Rezension zu "Lucia Binar und die russische Seele" von Vladimir Vertlib
Jetzt will sie eigentlich nur noch in Ruhe ihren russischen Dichtern frönen und irgendwann mal in ihrer Wohnung einschlafen. Als es an der Tür klingelt, ahnt sie noch nicht, welche Veränderungen ihrem Leben plötzlich bevorstehen. Und damit hat nicht nur Student Moritz zu tun, der sie um eine Unterschrift für die politisch nicht mehr korrekte Mohrengasse bitten – diese soll nämlich (zumindest wenn es nach Moritz und seiner Truppe ginge) ab sofort Möhrengasse heißen. Lucia denkt erst Moritz macht Witze, doch dem ist nicht so. Dabei hat Lucia ihre eigenen Probleme – und Hunger. Denn ihr „Essen auf Rädern“ kommt nicht und als sie sich telefonisch beschwert, rät ihr die Dame vom Callcenter, sich doch übers Wochenende von Knäckebrot und Mannerschnitten zu ernähren. Als dann auch noch Hausbesitzer Willi die leerstehenden Wohnungen Obdachlosen, Asylanten und Junkies zur Verfügung stellt, diesen Mietern eine laute Musikanlage zur Verfügung stellt und die Toiletten unbenutzbar macht, sowie den Strom zeitweise abdreht, reicht es Lucia. Sie macht sich auf den Weg, um erst der Dame vom Callcenter einen Besuch abzustatten, den diese nicht so schnell vergessen wird und bei der Gelegenheit gleich mal Willi die Leviten zu lesen …
Die Charaktere des Romans sind durchwegs authentisch, die rüstige alte Dame musste in ihrem Leben bereits viele Prüfungen bestehen und sich durchkämpfen. Sie hat nun keinen Nerv mehr, sich von etwaigen Wichtigtuern schikanieren zu lassen. Lucia Binar ist selbstbewusst, kritisch und lässt sich nicht einschüchtern. Viele gesellschaftskritische Themen hat der Roman zu bieten, wie z.B. die Vereinsamung älterer Menschen in der Großstadt, Rassismus, Korruption, …