Deutschland im Spätherbst:
Klappentext:
Bei seinem morgendlichen Lauf über die Deiche entdeckte ein Jogger einen brutalen Mord. Opernmusik erschallt aus dem Haus, in dem die Leiche aufgefunden wurde. Das Opfer, so stellt sich heraus, ist ein ehemaliges RAF-Mitglied. Bei den ermittelnden Beamten treffen zwei Menschen mit ganz unterschiedlichen Biographien aufeinander: Anton Glauberg, ein schweigsamer Vierzigjähriger, dessen Ehe gerade in die Brüche zu gehen droht, und die zehn Jahre jüngere, in Ost-Berlin aufgewachsene BKA-Beamtin Paula Reinhardt. Bei der Suche nach der Wahrheit, so wird bald deutlich, geht es nicht nur um Indizien, sondern um unterschiedliche Erfahrungen ...
Die Frage nach Schuld und Verfehlung ändert sich je nach östlichem oder westlichem, historischem oder heutigem Standpunkt.
Was anfangs wie ein normaler Kriminalfall aussieht, entpuppt sich schließlich als gesellschaftspolitisches Verwirrspiel, das Fragen nach Gewalt, politischer Macht und Verantwortung neu stellt.
Und egal wie viele Aspekte der Fall auch immer haben mag – am Ende kann es nur einen Täter geben.
Eine Tatsache: „Hier im Norden nahe der dänischen Grenze lag der Herbst matt und geräuschlos auf den Weiden. Die feuchten Marschwiesen, die im Sommer zartgrün waren, erstreckten sich grau und eben wie Zinn bis zum Horizont, und Himmel und Erde verschwammen miteinander zu einer einförmigen Landschaftsfläche, die beim Betrachten manchmal den Eindruck erweckte, ganz nah zu sein und im nächsten Moment wieder sonderbar fern."
Noch eine Tatsache: „Irgendwo auf der Grenze zwischen Nacht und Tag gibt es einen Moment der Klarheit, in dem die Dinge stillstehen und das Licht so zögernd auf den farblosen Oberflächen liegt wie ein kurzzeitig angehaltener Atem."
Abenteuer Sprache: „Die Blätter in seiner Hand zitterten leicht, als der Zug sich näherte, ein anschwellendes, gedehntes Pfeifen drang über den Bahnsteig, und plötzlich stand er in der Hülle aus Lärm, die den Zug umgab, und warme, trockene Luftwirbel zerrten an dem Papier. Er sog ihren Geruch ein, diesen unterirdischen Geruch von Staub und Metall."
Abenteuer Sprache II: „Uns fehlen die notwendigen Antennen, um uns im Kapitalismus zu orientieren. Wir werden nie in der Lage sein, herauszufinden, wer auf unserer Seite ist und vor wem wir uns hüten müssen. In dem Land, in dem wir aufgewachsen sind, wusste man wenigstens, wer wo steht.“
Ein literarisch-ehrlicher Moment: Die Spannung kommt hier langsam, auf leisen Sohlen, aber immer auf literarisch hohem Niveau.
Wer also keine Lust hat, sich mit 08/15-Krimis zufriedenzugeben und auch die deutsche Sprache mit ihren Feinheiten schätzt, ist mit diesem Buch bestens bedient. Auch für Nicht-Krimifans ein lesenswertes und bereicherndes Buch.
Titel: Am Ende versteht man dessen Zweideutigkeit ...
Meine 5-Cent: Ein kluger Krimi voller Überraschungen und Wendungen, das Ganze vor dem Hintergrund deutsch-deutscher Geschichte und politischer Fallstricke.
Fazit: Capeau – und ein Autor dem man gut im Auge behalten sollte ;))
Windstärke: 10
Sonnenstunden: 8
(Gelesen & zitiert wurde aus dem Hartcover / Herausgeber: Hoffmann & Campe)