Annika Rose ist anders. Sie zeigt Anzeichen einer autistischen Störung. Das Verhalten und die Gefühle anderer Menschen zu deuten, fällt ihr schwer. Für sie muss der Alltag klar gegliedert sein, andere müssen ihr genau sagen, was sie tun soll und was man von ihr will, denn Späße, Ironie und Sarkasmus versteht Annika meist nicht. Was sie sagt, das meint sie auch. Die Welt ist ihr oft zu laut, intensive Gerüche stören sie und zu enge Kleindung kann sie nicht ausstehen. Entspannen kann sie sich am besten, wenn sie sich zurückzieht und mit Büchern umgibt. Ihre Eigenarten und Verhaltensweisen schränken sie sehr ein. Ein eigenständiges Leben aufzubauen ist für sie schwerer als für andere Menschen. Doch zum Glück nimmt ihre Mitbewohnerin Janice sie im ersten Studienjahr unter ihre Fittiche und hilft ihr dabei, ihr Leben zu strukturieren und einige soziale Kontakte zu knüpfen. Janice ist es auch, die Annika in den Schachclub der Uni bringt. Dort trifft sie Jonathan. Und der ist, anders als andere Männer, die immer nur auf Annikas gutes Aussehen angesprungen sind, fasziniert von dieser ungewöhnlichen jungen Frau. Er will sie kennen und verstehen lernen. Zwischen den beiden entspinnt sich eine zarte Liebe, die durch einen Schicksalsschlag jäh in die Brüche geht. Annikas Autismus macht es ihr unmöglich, weiterhin mit Jonathan zusammen zu sein. Die beiden verlieren sich aus den Augen und treffen sich erst zehn Jahre später wieder. Hat ihre Liebe vielleicht doch noch eine Chance?
Annika Rose ist nicht die erste autistische Hauptfigur, die mir in einem Liebesroman begegnet ist. Ich habe vor einigen Jahren auch schon Bekanntschaft mit Don Tillman in Graeme Simsions „Rosie-Projekt“ gemacht. Simsions Roman ist jedoch deutlich humoristischer angelegt als Garvis Graves Buch. Beschrieben wird „Annika Rose und die Logik der Liebe“ als „zärtlicher Liebesroman“ und das ist er auch. Obwohl oder vielleicht gerade weil er wesentlich ernster geschrieben ist, als „Das Rosie-Projekt“.
Ich meinte aus der Geschichte herauszuhören, dass die Autorin genau weiß, wie es sich anfühlt, Autist:in zu sein. Zumindest mir erschien ihre Darstellung der Annika sehr nah an der Realität zu sein, auch wenn ich als Nichtbetroffene sicher nie genau wissen werde, wie es tatsächlich ist, mit dieser Entwicklungsstörung zu leben. Die Autorin lässt Annika ganz unbedarft von ihrer Sicht auf die Welt erzählen. Lässt sie beschreiben, wie sich ihr Leben anfühlt, was sie wahrnimmt und das sich dies grundlegend von dem zu unterscheiden scheint, was „normale“ Menschen wahrnehmen. Sie beschreibt Annikas oft holperigen Weg durch verschiedene Alltagssituationen, deren Interpretation Annika meist schwer fällt. Und sie lässt die Leser:innen daran teilhaben, wie Annika sich zum ersten Mal verliebt, zum ersten Mal mit einem Mann schläft und wie ihre Liebe zum ersten Mal in die Brüche geht. Gerade die erste Liebesszene, die von Annika erzählt und darum äußerst genau und präzise wiedergegeben wird, empfand ich als sehr schön beschrieben. Gleichzeitig nüchtern und doch so intim. Es hat mich richtig gerührt, an Annikas Gefühlsleben teilhaben zu dürfen. Es sind bei ihr nicht die überschwänglichen Emotionen, die Gefühlsexplosionen, sondern eher leise Töne, aus denen man ihre Liebe heraushört /-liest.
Bis kurz vor Ende hat mir die Geschichte um Annika und ihre Bemühungen, ein ganz normales Leben zu führen eigentlich richtig gut gefallen. Doch kurz vor Schluss schob die Autorin eine dramatische Wendung ein, die für mich einfach nicht passen wollte. Dieses Ereignis, das übrigens real passiert ist, war so ein großer Bruch, dass es mich vollkommen aus dieser bis dahin schönen und ruhigen Handlung herausgerissen hat. Für die Figur Annika war es zwar eine Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen, aber für mich war es einfach zu dramatisch und zu viel und wollte sich einfach nicht in die restliche Handlung einfügen.
Abstriche muss ich leider auch bei der Sprecherin Yara Blümel machen. Die Annika spricht sie sehr gut, aber ihr Jonathan ist durch ihre Betonung und Aussprache ein völlig anderer Mensch, als der, den der männliche Sprecher Elmar Börger den Hörer:innen präsentiert. Börger macht seine Sache allerdings sehr gut, sowohl bei Annika als auch bei Jonathan. Die Sprecher eines Hörbuchs sind fast genauso wichtig, wie der Inhalt. Wenn sie nicht passen, leidet der Hörgenuss.
Leider muss ich durch diese beiden Kritikpunkte einen etwas größeren Abzug machen und vergebe für „Annika Rose und die Logik der Liebe“ drei Sterne.