Till ist ein Schüler auf dem Marianeum in Österreich, Wien, das Marianeum ist eine Art Halbinternat. Privatschule. Abends darf man zhausgehn.Till und seine Mitschüler leiden vier Jahre lang unter einem besonders strengen Lehrer, dem Dollinger. Seine Art, die Jugendlichen an Literatur heranzuführen endet darin, dass sie Literatur hassen. Der Dollinger beleidigt und verabscheut seine Schüler und verbreitet Angst und Schrecken. So jedenfalls erlebt Till seine Schulzeit: als Hölle. Till will nämlich nicht lesen, sondern Computerspiele spielen; einem davon ist er verfallen und er wird darin eine echte Größe. Aber das ist erst später. Das mit der Größe, mein ich, und dass er in Shanghai, China, deshalb um ein Autogramm gebeten wird!
Der Kommentar:
Der Schachinger ist, wie immer, meisterhaft. Freilich braucht man in seinem „Echtzeitalter“ durchaus eine Menge Geduld und Durchhaltevermögen, genau wie der Till, denn vier Jahre sind lang. Und so kommt es einem auch vor, der Roman ist lang, will heißen, es wird einem lang. Dennoch hört man sich bald ein. Die vielen Spitzen Schachingers gegen die Politik Österreichs, dem spezifischen in Österreich herrschenden Rassismus, dem nicht aufgearbeiteten Nationalismus, dem Klassendenken und dem Rechtsruck, etc. etc., machen einfach Spaß. Österreich wie es leibt und lebt, und all das dargestellt in den drei Jugendlichen, die sich schließlich als Clique finden, Fina und Feli und Till. Die Klassenkameraden von Till legen ebenfalls eine perfekte Parodie auf Snobismus und Darstellungskunst hin.
Eine Besonderheit ist die Tradition der Marianeumsschüler, auf den sich am Eingang der Schule befindlichen steinernen Löwen zu spucken und zu rotzen, eine grausige Gaudi, die die Verachtung für jede Art von schulischem Zwang und Drill zum Ausdruck bringt und womit man buchstäblich auf die in Österreich so geliebten Traditionen und das Hochhalten von Förmlichkeiten spuckt. Es ekelt einen ordentlich bei Schachingers Beschreibung.
Natürlich ist „Echtzeitalter“ in erster Linie "nur" ein Coming of Age Roman, freilich einer per excellence. Doch der Schachinger legt den Jugendlichen so viele Bonmots in den Mund, über das Leben, den Schmerz, die Einsamkeit, das Sterben, das Missverstandensein, das Ausgeliefertsein an höhere Mächte, den ganzen Amtsschimmel, die Illusionen der Erwachsenen, die seltsamen Blüten, die Bürokratie treiben kann, die Liebe ... . Letztlich ist es doch das reine Vergnügen, dem Schachinger bis zum Ende der Schulzeit Tills zu folgen. Drugs and Rock’n Roll, halt auf österreichisch kommen auch vor, aber dezent. Und natürlich Wien!
Hörbuchsprecher ist Johannes Nussbaum. Auch in dessen Stimme muss man sich einhören, aber dann trägt der Sprecher mit viel Witz durch die Handlung.
Fazit: Ein echter Schachinger. Was will man mehr? Als bekennender Schachinger-Fan. (Den Bindestrich würde der Dollinger hassen!).
Kategorie: Coming of Age
Hörbuch-Verlag: Argon Digital, 2023/sonst: Rowohlt
Tonio Schachinger
Lebenslauf von Tonio Schachinger
Nicht wie andere Literatur: Antonio Schachinger wird 1992 als Sohn eines österreichischen Diplomaten in Indien geboren und wächst in Wien und Nicaragua auf. Er geht in Wien zur Schule und lebt dort seit der Scheidung seiner Eltern.
An der Wiener Universität studiert er Romanistik und Germanistik und an der Universität für angewandte Kunst belegt er Sprachkunst. Dort ist er zudem als Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Jenny“ tätig. 2019 schließt er sein Studium mit einer Diplomarbeit ab.
Nachdem er 2018 gemeinsam mit Anna Schachinger den Bildband »Sicherheit« veröffentlichte, gelingt ihm 2019 mit seinem Debütroman »Nicht wie ihr« der literarische Durchbruch. Das Buch schafft es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019 und begeistert die Jury durch seinen originellen Erzählstil.
