Bücher mit dem Tag "christoph hein"
6 Bücher
- Christoph Hein
Landnahme
(44)Aktuelle Rezension von: LelelsDer Roman Landnahme von Christoph Hein, welcher im Suhrkamp Verlag erschien, behandelt Themen und Erfahrungen, die wahrscheinlich viele Menschen im Nachkriegsdeutschland erlebt haben. Exemplarisch am Leben von Bernhard Haber, der aus Breslau stammt, erzählt Christoph Hein die Geschichte von Leben voller Ablehnung, vom Wunsch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit.
1950, fünf Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, kommt Bernhard mit seinen Eltern als Umsiedler in das sächsische Städtchen Guldenberg. Dort stoßen die Vertriebenen, die bei einem Bauern unterkommen, auf Ablehnung, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Über die Jahre und im Verlauf des Romans gelingt es Bernhard Haber, in Guldenberg als Tischler aufzusteigen und gesellschaftliches Ansehen sowie politische Relevanz zu erlangen. Ihm gelingt also die Integration in die neue Heimat und Gemeinde, wodurch er nicht mehr als „minderwertiger“ Umsiedler wahrgenommen wird. Parallel zum persönlichen Leben Bernhards werden auch immer wieder geschichtliche Ereignisse oder Entwicklungen in die Handlung des Romans eingebaut. Dazu zählen Beispielsweise, die Zwangskollektivierung und spätere Verstaatlichung, der Prager Frühling, der Mauerbau sowie die Wiedervereinigung.
Der Roman ist multiperspektivisch aufgebaut und ist aus der Sicht von fünf verschiedenen Erzähler*innen geschrieben, die alle irgendwann in einer Verbindung zu Bernhards Leben standen und jeweils von einem Abschnitt seines Lebens erzählen. Durch die verschiedenen Perspektiven änderte sich auch der Schreib- und Sprachstil in den jeweiligen Abschnitten, doch alle Kapitel waren gut und angenehm lesbar.
Mit den meisten Charakteren konnte ich nicht allzu viel anfangen, da ich nicht wirklich einen persönlichen Bezug zu ihnen herstellen konnte. In Kürze will ich auf die sechs relevanten eingehen:
Thomas Nicolas ist der erste Erzähler im Roman und zeichnet sich durch eine nüchterne Sprache aus. Er ist ein Schulkamerad Bernhards und hält am Anfang nicht sehr viel von ihm, versucht später jedoch, ihn näher kennen zu lernen. Marion Denutz stellt die erste Freundin Bernhards dar, mit der er mehrere Jahre zusammen ist. Nach seinem politischen Engagement im Rahmen der Zwangskollektivierungen trennt sich Marion jedoch von ihm.
Marion würde ich als ein naives Mädchen einschätzen. Sie ist sehr auf ihr Äußeres und die Meinung anderer Menschen bedacht und orientiert sich eher an materiellen Dingen.
Peter Koller ist ebenfalls ein Schulkamerad von Bernhard, lernt ihn jedoch erst nach dem Schulabschluss, als sie gemeinsamen Geschäften nachgehen, näher kennen. Für Geld nimmt er große Risiken auf sich und agiert naiv, legt jedoch auch auf soziale und finanzielle Absicherung einen großen Wert.
Katharina Hollenbach ist die Schwägerin von Bernhard. Sie ist scheinheilig, manipulativ und lechzt nach Aufmerksamkeit. Meiner Meinung nach war sie der unsympathischste Charakter im ganzen Buch.
Der letzte Abschnitt wird aus der Sicht von Sigurd Kitzerow erzählt. Dieser ist ein Freund und Geschäftspartner Bernhards und verhilft ihm maßgeblich zum gesellschaftlichen Aufstieg in Guldenberg.
Bernhard selber war für mich der unnahbarste und undurchschaubarste Charakter des Buches, was logischerweise auch daran liegt, dass sein Leben immer nur aus der Außenperspektive beschrieben wird. Auch wenn einzelne Handlungen von ihm ein paar seiner Charakterzüge erkennen lassen, gelang es mir nicht, ihn als Person richtig zu erfassen und zu kennen. Auch seinen Gefühle für Menschen in seinem Umfeld konnte ich teilweise nur sehr schwer einschätzen.
Die Nutzung so vieler Erzählerperspektiven macht den Roman interessant und einzigartig. Den Einbau der historischen Geschehnisse in der DDR zeigen, dass Hein seinem Anspruch als Chronist gerecht geworden ist und gemeistert hat, aber auch welchen Einfluss politische Entscheidungen auf das Leben einzelner haben kann. Jedoch fand ich das Buch teilweise sehr langatmig und auch der Tod seines Vaters konnte keine Spannung in die Handlung bringen. Viele Charaktere, auch abseits der Erzähler*innen, fand ich unsympathisch und anstrengend. Problematisch fand ich desweiteren die Reproduktion von Rassismus im Kapitel von Peter Koller, auch wenn die Aussagen den Zeitgeist und Mentalität der Menschen in der DDR wiedergespiegelt haben.
Als Schullektüre kann ich das Buch jedoch nur empfehlen, da es Einblicke in das Nachkriegsdeutschland, die Erfahrungen von Vertriebenen und die Gesellschaft in der DDR bietet.
