Die Autorin Ruta Sepetys ist Amerikanerin mit litauischen Wurzeln. Hier schildert sie das Schicksal des siebzehnjährigen Cristian "Cristi" Florescu, der wider Willen zum IM (informeller Mitarbeiter) des DSS (Securitate, Departament Securităţii Statului) wird.
Ich schreibe selbst gerne über Zeitgeschichte und Historie, aber natürlich nicht nur Securitate, sondern eben auch Individuen dahinter. Deswegen hat mich dieses Buch hier sehr gereizt.
Es ist nicht nur ein Coming of Age-Buch, sondern auch ein Porträt einer Diktatur, jener in Rumänien, die in den letzten Zügen liegt. Das Werk setzt im Oktober 1989 ein (und die später verratene Revolution begann im Dezember 1989 zunächst in Timişoara).
Bukarest (București): Der Schüler Cristi wird unter einem Vorwand erpresst, für die Securitate arbeiten zu müssen, indem er ihr Zuträger wird. Denn seine Mutter ist Putzfrau im Wohnsitz des amerikanischen Botschafters.
Wohl oder übel spielt er mit, hofft aber, dass er mithelfen kann, das System von innen zu zersetzen. Er geht ein großes Risiko ein in seinem individuellen Kampf, in einem Land, in welchem man niemanden trauen darf und kann.
Und als die Revolution kommt, nimmt er mit großem Enthusiasmus daran teil. Aber wird es den Preis wert sein oder ist jener womöglich zu hoch?
Die Autorin hat für dieses Buch viel recheriert, nicht nur Literatur, sondern ebenso Rumänien bereist und viele Leute befragt, unter anderem Historiker wie den Rumänen Stejărel Olaru.
Es ist ihr gelungen, die beklemmende Atmosphäre der siechen Diktatur sehr überzeugend einzufangen. Die langen Schlangen, die sich gebildet haben, um Essen zu bekommen und dann Schweinefüße zu erhalten. ("Die einzigen Patrioten. Weil die im Lande bleiben "). Der vorherrschende Hunger, die drastischen Rationierungen von Strom und Wärme, das daraus resultierende Frieren, die Dunkelheit allerortens, die erwachsenden Gefahren, die diese generiert. Die weitverbreitete, durchaus berechtigte Paranoia. Man kann niemanden trauen, fühlt sich ständig beobachtet, die grausamen Prätorianer des Königs Ceaușescu sind omnipräsent. Das blaue Auge beobachtet dich ...
Repressalien, zerstörte Zukunft, Folter, Gefängnis, Zwangsarbeit bis zum Tode, erzwungene Umsiedlungen, Dörfer, die zu tausenden plattgemacht werden sollten bis zum Jahr 2000(!).
Das Bedrückende und Destruktive sind exzellent geschildert, sodass auch für Nachgeborene und Menschen, die die Historie des Landes so gar nicht kennen, all dies erschreckend gut greifbar werden.
Rumänien, noch immer leider Terra Incognita auf der Landkarte des Wissens vieler Leute, harrt immer noch der Entdeckung. Denn es gibt viele faszinierende Facetten und die Sprache selbst, eine romanische, sehr dicht noch am Lateinischen, hat etwas für sich.
Das Buch ist für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen geeignet. Auch für alle, die Zeitgeschichte schätzen und eher unbekanntere Seiten Europas kennenlernen wollen. Cristi ist sympathisch und wird komplex präsentiert, auch in seinen Qualen wie Gewissensnöten.
Das Buch ist emotional ergreifend, auch traurig, hat ebenso schwarzen Humor, zeigt das ganze Spektrum des kollektiven Schmerzes. Zudem hat das Buch im Anhang noch eine Bilderstrecke, und eine Bibliographie.
Außerdem erhält das Buch noch einen zusätzlichen Schub zur ohnehin hohen Authentizität durch die vielen, realistischen Details. Und es gibt immer wieder Worte der Limba Română (Rumänische Sprache) im Fließtext. Zudem ist jedes Kapitel bilingual, in normaler Ziffer und direkt darunter ausgeschrieben in Rumänisch. Also 1 – Unu, 2 – Doi usw.
Ein großformatiges Paperback.