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Nicht wie ihr
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Echtzeitalter
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Neue Rezensionen zu Tonio Schachinger
▪️ Der Titel ist eine Anspielung auf das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2, das bestimmt jeder von euch kennt. Selbst mir ist dieses Spiel ein Begriff aus meiner Jungend, allerdings war mir nicht bewusst, dass selbst heute, im Streamingzeitalter, diese Spiel immer noch von (wenn auch weniger) Jugendlichen gespielt wird.
Einer dieser Jugendlichen ist Till, der Protagonist von Tonio Schachingers neuem Gesellschafts- und Coming-of-Age Roman.
Wir begleiten Till chronologisch durch seine komplette Schulzeit am Marianum, einer alt-ehrwürdigen Wiener Eliteschule, und erleben mit ihm die klassischen Probleme des Erwachsen Werdens.
Das Setting ist recht interessant gewählt, hat man doch sonst eher keinen Einblick in solch illustre elitäre Kreise. Die Probleme hingegen bleiben die gleichen.
Tyrannische, mobbende Lehrer:innen und Klassenkamerad:innen, abwesende Eltern, die mehr mit ihren eigenen Leben beschäftigt sind, als mit dem ihrer Kinder, die erste Liebe. Till hat zudem noch mit dem frühen Tod seines distanzierten Vaters zu kämpfen.
Kein Wunder, dass er sich lieber in die Welt der Online-spiele flüchtet. Bei Age-of-Empire 2 steigt er in die Riege der internationalen Topspieler auf.
▪️ Mir gefielen die analysierenden, aber nie gemeinen Spitzen Schachingers gegen gewisse österreichische gesellschaftliche Spezialitäten sehr gut. Das schlecht, oder kaum versteckte, rechte und reaktionäre Gedankengut in vielen Köpfen und das Klassendünkel gewisser Schichten benennt er deutlich, aber ohne große moralische Keule, die überlässt er dem/der Lesenden gerne selbst.
▪️ Auch das Erlöschen der kindlichen Illusionen und das Einsetzten des pragmatischen Realismus, den das Erwachsenwerden oft mit sich bringt, beschreibt Schachinger gekonnt. Schmerzlich und eindringlich die Szene, als Till die Trauer um seinen Vater nicht mehr verdrängen kann…
Trotzdem ist diese Hörbuch kein wirkliches Highlight für mich. Zu langatmig gestalten sich manche Passagen, zu wenig Action für meinen Geschmack und letztendlich doch zu wenig charakterlicher Tiefgang bei der Figur Till.
▪️In Summe durchaus hörenswert, aber vor allem wegen des genialen Vortrags in österreichischen Einschlag vom Sprecher und Schauspieler @johannesnussbaum. Kein Material für ein nochmaliges Hören.
Rezension zu "Nicht wie ihr" von Tonio Schachinger
Tonio Schachinger ist sehr nahe am Bewusstsein von Ivo, seiner Hauptfigur. Er schreibt flüssig und zielsicher, die wienerischen Einsprengsel sind gekonnt. Durch die Perspektive und die Sprache fühlt man sich der Figur sehr nahe. Der Mittelteil des Romans hat aber deutliche Längen und wirkt auf mich stellenweise geschwätzig. Der Roman hätte deutlich gewonnen, wäre er um einen Drittel kürzer.
Gespräche aus der Community
Gemeinsam möchten wir wieder Debütautor*innen entdecken, zusammen ihre Bücher lesen, rezensieren und - wenn sie uns gefallen - weiterempfehlen. Bei den vielen Neuerscheinungen in jedem Jahr haben es deutschsprachige Debütautor*innen schwer sich zwischen Bestsellern und Übersetzungen durchzusetzen. Wir können uns ganz bewusst gemeinsam daran versuchen und besondere Buchperlen finden!
Hie geht es zu dem Debütroman von Gabriele Dietrich. Sie hat einen sehr emotionalen Pferderoman geschrieben, der mir an mehreren Stellen die Tränen in die Augen getrieben hat – denn ich liebe Tiere.
https://www.lovelybooks.de/autor/Gabriele-Dietrich/Pferde-brauchen-Geborgenheit-4338028361-w/