Rezension zu "Das Meer der Libellen" von Yvonne Adhiambo Owuor
Die Autorin, 1968 in Nairobi , Kenia, geboren, beschäftigt sich in ihren fiktionalen Romanen mit der jüngeren Geschichte Kenias und nimmt sie äußerst kritisch in den Blick. Im Fokus stehen, neben den politischen Themen, Visionen von Herkunft, Heimat, die Frage nach Zugehörigkeit und der Suche nach einem Platz in der Welt.
"Das Meer der Libellen" ist ihr zweiter Roman, ein 600-Seiten-Werk. Die Autorin fühlt sich inspiriert von der ersten Reise über den Indischen Ozean, deren 600. Jubiläum in Jahre 2005 gefeiert wurde und eine junge Frau von der kenianischen Insel Pate ein Stipendium für ein Studium in China erhielt. Man sagt, dass diese Studentin die Nachfahrin eines Seefahrers aus der Ming-Dynastie sei.
Hauptschauplatz dieses Romans ist eben diese kenianische Insel Pate an der Swahili-Küste Kenias, eine Insel des Lamu-Archipels. Diese Küste nebst ihren Inseln wurde mal von den Portugiesen beherrscht mal vom Sultan von Oman. Kriegerische Ereignisse und Naturkatastrophen überzogen das Land. Heute sind es Islamisten, amerikanische Söldner und Piraten, die Unruhe schaffen. Zudem zeigt China großes Interesse im Rahmen der Seidenstraßen-Offensive und beruft sich dabei auf die Annahme, dass es eine weit zurückreichende Verwandtschaft zwischen der alten Ming-Dynastie und Afrika gäbe.
In diesem Buch geht es um die Geschichte von Ayaana, die auf der Insel Pate bei ihrer Mutter Munira aufwächst. Als eigensinniges Kind ist sie ständig auf der Suche nach ihrem Vater. Ihre Mutter ist Kräuterfrau und Heilkundige und weiß mit Pflanzendüften und -säften, Aromen und Pflanzenfarben umzugehen. Schließlich findet Ayaana "ihren Vater" in dem gestrandeten Matrosen Muhidin, zu dem sie ein intensives Vater-Tochter-Verhältnis aufbaut. Die Patchworkfamilie erweitert sich nochmals um Ziriyab, der der Liebhaber ihrer Mutter wird. Das Leben auf Pate verändert sich zunehmend durch gestrandete Fremde und religiöse Fanatiker. Auch Munira gewährt Fremden Zuflucht und muss mitansehen, wie ihre Tochter ein exotisches Opfer von solchen Eindringlingen wird.. Belastet mit diesen Erfahrungen ergreift Ayaana als junges Mädchen die Gelegenheit, Pate zu verlassen und sich als "Nachfahrin" auf ein Stipendium für ein Studium in China einzulassen. Dort wird sie gefeiert als eine Exoten-Quenn: mit ihrer schwarzen Haut und gleichzeitig asiatischem Aussehen, ihren Sprachkenntnissen und der chinesischen Kleidung, die sie trägt. In der Öffentlichkeit wird sie auf vielen Anlässen als schwarze Nachfahrin wie in einem Zoo zur Schau gestellt, der Preis, den sie für das Studium bezahlen muss und der sie als Vermittlerin zwischen zwei Kulturen dienen soll. Sie versucht vergeblich, sich als Chinesin zu fühlen und flüchtet immer wieder in ihre Träume, gedemütigt von rassistischen und fordernden Übergriffen auf ihre Person. Ihrem türkischen Kommilitonen Koray gelingt es, sie zu einem Urlaub in sein Heimatland zu überreden, aber in Istanbul wäre es fast zu einer Zwangsheirat gekommen, wenn sie nicht gleich wieder die Flucht ergriffen hätte. Zurück in China schließt sie ihr Studium der Nautik ab und kehrt dann, ihrem eigenen Antrieb folgend, nach Pate zurück. Dort fasst sie Fuß im Hause ihrer Mutter, erinnert sich an das Wissen, was sie einst übermittelt bekommen hat, kombiniert mit dem Erlernten aus ihrem Studium. Ihre Liebe zur Natur, dem Meer, ihre Verbindung zu den Geistern und Ahnen ihres Ortes schaffen ihr ein Gefühl von Sicherheit und Reife.
Sie war in die Welt gegangen, wo ihre Generation durchaus Geschmack dran gefunden hatte. Sie hatte darin nichts gefunden, das zu besitzen sich lohnte. Aber je mehr sie diese ferne Welt erlebte, desto entfremdeter und unsicherer fühlte sie sich.
Nun ist sie angekommen und übernimmt den Platz ihrer Mutter als Heil- und Kräuterkundige , zu der sie gemäß alter Initiationsriten eingeweiht wird.
Ein kraftvoller, fast märchenhafter Roman, dessen verwobener Sprachstil in seiner dichten, poetischen und melancholischen Weise zu einem Schlüssel wird. Ein Schlüssel für die Magie und spirituellen Geheimnisse dieses kenianischen Inselvolkes und seinem alten Wissen über Naturphänomene, Geister und Ahnen. Eine Sprache, die Verbindung schafft zwischen der alten Welt und ihren Geheimnissen und der neuen Welt mit den Schattenseiten der globalisierten Zwänge und Angriffe auf den afrikanischen Kontinent.