leindeetz verstrickt. Loretta ist die Nachbarin der Familie Kleinert. Mit Hans Kleinert ist Amor seit seiner Kindheit befreundet. Und auch heute noch hält diese Freundschaft, auch zu Hans Ehefrau Kerstin, an. Und die Kleinerts haben seit längerem einen Nachbarschaftsstreit der besonderen Art mit Loretta Leindeetz. Auch deren neuer Lebenspartner Dr. Volkhart Einfried sorgt nicht gerade für ein harmonischeres Zusammenleben der beiden Parteien. Hat dieser doch schon das ein oder andere versucht seinem Nachbar Hans in die Schuhe zu schieben. Und somit steht Hans auf einmal auf der Tatverdächtigenliste der Polizei ganz oben. Aber zum Glück gibt es da noch Amor. Und zum Glück hat Amor auch gute Beziehungen überall hin. Vor allem sein Neffe Toni wird im sehr gut helfen können. Und Amor wird bald sehen, dass vielleicht nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.
Nun zu meiner persönlichen Meinung zu diesem Buch. Der Autor hat es perfekt geschafft die zeitlichen Sprünge zwischen der Vergangenheit und den aktuellen Ereignissen zu meistern. Den Detektiv Amor muss man einfach mögen. Seine italienischen Wurzeln schlagen immer mal wieder durch und er weiß mit Charme und Können Probleme zu lösen. Manchmal stelle ich mir schon die Frage wie viel Marco Toccato in Amor steckt? Der Mordfall ist interessant und einfach mal was anderes und die Wendung ist der Geschichte setzt dem Buch noch das Krönchen auf. Vielleicht sollte der Autor bei weiteren Werken den Leser mit technischen Details ein wenig verschonen, aber ansonsten kann ich hier gerne 5 Sterne vergeben. - Markus Orths
Max
(4)Aktuelle Rezension von: Daphne1962Markus Orths - Max - gelesen von Torben Kessler
Markus Orths hat in seinem Roman den bedeutenden Künstler, Maler, Bildhauer und Grafiker Max Ernst (1891-1976) wieder aufleben lassen. Bisher habe ich mich nicht all zuviel mit seiner Kunst befasst. Aber, wenn man diese sehr interessante Biografie hört, dann bekommt man Lustsich mehr mit dem Künstler auseinander zu setzen. Er gehörte zu den Künstlern, die den Dadaismus erfunden und geprägt haben. Er schlosssich in Frankreich den Surrealisten an, einer politisch geprägten Gruppe.
Aufgewachsen war der Künstler in einer sehr gläubigen Familie von der er sich früh befreite um seine "Freiheit" zu genießen und zu leben.Allerdings wurde er früh in den 1. Weltkrieg einberufen, da war er mal gerade 15 Jahre alt.
Wie viele Künstler war auch Max Ernst den Frauen sehr zugetan. Bürgerliche Konventionen scherten ihn nicht. Er lebte sogar eine Art Dreierbeziehung mit Eluards in Paris. Seine 1. Ehe mit der Jüdin Luise Straus, aus der der Sohn Jimmy Ernst hervor ging, scheiterte an seinem Freiheitsdrang. In der 2. Ehe heiratete er eine wesentlich jüngere Frau Namens Marie-Berthe Aurenche. Danach folgte Meret Oppenheim, eine junge Künstlerin.
Peggy Guggenheim, die sich den Künstler krallte, nachdem beide gemeinsam in die USA geflüchtet sind, wurde auch nicht glücklich mit ihm bzw. er auch nicht mit ihr. Erst in seiner letzten Ehe mit der Malerin Dorothea Tanning schien er angekommen und geläutert zu sein. Diese Ehe hilt bis zu seinem Tod im Jahr 1976.
Ich fühlte mich gut unterhalten und habe einiges interessantes erfahren über den Künstler. Er war sehr vielseitig und ist im Leben weit gereist. Wer sich für Künstlerbiografien interessiert und auch gerne mal in Ausstellungen geht, dem kann ich dieses Buch bzw. Hörbuch sehrempfehlen.
