Worum geht es? Wir begleiten die freischaffende Wirtschaftsdetektivin Maxine Tarnow, aktuell alleinerziehend, 2 Kinder, durch das New York des Jahres 2001 und 2002, vor, während und nach den Anschlägen von 09/11. Mit ihren Augen beobachten wir das Treiben der frühen Helden des .com-Zeitalters, die mit dem Börsencrash seit dem Jahr 2000 kämpfen, manche Firmen vor die Hunde gehend, andere immer weiter aufsteigend, so wie das Ziel von Maxines Nachforschungen, die Firma hashslingrz und ihren Chef, Gabriel Ice. Gleichzeitig taucht Maxines Ex-Mann Horst Loeffler (seit wann heißen Amerikaner eigentlich Horst?) wieder in NY auf. Bahnt sich hier etwa eine Versöhnung der beiden an? Und was haben hashslingrz und Gabriel Ice mit dem Terror von 09/11 zu tun? Dazu schwirren noch gefühlt 1000 andere Namen durch die Geschichte, einige gar mehrmals, und sind manchmal sogar für den Fortgang der Geschichte von Bedeutung.
An dieser Stelle ein Tipp für Pynchon-Erstleser: Jeder (!) Name der auftaucht wird auf einer separaten Liste notiert, mit vollständigen Anmerkungen zu Verwandtschafts-, Freundschafts-, Bekanntschaftsverhältnis zu anderen bereits erwähnten Namen. Das konsequente Einhalten dieser Regel führt dazu, dass man sich auf Seite 5xx nicht fragen muss: wer ist denn das jetzt?, sondern entspannt in seinen ca. 300 Seiten Anmerkungen blättern und nachschlagen kann, wer diese(r) für die Geschichte belanglose Nichtsnutz ist, auf welcher Seite er/sie bereits erwähnt wurde und in welchem Verhältnis zu anderen für die Geschichte belanglosen Nichtsnutzen er/sie steht. Der Erkenntnisgewinn eines solchen - zugegeben zeitaufwendigen - Vorgehens ist kaum zu unterschätzen. :-)
Im Laufe der Geschichte lernen wir u.a.,
warum die Frischfleischmaske für den Teint der Business Woman von 2001 sich nicht durchgesetzt hat,
dass auch Männer in Amerika am Zusammenbau der berühmten schwedischen Billigmöbel blutig scheitern können,
dass Maxine meist nur eine Beretta bei sich trägt, wenn es allerdings ernst wird, eine Walter PPK mit Laseraufsatz,
warum es ganze Rudel verwilderter Hunde auch innerhalb großer Wohnhäuser in NY gibt.
Falls man in der Lage ist, auch mal einen Satz, der sich über eine halbe Buchseite zieht, zu ertragen, wenn gefühlt 10 unbekannte Wörter drin vorkommen, ohne gleich reflexartig googeln zu müssen, was das alles heißt, und wenn man dann noch die Größe besitzt, nicht unbedingt auf der Lösung aller auftauchenden Fragen zu bestehen, dann kann man zwanzig vergnügliche Lesestunden mit Bleeding Edge verbringen.
Für mich ist es nicht Pynchons bester Roman, aber auch nicht sein schwächster (mein persönlicher Favorit bleibt „Vineland“).