Der Roman, "Das Glück meines Bruders" von Stefan Ferdinand Etgeton beschreibt eine Männergeschichte, die aber auch Frauen lesen können. Doch das Buch hat von Anfang bis Ende einen starken männlichen Touch. Das spiegelt sich nicht nur in der Handlung, sondern vor allem auch in der Erzählweise, als auch im Ausdruck wider.
Die beiden Brüder Botho und Arno van Dijk, als auch die zukünftige Ehefrau von Arno - Anja - verbringen einige Tage in dem kleinen Ort Doel (Belgien). Hier lebten einst die Großeltern der Brüder, bei denen sie in der Kindheit und Jugend Sommerferien als auch Weihnachten verbrachten. Doch nun, so viele Jahre später soll das Haus abgerissen werden. Es ist ein endgültiger Abschied von einer lange zurückliegenden Zeit. Außerdem hofft Botho, nach so vielen Jahren seine Jugendliebe Lenie wiederzusehen, die er einst ohne Abschiedswort verließ. Doch diese ist schon lange weggezogen, wie so viele andere Bewohner auch. Als er sie endich findet, ist es nicht die Lenie, die er zu kennen glaubte.
In vielen sehr persönlichen Gesprächen lassen die Brüder ihre Kindheit und Jugendjahre erneut aufleben und viele Verletzungen, als auch Verdrängtes kommt zur Sprache. Es ist, als hätte jeder der Brüder einen anderen Ort "Doel" und andere Menschen kennengelernt. Botho muss erfahren, dass sein von ihm so innig geliebter Großvater nicht der Mensch war, für den er ihn die ganzen Jahre hielt.
Aus einfachen Verhältnissen kommend, die Eltern haben eine kleine Zoohandlung, hat sich Botho aus seinem ungeliebten Milieu befreit, ist nach Bochum gezogen, hat Abitur gemacht und studiert. Jetzt ist er Lehrer, bei seinen Schülern beliebt und stolz auf das, was er erreicht hat. Dagegen sieht Arno, eine verkrachte Existenz ohne gute Schul- und Ausbildung, in Anja den Menschen, der ihn und sein Leben heil machen kann.
Zwischen den Brüdern entspannen sich tiefsinnige Dialoge und Gedankengänge, die man zwar Botho zutrauen würde, aber Arno?
Seite 120: "Du stehst zu mir, aber was ist mit den arroganten Leute, die denken, sie wären was Besseres! Einerseits schlagen sie die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man hinter dem Haus ein Feuer macht und Müll verbrennt, aber andererseits machen sie selber zweimal im Jahr eine Fernreise mit dem Flugzeug nach Thailand oder Israel und blasen Trillionen Kilo Co2 in die Atmosphäre, aber das ist nicht weiter schlimm, sondern notwendig, um sich kulturell weiterzuentwickeln...."
Seite 121: " Was okay ist und was nicht okay ist, was bäuerlich oder erbärmlich und primitiv, ja geradezu dumm ist, bestimme nicht ich, sondern bestimmen schon seit jeher die Leute in der Zeitung oder im TV, Leute von der Uni oder solche, die Jobs haben, für man eigentlich zur Uni müsste, und ich will auch gar nicht mit denen tauschen, aber ich würde mir wünschen, sie kämen mal vorbei und würden mit mir reden, weil ich ihnen nämlich was zu erzählen hätte...."..... "Um ein guter Mensch zu sein, musst du nicht unbedingt gemischte Toiletten benutzen, das ist doch Augenwischerei. Aber vor allem darfst du nicht herabschauen auf mich...."
Gesellschaftskritik von einem, der im Leben zu kurz gekommen ist. Arno spricht das aus, was viele Menschen denken. Die oben sind, brauchen den Blick auf die da unten, damit sie sich oben gut fühlen können.
Botho, der zwar seinen stärksten Wunsch, zu studieren, wahr machte, doch dann verpasst, das erreichte Ziel mit Leben zu füllen. Am Ende lebt er kraftlos in den Tag hinein, gibt in San Sebastian Deutschunterricht, schläft, wenn sich die Gelegenheit bietet mit Touristinnen und lässt sich ansonsten sein Leben durch die Finger rinnen. Seite 239: "Ich bin von der Lebensreise erschöpft und erschöpft vom Versuch, meine Vergangenheit zu entschlüsseln und mich durchzubohren zu meinem Kern, durchzubohren in fremde Kerne, erschöpft vom Ringen mit der Vorbestimmtheit, die aus meiner Herkunft und meiner Vergangenheit resultiert, und deshalb suche ich mir nun statt meiner alten keine neue Identität..."
Arno heiratet Anja, gründet eine Familie, hat endlich einen festen Job der ihm Bestätigung gibt und der ihm gefällt. Er weiß, welch fragiles Gebilde sein Leben ist und setzt alles daran, seine Sache gut zu machen.
Wer von beiden Brüdern hat am Ende das Glück gefunden?