Es war ein Schwur, der weit mehr als nur ein Urlaubsziel betraf, es war ein Versprechen, das nicht weniger als die Ewigkeit einschloss. Und sie glaubten zu diesem Zeitpunkt beide fest daran, es auf jeden Fall einhalten zu können. (Seite 129)
Meine Meinung
Nun habe ich seit Beendigung des Buches einige Zeit zum Nachdenken gehabt und immer noch schwirren so viele Gedanken im Kopf herum, daß es nicht ganz leicht ist, die in eine sinnvolle Reihenfolge zu bekommen. Womit eines schon fest steht: dies ist kein Buch, daß man einfach so nebenbei „wegliest“, um dann zum nächsten überzugehen. Zum „Weglesen“ könnte der sehr flüssige Schreibstil verführen, doch man sollte sich nicht in die Irre leiten lassen, denn wie so oft kommt es auf die Feinheiten an - und um die zu erkennen bzw. zu bemerken, bedarf es einer gewissen Ruhe und vor allem sorgfältigen Lesens. Denn die im Buchrückentext erwähnte Trennung hat schleichende Gründe, die sich in kleinen Dingen, fast schon Nebensächlichkeiten, zeigen und leicht überlesen werden.
Es sind zwei wesentliche und drängende Probleme unserer Zeit, die der Autor in seinem Roman verarbeitet: zum Einen eben das des Ehe- bzw. Beziehungsverständnisses; auf Schlagworte reduziert: Lebens- oder Lebensabschnittsgefährten? Zum Anderen ist da die Thematik der sogenannten political correctness - oder was darf man heute noch sagen, falls man überhaupt noch etwas sagen darf? Zwei schwergewichtige Themenkreise, die der Autor souverän in seinem Roman durchdiskutiert hat.
„Bis daß der Tod euch scheidet“ heißt es im Eheversprechen, und doch betrug die Scheidungsquote in Deutschland lt. Destatis im Jahr 2021 knapp 40%. Woran liegt es, daß die Versprechen zur ewigen Treue so oft gebrochen werden? Das Buch liefert auf diese Frage mit Sicherheit keine (und schon gar eine abschließende) Antwort; das wäre auch gar nicht seine Aufgabe. Aber Denkanstöße - die gibt es zuhauf.
Trennungsgeschichten gehören nicht unbedingt zu meinem bevorzugten Lesestoff; hier hat mich interessiert, wie der Autor die Thematik angeht und die Figuren selbst damit zurecht kommen. In der Geschichte von Clemens und Marie gibt es keinen großen Knall, keine besonderes Ereignis, an dem man das Scheitern ihrer Beziehung festmachen könnte. Es ist ein langsamer, schleichender Prozeß, der sich eher im Untergrund abspielt und nur manchmal das eine oder andere Detail ans Tageslicht kommen läßt, bei dem man aufmerken und vermuten könnte, daß irgendetwas nicht stimmt - ohne das genauer definieren zu können. So gesellt sich eines zum anderen, bis plötzlich die Erkenntnis aufsteigt: „wir lieben uns nicht mehr.“ An dem Punkt hatten die Figuren mir offensichtlich einiges an Erkenntnis voraus, denn als denen dies bewußt wurde, erschien es mir noch lange nicht klar und kam insofern für mich etwas früh bzw. überraschend.
Wie dem auch sei, nun mußten Figuren wie ich mit dem Fortgang der Geschichte und deren Umgang mit der Trennung zurecht kommen. Das war der eigentlich interessante Teil des Buches: wie geht man damit um, wenn man die Liebe verloren hat - oder glaubt, sie verloren zu haben. Vielleicht nicht direkt wörtlich, aber auf jeden Fall thematisch kommt man unweigerlich auf die Frage: was macht „Liebe“ aus, was macht eine Beziehung aus, oder noch tiefer: was ist eigentlich die Grundlage einer dauerhaften Beziehung zwischen zwei Menschen? Genau dies ist für mich das Hauptthema des Buches. Seit ich ausgelesen habe, habe ich viele Stunden darüber gegrübelt, habe versucht, die Figuren und ihre Entscheidungen zu verstehen und nachzuvollziehen, habe versucht, mir selbst darüber klar zu werden. Am Ende läuft es tatsächlich auf die Frage hinaus: was ist das Fundament einer Beziehung? Ist es regelmäßiger Sex? Ist es eine regelmäßige Verabredung jeden Freitag? Ist es eine rosarote Weltsicht, und wenn die Brille dann Normalfarbe hat, ist die Liebe und die Beziehung vorbei? Wann ist eine Beziehung auf einem Felsen gebaut, der ein Leben lang hält und wann auf Sand, so daß der erste starke Sturm sie hinfortfegt?
Im Gegensatz zu den Figuren (und dem Autor?) war ich am Ende der Meinung, daß die Figuren eine falsche Entscheidung getroffen haben. Sie versuchen, ihre Entscheidung vor sich und anderen zu rechtfertigen und als die richtige darzustellen. Sie haben sich mit der Grundlage ihrer (oder überhaupt einer) Beziehung allerdings nie richtig beschäftigt, so daß diese auf Sand gebaut war. Und der erste Sturm sie weggeblasen hat. Schade eigentlich.
Das zweite große Thema des Buches ist die sogenannte „political correctness“ und die seuchenartig um sich greifende Cancel-Culture. Ich möchte dies hier eigentlich nur erwähnen mit dem Hinweis, daß der Autor im Verlauf des Romanes das dermaßen gut dargestellt hat, daß ich nur empfehlen kann, es selbst dort nachzulesen, da ich es nicht so gut zusammenfassen kann, wie der Autor es ausgeführt hat. Großes Lob und Danke an Autor wie Verlag, dieses wichtige Thema so ungeschminkt und direkt anzusprechen.
Insgesamt gesehen war dies ein Buch, welches eigentlich außerhalb meines „üblichen“ Leseschemas liegt und auf das ich durch eine Internetdiskussion aufmerksam geworden bin. Auch wenn ich mit den Figuren (und möglicherweise mit dem Autor?) nicht in allen Punkten gleicher Meinung bin, bin ich sehr froh, das Buch gelesen zu haben. Der Roman ist in sich „rund und geschlossen“ und auch, wenn ich in Bezug auf die Entscheidung von Clemens und Marie letztlich anderer Meinung bin, in sich stimmig. Es werden wesentliche Themen unserer Zeit auf eine Weise behandelt, die unbedingt zum Nachdenken anregt.
Immer wieder einmal wird von einem Buch behauptet, es sei „ein wichtiges Buch“. Das liegt bisweilen auch im jeweiligen Interesse des Lesers (oder Rezensenten). Hier bei „Freitags bei Paolo“ würde ich die Bezeichnung „wichtiges Buch“ unbedingt für richtig und geradezu notwendig halten. Denn egal, welcher eigenen Meinung man auch ist, der Autor hat wesentliche Themen unserer Zeit auf eine Weise in eine gut erzählte Geschichte gepackt, daß es viel Diskussionsstoff und noch mehr solchen zum Nachdenken und Bilden einer eigenen Meinung gibt. Und wenn das kein Argument für ein „wichtiges Buch“ ist, dann weiß ich auch nicht mehr.
Mein Fazit
In der Geschichte des Werdens und Vergehen der Liebe von Clemens und Marie taucht die Frage nach den Grundlagen einer Beziehung auf. Im Buch folgt man den Entscheidungen der Figuren und wird gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Sehr gut erzählt, viele Anstöße zum Nachdenken - ein großartiges Buch, dem ich viele Leser wünsche.