- Daniil Charms
Fälle
(6)Aktuelle Rezension von: FerranteDer unter dem Pseudonym Daniil Charms (1905-1942) schreibende russische Schriftsteller war zu Lebzeiten relativ unbekannt und geriet nach seinem Hungertod im Gefängnis bald in Vergessenheit. Ende des 20. Jahrhunderts jedoch gab es auch in Deutschland ein Wiederaufleben der Werke Charms', von dem auch diese Übersetzung des Erzählzyklus' "Fälle" bestehend aus Kurzprosa und Dialogen Zeugnis ist. Charms ist absurd, grotesk, surreal und nihilistisch und greift Entwicklungen wie dem Dadaismus und (durch sein Spiel mit Lesererwartung und Erzählhaltungen) der Postmoderne voraus. Als Beispiel dazu die kürzeste Kurzgeschichte aus "Fälle": Begegnung Da ging einmal ein Mann ins Büro und traf unterwegs einen anderen Mann, der soeben ein polnisches Weißbrot gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles. Hinter dem Spiel mit dem Absurden lauert jedoch die Trostlosigkeit der damaligen Zeit und Charms' Leben in Form von Gewaltorgien, Nihilismus und der fehlenden Achtung für das menschliche Leben. Das Reclam-Büchlein hat man auch schnell durch und das Nachwort zu Charms' Leben und Werk ist sehr informativ. - Kurt Schwitters
Eile ist des Witzes Weile
(6)Aktuelle Rezension von: KurileAus Kurt Schwitters Rechtschreibreform: 1) alle unnötigen buchstaben meiden 2) jeede ungedeente Silbe ist an sich kurts (wen an stelle des früheren wenn) 3) soll eine silbe lang werden, soo wird deer wookaaal ferdoppelt (ween an stelle des früüheren wen) an stelle der eehemaaligen wilküur eine loogik ? schwitterswile ? meint Kurile - Eva M. Kaifenheim
Aspekte der Kunst
(1)Aktuelle Rezension von: MerithynFür Kunstinteressierte die sich einen Überblick machen wollen oder aber auch ihr Kunstverständnis vertiefen wollen, ebenso für Schüler ein wunderbares Buch. Das Buch ist in drei Abschnitte zu teilen. Im ersten Teil werden wichtige Vorraussetzungen für das Kunstverständnis erörtert, wie die Kreativität, die Farbenlehre etc., außerdem ist er mit dem zweiten und dritten Teil ("Stilgeschichte der Malerei" und "Stilgeschichte der Architektur und Plastik") durch Querverweise verbunden. In den beiden stilgeschichtlichen Teilen übermittelt uns die Verfasserein in erster Linie ein vertieftes Kunstverständnis. Es geht hierbei nicht um die Vollständigkeit des Wissens, was das Buch sehr übersichtlich bleiben lässt. Hierbei kann es natürlich auch vorkommen, dass einige Künstler bestimmter Epochen nicht erwähnt oder erläutert werden. So vermisse ich persönlich Alfons Mucha als Vertreter des Jugendstils. Trotzdem ist das Buch sehr empfehlenswert, besonders für die Abiturvorbereitungen in Kunst. Zu weiteren Erklärungen von Kunstbegriffen befindet sich ein "erklärendes Fachwortverzeichnis" im Anschluss an den dritten Teil. - Lars Fiske
Kurt Schwitters - Jetzt nenne ich mich selbst Merz
(1)Aktuelle Rezension von: katrinMMKurt Schwitters war Dichter der "Ursonate", die er mit viel Euphorie vortrug (gibts noch auf Youtube zum Nachhören). Dazu erschuf er seine Collagen-Skulpturen, die Merzbauten. Sein ganzes skurriles Künstlerleben fasst Lars Fiske in eine herrlich leichtfüßige Graphic Novel. Und doch ist es alles andere als bloß humorige Unterhaltung. Fiske zeichnet auch seine Recherchereisen zu den letzten verbliebenen Merzbauten, zu den letzten Lebensstationen Schwitters' nach. So leuchtet er das Leben des Dadaisten aus und rettet ihn vor dem Verschwinden aus dem kulturellen Gedächtnis. Eine große Leistung und ein launiger Lesegenuss! - Katja Kulin
Gala Éluard
