Chastity Riley und ich sind befreundet - seit über 10 Jahren schon. Ich begleite sie durch die Straßen von Hamburg. Wir trinken nach Feierabend bis spät in die Nacht Whisky und Bier in zwielichtigen Eckkneipen auf St. Pauli und planen den Kater am nächsten Morgen schon mit ein. Wir ärgern uns über den Hamburger Dauerregen und gaffende Touristen. Wir sinnieren über Liebe, Einsamkeit, Bindungsängste, den Wert von Freundschaft, den Umgang mit inneren und äußeren Verletzungen. Wir fragen uns, warum es oft so schwer fällt, über den eigenen Schatten zu springen. Wir machen uns Sorgen um das Gesicht, die Stimmung und die weniger privilegierten Menschen der Stadt, während die Gentrifizierung sich durch die Nachbarschaft frisst. Chas raucht Kette. Ich nicht.
Zu dumm, dass Chas nicht real ist.
Sie ist die toughe, jedoch leicht verkorkste Staatsanwältin mit irisch-amerikanischen Wurzeln in der preisgekrönten Krimi-Reihe von Simone Buchholz.
Mich haben diese Fälle um Chas und ihre eigenwilligen Mitstreiter:innen sofort gefesselt. Es geht in dieser Reihe um harten, spannenden Krimi-Stoff - um organisierte Kriminalität, abgetrennte Körperteile und Mord, um brutale psychische und physische Gewalt, um Korruption, Gier und Drogen, um Verwahrlosung und Verrohung, um Verrat, Rache und Vergebung. Es geht aber auch um den Hamburger Kiez mit seinen Kleinganoven und die, denen das Leben keine goldenen Löffel auf den Tisch legt.
Und letztlich geht es auch darum, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer miteinander vereinbar sind und dass es für Chas oft gute Gründe gibt, der Gerechtigkeit den Vorzug zu geben.
Simone Buchholz lebt selbst auf St. Pauli. Ihr direkter, abgeklärter Erzählstil, der fast ohne Nebensätze auskommt, lässt eine ganz eigene Stimmung lebendig werden. Dabei wachsen einem die gebrochenen Charaktere mit all ihren Marotten ans Herz.
Die “Guten” sind nach St. Pauli-Fußballern benannt, die anderen nach HSV-Spielern.
Dieses Buch und die ganze Reihe empfehle ich allen, die sich von einem guten Krimi mehr als nur die Lösung eines Falls erwarten, sondern auch Freude daran haben, das eigene Wertesystem immer mal wieder zu hinterfragen.
Jedes Buch ist in sich abgeschlossen. Da sich die Hauptcharaktere von Band zu Band weiter entwickeln, solltet man unbedingt mit „Revolverherz“ starten.