- Christoph Hein
Der fremde Freund. Drachenblut
(94)Aktuelle Rezension von: Werner_KnoefelDie Geschichte wird aus der Sicht einer knapp vierzigjährigen Ärztin erzählt. Sie ist ein Wesen voller Widersprüche.
Obwohl sie sich als mäßig empathiefähig zeigt, lehnt sie Gefühle im Grunde ab. Sowohl seitens ihrer Mutter, als auch ihrer Nachbarinnen, Kollegen und Freunde verweigert sie gefühlsmäßigen, freundschaftlichen Umgang. Ohne sie, meint sie, ginge es ihr besser.
Es wird in technischer Sprache, betont sachlich erzählt. Menschen werden hier als Rädchen im System, als Teile einer großen Maschine geschildert, die eben keine solchen Gefühle haben sollten, da sie nur den vorschriftsmäßigen Ablauf stören. Dabei steht durchaus das Privatleben im Mittelpunkt.
Als Ausgleich gibt es Sicherheit. Nirgendwo sind Bedrohungen, es sei denn, man tritt dem System gegenüber nicht opportunistisch genug auf.
Positiv finde ich, wie die Kälte der Gesellschaft gezeigt wird, in der nur wenig Statusunterschiede erkennbar werden. Der Oberarzt erscheint genauso vereinsamt mit seiner dienstfertigen Ehefrau wie die Ärztin in ihrem Ein-Zimmer-Apartment.
Etwas verstörend aus heutiger Sicht der häufige und exzessive Alkohol- und Zigarettenkonsum - aber gerade so etwas macht ein Zeitdokument aus. Das Buch fand ich durchaus wichtig, deshalb vier von fünf Sternen.
- Christoph Hein
Frau Paula Trousseau
(26)Aktuelle Rezension von: UteSeiberthNach dem Selbstmord seiner Mutter Paula Trousseau versucht ihr Sohn Michael ihr Leben zu ergründen.Paula wird gegen den Willen ihrer Eltern Malerin und versucht dabei ihre Wünsche allen gegenüber durchzusetzen,Sie hat mehrere Beziehungen zu verschiedenen Männer,wenige auch zu Frauen, die scheitern.
Sie wird ziemlich hart gegen sich selber und gegen andere.
Das ist eine ungewöhnliche Lebensgeschichte einer Frau
aus dem Osten Deutschlands. - Christoph Hein
Horns Ende
(24)Aktuelle Rezension von: NadezhdaIch habe diesen Roman gern gelesen und bin sehr froh, durch die Leserundenvorschläge auf dieses Stück DDR-Literatur gestoßen worden zu sein, das mir ansonsten möglicherweise entgangen wäre.
"Horns Ende" ist kein Buch, das man mal eben geschmeidig wegschmökern kann. Dafür sorgen zum einen die unterschiedlichen und ständig wechselnden Erzählperspektiven, in die man sich erst ein einmal hineinversetzen und aus deren Berichten man sich scheibchenweise das Geschehen und seine ProtagonistInnen zusammensetzen muss. Zum anderen bleibt auch vieles in diesem Roman ungesagt, nur angedeutet oder gänzlich offen - für meinen persönlichen Geschmack zu viele lose Fäden.
Fasziniert hat mich die Darstellung des Gefangenseins der Figuren in Zwängen verschiedener Art; allen voran natürlich durch die politisch-gesellschaftliche Situation in der DDR, wo der Druck, sich anzupassen, und das Denunziantentum der Nazizeit nur unter anderen Vorzeichen munter weiter "gepflegt" wurden. Unter diesem Aspekt bietet der Roman scharfsichtige Einblicke in ein beklemmendes Stück Zeitgeschichte. Insbesondere das Geschehen um den abgesägten Historiker Horn, wenn auch nicht alles offengelegt wird, zeigt den Irrsinn des Überwachungs- und angestrebten Gleichschaltungssystems der DDR auf.
Eine kritischere Sicht der erzählenden Figuren auf das Geschehen vor 30 Jahren hat mir gefehlt, v.a. bei Thomas, dessen Perspektive ja die eines Kindes war und von dem man nun wirklich ein wenig Reflexion hätte erwarten können. Die Kapitel um Kruschkatz und Dr. Spodeck hätten auch gern zugunsten von Marlene und Gertrude Fischlinger gekürzt werden können, deren Lebensumstände und -perspektiven mich viel mehr interessiert hätten, als der Roman hier Einblick gewährt.
Insgesamt kann ich die Lektüre des Romans allen LeserInnen, die an den Lebenswelten in einem totalitären Regime interessiert sind, nur empfehlen, auch wenn insbesondere das weitgehend offene Ende des Romans mich ein wenig unzufrieden hinterlässt.
Interessant ist bei diesem Buch auf jeden Fall die Veröffentlichungsgeschichte, war es doch offenbar der einzige systemkritische Roman, der trotz ausdrücklichen Verbotes noch zu DDR-Zeiten (1985) bei Volk und Wissen aufgelegt wurde. Mir war bisher nicht bekannt, dass so etwas überhaupt möglich war. Auch dies wirft ein eindrückliches Licht auf die beinahe alles erfassenden Kontrollmechanismen in der DDR.