(1)Aktuelle Rezension von: seschatGala Éluard (1894-1982) ist weithin als Muse des surrealistischen Künstlers Salvador Dalí, der sie in unzähligen Bildern verewigte, bekannt. Doch Gala war mehr als das schöne Anhängsel des großen Maestro. Die aus Russland stammende Jelena Dmitrijewna Djakonowa wuchs in einfachen Verhältnissen auf und liebte die schönen Künste. Während eines Kuraufenthalts in Clavadel lernt sie 1913 den ebenfalls lungenkranken Paul Éluard ihren späteren ersten Ehemann kennen. Beide kommen trotz des aufziehenden Ersten Weltkriegs und Widerstände der Eltern bald zusammen. Auch beruflich harmonieren sie wunderbar miteinander, gemeinsam arbeiten sie an seiner Zweitkarriere als Lyriker. Später lernt sie durch ihn dann den deutschen Dadaisten Max Ernst kennen und lieben - ein Zustand den Paul anfangs goutiert. Doch mit der Zeit leben sich Paul und Gala trotz der Tochter Cécile, die bei den Großeltern aufwächst, auseinander. Nach einen abermaligen Versuch, die offene Ehe zu retten, fällt ihr Augenmerk auf den katalanischen Ausnahmekünstler Salvador Dalí. Für beide ist es die große Liebe. Der scheue Verrückte aus Spanien wird zu ihrem Projekt und zweiten Ehemann. Sie inspiriert ihn und managt zudem alles Geschäftliche, wozu er keine Lust hat. Lange Zeit sind sie ein eingespieltes Team, weil beide im jeweils anderen einen Seelenverwandten entdecken. Ob in Spanien, Amerika oder Frankreich, überall gibt es Dalí und Gala fortan nur im Doppelpack. Doch die ewige Show und Dalís öffentliche Verrücktheiten und Schaffensdrang reichen ihr irgendwann nicht mehr und man lebt nebenher bzw. Gala zieht sich mehr und mehr ins Private zurück.
Katja Kulins biografischer Roman las sich ausgesprochen spannend und leichtfüßig. Obschon die Autorin nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen den interessantes Lebensphasen von Gala hin und her springt, ist das 221-seitige Werk recht aufschlussreich; auch weil Kulin hinter die Fassade von Dalís Muse schaut, auf persönliche Wunden eingeht und die zeithistorisch prägenden Ereignisse (Weltkrige, Spanischer Bürgerkrieg) miteinbezieht. Gala war eine starke, emanzipierte Frau in Zeiten des spanischen Machismo & Co. Kein Wunder, dass sie deshalb auch als Hexe galt, gerade weil sie wechselnde Beziehungen unterhielt und sich extravagante Mode etc. leisten konnte. Dass sie eine große Kunstfördererin mit eigenen geheimen Ambitionen war, wollte niemand sehen. In ihr Innerstes ließ sie zeitlebens nie wirklich jemanden blicken. Eine Ausnahme stellen hierbei die 2001 entdeckten unveröffentlichten Aufzeichnungen von Gala dar, welche Kulin mit in den Roman einfließen ließ. Weiterhin nutzte die Autorin Galas vielfach erhaltenen Briefverkehr als Quelle für ihre luzide und gleichermaßen effektvolle Darstellung. Anders als ihre berühmten Lebensgefährten wollte sie nie selbst berühmt werden bzw. scheiterte an den eigenen hohen Ansprüchen. Kurzum, Gala polarisierte und polarisiert immer noch. Letzteres fängt das Cover, welches Gala mit dem typischen Dalíbart zeigt, sehr treffend ein. Zudem kann sich der Leser mithilfe der im Buch enthaltenen Fotos ein gutes Bild von Gala machen.
FAZITEine Biografie, die versucht Gala Éluards Wirken und Denken auf kurzweilige Weise gerecht zu werden, was Kulin sehr überzeugend gelungen ist. - Wilhelm Ruprecht Frieling
Manische Wiegenlieder
(2)Aktuelle Rezension von: Prinz_RupiDie Lyrik wird oft recht stiefmütterlich behandelt. Nicht nur erscheinen, im Vergleich zur Prosa, sehr wenige Gedichtbände, auch die Zahl der Leser ist geringer. Das mag daran liegen, dass ein paar Verszeilen selten eine richtige Geschichte erzählen oder man mit ihnen das verhasste Auswendiglernen in der Schule assoziiert. Natürlich gibt es auch Gedichte, die jeder kennt und mag, z. B. die Reime von Wilhelm Busch. Mancher Leser findet sicher auch Gefallen an knappen Zeilen, die eine Situation, einen Eindruck oder Gefühle präzise beschreiben und auf alles umständliche Blabla verzichten. Wilhelm Ruprecht Frieling verbindet beides in „Manische Wiegenlieder“: Reime und aufs Wesentliche reduzierte Aussagen. Die Lyriken handeln von vertrauten Dingen und Begebenheiten, die häufig bis ins Surreale und Absurde verzerrt werden, mitunter sogar sinnfrei erscheinen können.