Rezension zu "Verdrehte Zeit" von Wlodzimierz Odojewski
„Alles verschwimmt allmählich …. doch das geht vorbei und schließlich werde ich glauben, ich lebe noch“.
Spricht hier ein Toter? Aber nein, das kann doch nicht sein, dieses Gefühl der Unwirklichkeit, das Leser und Protagonist gleichermaßen bereits zu Beginn des Romans „Verdrehte Zeit“ empfinden, ist doch sicher nur ein raffinierter Schachzug des kürzlich verstorbenen polnischen Autors Wlodzimierz Odojewski ? So auch sein Hauptdarsteller: „Das ist doch nur eine hervorragend durchdachte, inszenierte Kriminalgeschichte, in die ich mich hatte verwickeln lassen“.
Aber wer ist dieser Mann mit dem Aliasnamen „Roman“? Ein Agent? Ein Warschauer Widerstandskämpfer? Ja, wir sind noch nicht mal sicher – spielt der Roman im Hier und Jetzt oder sind wir in der Zeit der deutschen Okkupation Polens? Wlodimierz Odojewski gelingt es meisterhaft, die große Spannung des Verwirrspiels seines exzellent konstruierten Romans von Anfang bis Ende aufrechtzuerhalten.
Unser Protagonist versucht verzweifelt sich in einer ihm fremden und doch so vertrauten Umgebung zurechtzufinden, die zwei Bildschablonen seiner Vergangenheit und Gegenwart müssen doch übereinandergelegt das richtige, das passende Leben ergeben, oder nicht? Denn es existiert doch nur eine beständige Zeiteinheit, die beides ist – oder ist es nur unsere merkwürdige und nicht überprüfbare Vorstellung von Zeit? Wo endet die Erinnerung und wo beginnt die Selbsttäuschung?
„Alles befand sich plötzlich gleichsam außerhalb von mir, hinter mir … die Grenze menschlicher Erfahrung überschreitend. In dieser umgekehrten Drehung verringerte sich schlagartig des Gewicht des ganzen Körpers … alles schien aus mir heraus- und herunterzufallen …. Mantel, Notizheft, Schlüssel, Personalausweis (war das überhaupt mein Personalausweis? War ich eigentlich dieser Mensch! Wer war ich denn?), dann drehte sich alles noch eine Weile zusammen mit mir ....
Wlodzimierz Odojewski legt eine dicke Schicht kalten Nebels über seinen Protagonisten, die langsam zur eisigen Erkenntnis der eigenen Schuld kristallisiert. Und bis zum Schluss herrscht diese wunderbare irrationale, bedrohliche Stimmung, die sicher nur ein Schriftsteller großer Klasse derart gekonnt wirken lassen kann . „Gehören meine Erinnerungen mir oder einer anderen Person? Wieder war ich wie meines „Ichs“ beraubt, innerlich leer, aber doch so als säße in mir jemand, ein Fremder, der mir diktierte, was ich zu tun hatte.“
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Anmerkung:
Zwei Kurzkritiken über Bücher anderer polnischer Autoren sind auf meinem blog www.booksandplaces.de zu finden.