*1920 war ein bewegtes Jahr, ein Jahr, in dem vieles in Bewegung und noch nichts entschieden war.*
Was erregte 1920 Aufmerksamkeit? Wie spiegelte sich die Stimmung der Gesellschaft? Der erste Teil des Buches wirft in seiner „Oberflächenbetrachtung“ einen Blick auf das Jahr 1920. Der zweite Teil hingegen stellt fünf Hauptcharaktere in den Mittelpunkt: Durch das Leben und die Werke von Walter Serner, Sigmund Freud, Ernst Jünger, Alfred Döblin und Berthold Brecht werden nicht nur Einblicke in die kulturellen Bestrebungen der Zeit gegeben, sondern auch ein allgemeines Stimmungsbild eines Jahres gegeben, das als Wendepunkt zwischen dem ersten Weltkrieg und den zukünftigen Ereignissen steht.
Schon der erste Teil zeigt, dass der Blickwinkel, den dieses Buch einnehmen will, kein politischer ist. Die Politik spielt nur eine geringe Rolle, vielmehr sind es die Kultur und die Gesellschaft, die sich im Wandel befinden und auf denen das Hauptaugenmerk liegt. So beginnt die Einleitung mit einer Analyse des Dadaismus. Einstein mit seiner Theorie bringt den Begriff Relativismus ins Spiel, von seinen Kritikern wird aber auch über Massensuggestion gesprochen. Die Angst vor einem Führer, der imstande ist die Massen hinter sich zu vereinen scheint prophetisch zu sein.
Das Jahr wird als chaotisch, anarchistisch, extravagant, bodenlos und unkontrolliert beschrieben. Die einen bleiben im bürgerlichen Leben verfangen, die anderen frönen der Maßlosigkeit und suchen nach neuen Wegen. Elend und Not stehen den verschwenderischen neuen Vergnügungen gegenüber. Politische Morde sind an der Tagesordnung. Die Demokratie hat mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, die Rolle der Juden in den Augen der Deutschen verändert sich, Rassismus wird gegenwärtiger aber auch eine neue Zuversicht, die im Gegensatz zur Hyperinflation steht. Immer aber ist es der große Krieg, der die Menschen prägt.
Auch die „fünf Hauptprotagonisten“ wurden vom Krieg beeinflusst. In den Nachkriegsjahren wird vieles verarbeitet, Einstellungen und bisher als selbstverständlich Angesehenes wird plötzlich in Frage gestellt. Der zweite Teil des Buches vermischt Biografien, Literaturanalyse und historische Betrachtungen und stellt Zusammenhänge zwischen den Leben und Werken der Fünf her. Dabei wird nicht einzeln auf die Literaten/Wissenschaftler eingegangen, sondern die Zusammenhänge im Denken, in den Erkenntnissen aber auch im Leben der fünf Großen aufgezeigt. Besonders solche, die dem Trend der Zeit entsprachen und die Aussagen aus dem ersten Teil stützen werden immer wieder aufgegriffen. Dabei lassen sie das Jahr 1920 unter einem bestimmten Blickwinkel wieder aufleben und zeigen, wie sehr die Erkenntnisse der ausgewählten Personen einerseits von ihrer eigenen Vergangenheit geprägt sind andererseits in folgende Zeiten nachwirken. Neben den Fünf treten viele andere aufs Podest, stehen als Stellvertreter der Zeit. Zusammen zeigen sie neue Modeerscheinungen auf, aber auch die Verarbeitung der Kriegserlebnisse, der neuen Stellung des Menschen in Bezug auf Maschinen, die Natur und das städtische Leben. Pessimistische Einstellungen werden den hoffnungsvollen Blicken in die Zukunft gegenübergestellt und so der Eindruck eines Neubeginns, eines Nullpunktes geschaffen, an dem alles möglich scheint.
Fazit: Besonders durch die vielen (historischen und literarischen) Fakten samt Interpretationen, die nicht einzeln angegangen sondern vielmehr über ihre Zusammenhänge aufgezeigt werden, ist das Buch anspruchsvoll. Nicht immer fiel es mir leicht, die Kernaussagen auf Anhieb herauszulesen, nichtsdestotrotz fand ich die Ausführungen sehr interessant. Auch nach hundert Jahren zeigt sich vieles (erschreckend) aktuell, sodass das Buch auch aufzeigt, dass Geschichte und Geschichten immer im Kontext stehen und nie davon losgelöst gesehen werden kann.