Das Buch "Die Entdeckung der Currywurst" von Uwe Timm las ich bereits vor mehreren Jahren. Doch erst jetzt stolperte ich über das Hörbuch und genoss das Zuhören von der ersten bis zur letzten Seite. Ein ganz großes Lob an den Sprecher Devied Striesow.
Es ist die Geschichte der Lena Brücker, die am Hamburger Großneumarkt nach dem Krieg viele Jahre lang eine Imbissbude betrieb.
Erzählt wird in der Ich-Form des Autors, der sich nach Jahren auf die Suche nach der Betreiberin dieser Imbissbude und der besten Currywurst machte. Er trifft Lena Brücker in einem Altersheim, nahezu erblindet und kann sie dazu überreden, ihm ihre Lebensgeschichte von 1945 an zu erzählen.
Den Krieg hat sie in Hamburg überlebt. Ihre kleine Wohnung blieb trotz des intensiven Bombardements der Alliierten von der Zerstörung verschont. Was ein Glück, sonst hätte sie diesen jungen Deserteur, der in den letzten Kriegstagen nicht mehr zu seiner Einheit zurückkehrte, nie mit nach Hause nehmen können und hätte auch nie dieses kleine Stück gestohlenen Glücks erlebt.
Uwe Timm gelingt in diesem Buch, den Leser, bzw. beim Hörbuch den Hörer, mitzunehmen und die letzten Kriegstage, als auch die Kapitulation und die anschließende Not im Frieden spürbar zu machen. Meine Generation hat nie diese furchtbare Lebensmittelknappheit mit dem dazugehörigen Hunger erleben müssen. Gott sei Dank! Doch wenn ich all die Erzählungen meiner Großeltern und sonstiger Verwandten Revue passieren lasse und mit den Schilderungen in diesem Buch in Zusammenhang setze, bekomme ich schon eine konkrete Vorstellung davon wie es damals war.
Nach heutigen Maßstäben würde man das Leben von Lena Brücker als nicht sonderlich gelungen bezeichnen. Ein hartes und arbeitsreiches Leben, mit einem Ehemann, der es sich auf ihre Kosten gutgehen ließ. Zwei Kinder die sie alleine versorgen und erziehen musste und trotzdem erzählt sie ihre Lebensgeschichte, als sei sie nie sonderlich unglücklich gewesen.
Im Gegenteil! Es lag wohl an diesen wenigen Wochen des gestohlenen Glücks.
Ob meine Generation, die wir so viel haben und erreichen konnten, jemals mit so wenig Groll zurückblicken werden, lasse ich mal dahin gestellt.
Wie ich Kommentaren zu diesem Hörbuch bei you tube entnehmen konnte, war dieser Roman verschiedentlich Schullektüre. Sonderliche Begeisterung kommt bei vielen Kommentaren nicht durch, was ich mir zuerst nicht erklären konnte.
Es liegt wohl daran, dass sich junge Leute nicht mehr in die Lebenssituation von Lena Brücker hineinversetzen können. Der 2. Weltkrieg und seine direkten Folgen ist ihrem Leben weiter entfernt als der Mond und hat gefühlt nichts mehr mit ihnen zu tun. Theoretisch weiß man vielleicht noch einiges was man in der Schule hörte oder von Opa oder Oma erzählt bekam, ohne bei diesen "ollen Kamellen" genau hinzuhören. Doch aus dem Empfinden heraus sind die damaligen Ereignisse kaum noch nachvollziehbar. Es passt nicht mehr in das Heute.
Deshalb würde ich sagen, "Die Entdeckung der Currywurst" ist ein Buch für ältere und lebenserfahrene Leser, bzw. Hörer, die in den 50er Jahren, vielleicht als kleinere Kinder, noch etwas Nachkriegszeit selbst erlebten, Kriegsversehrte noch aus eigener Anschauung ein Begriff ist. Männer mit amputierten Armen oder Beinen, die gelben Armbinden mit schwarzen Punkten, die sie als Kriegsblinde kenntlich machten, gehörten lange Jahre zum Straßenbild dazu. Doch irgendwann waren diese Männer alt und starben weg, verschwanden aus dem Alltagsgeschehen und von den Straßen.
Aber vielleicht gibt es auch jüngere Leser, die sich für Vergangenes interessieren und die Neuzeit aus den Ereignissen aus dem Gestern verstehen wollen und können. Solche Leser und Hörer werden sich von Uwe Timm sicherlich in diese Zeit und den damaligen Geschehnissen mitnehmen lassen.