Gegenwartsromane mit gesellschaftskritischem Inhalt
In unserer Gesellschaft ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und deshalb ist es auch wichtig, dass es Autoren gibt, die den Finger in die Wunde legen, Unzulänglichkeiten und Defizite ansprechen und Kritik üben. Jeder Schriftsteller greift hier auf eigene Methoden zurück und wählt Themen, die für ihn von besonderer Bedeutung sind, sodass gesellschaftskritische Romane ein heterogenes Bild entstehen lassen, das zu durchforsten es sich lohnt. Besonders in der Gegenwartsliteratur ist die Gesellschaftskritik mal mit größter Dringlichkeit, mal eher unterschwellig verankert.
In dieser Liste findet ihr Gegenwartsromane, in denen die Autoren Kritik an der ihnen vorliegenden Gesellschaft üben. Stimmt für die Bücher ab, die ihr besonders beeindruckend fandet! Auch wir haben eine kleine Auswahl für euch getroffen.
Diese Buchliste wurde erstellt von miadonna
Die Empfehlungen der LB-Redaktion
T. C. Boyle
Hart auf hart
(120)
Erschienen am 02.02.2015
Dem modernen Amerika wird oft eine Paranoia nachgesagt, die T. C. Boyle als eines der Themen in seinem Buch "Hart auf hart" aufgreift. So findet sich in Adam, einem der Protagonisten quasi bereits die personifizierte Gesellschaftskritik, denn er legt sich ein Waffenarsenal gegen Feinde an, die seinen Hirngespinsten entstammen. Auch für Sarah, den weiblichen Hauptcharakter, gibt es einige, allerdings vollständig andere Feindbilder. Doch als sie sich auf eine Affäre mit Adam einlässt, ist ihr noch nicht klar, wie tief dieser wirklich in seinem Gedankengut verwurzelt ist. Boyle hält den waffennärrischen USA den Spiegel vor und schreibt in gewohnt brillanter Sprache aus mehreren Perspektiven – phänomenal.
Jenny Erpenbeck
Gehen, ging, gegangen
(121)
Erschienen am 31.08.2015
Wenigen Autoren gelingt es so gut wie Jenny Erpenbeck, gleichzeitig so sachlich zu schreiben, dass es den Leser wie ein Schlag ins Gesicht trifft, und dennoch so viel Wärme in ein Buch zu stecken. Denn ihr Roman legt in der Flüchtlingsfrage für all diejenigen den Finger in die Wunde, die sich nicht recht trauen hinzusehen statt das Problem als fremdes beiseite zu schieben. Der emeritierte Professor Richard unternimmt in "Gehen, ging, gegangen" genau das Gegenteil: Er will aus erster Hand erfahren, wie es für die jungen Flüchtlinge in Deutschland ist, ihre Heimat verlassen zu müssen, ihre Familien zurückzulassen und was sie tun, wo sie doch eigentlich eben nichts tun dürfen. Eine bewegende Geschichte, die uns darauf hinweist, dass die Welt verwoben ist, und nicht nur ein großes Meer voller Inseln.
Morton Rhue
Die Welle
(2.311)
Erschienen am 01.12.1984
Oft stellt man sich die Frage, wie faschistische Regime es schaffen, die Bürger an ihr System zu binden. Lediglich durch eine richtige Gehirnwäsche? So etwas wäre heutzutage niemals mehr möglich, sind sich die Schüler aus Mr. Ross' Klasse einig. Doch ihr Lehrer beweist ihnen ganz schnell das Gegenteil: Durch ein soziales Experiment stellt er den Aufschwung des Nationalsozialismus nach. Und die Erfahrungen, die die Jungen und Mädchen aus dieser Aufgabe ziehen, sind mehr als erschütternd, als plötzlich alles vollkommen aus dem Ruder läuft und das, was zunächst noch wie ein Spiel erschien, zum bitteren Ernst wird. Morton Rhues "Die Welle" veranschaulicht, wie schnell der Mensch zum Mitläufer oder gar ausführenden Organ eines tyrannischen Systems wird und lässt mit seiner aufwühlenden Geschichte den Leser so schnell nicht mehr los.
Kazuo Ishiguro
Alles, was wir geben mussten
(593)
Erschienen am 15.08.2005
Im ersten Moment wirkt Hailsham wie ein ganz normales englisches Internat. Doch bei genauerer Betrachtung wird schnell klar, dass deutlich mehr hinter der idyllischen Fassade steckt: Hier spricht man nicht von Lehrern, sondern von Aufsehern, und diese lassen keinen Zweifel daran, dass die Jungen und Mädchen, die hier zur Schule gehen, zu etwas Größerem bestimmt sind. Dieses Gefühl verbindet Kathy, Ruth und Tommy, die zudem natürlich mit den üblichen Problemen von Teenagern zu kämpfen haben, bis sie sich eines Tages ihrem Schicksal stellen müssen. Kazuo Ishiguros Roman ist wahnsinnig ergreifend und rührt zu Tränen.
George Orwell
1984
(3.989)
Erschienen am 01.01.1950
"1984" gilt als Inbegriff des dystopischen Romans, ein Genre, das durch dramatisierte Zukunftsvisionen Kritik an der aktuellen Gesellschaft übt. George Orwells 1948 erschienenes Buch stellt einen autoritären Überwachungsstaat dar, der auch gerne mal Daten verfälscht, um die Kontrolle über seine Bürger zu behalten. Winston Smith, Protagonist in diesem Schreckensszenario und Angestellter beim Staatsapparat, merkt bald, dass es eine Alternative geben muss und schmiedet mit seiner Kollegin und Geliebten Julia Pläne, dem "Großen Bruder" zu entkommen. Doch dieser demonstriert immer wieder eindrucksvoll seine zweifelhafte Macht. Obwohl Orwells Roman bereits über 65 Jahre auf dem Buckel hat, verliert das von ihm angegangene Thema auch heute nicht seine Brisanz. Vieles, was er beschreibt, kommt uns scheußlich bekannt vor, ob aus dem eigenen oder anderen Ländern.