Ich will es mal so sagen: Wenn Pippi Langstrumpf das einzige Buch von Astrid Lindgren wäre, würde ich es höher bewerten. Die Geschichte an sich ist ja auch lustig und gut zu lesen, aber sie wird im Zusammenhang mit Lindgrens Gesamtwerk maßlos überschätzt. Meiner Meinung nach sind die "Pippi"-Geschichten tatsächlich sogar ihre "schlechtesten" Bücher (das ist natürlich relativ, selbst ihr schlechtestes Buch ist vermutlich immer noch besser als 90 % der übrigen Kinderliteratur). Wahrscheinlich liegt es tatsächlich daran, daß es ihr erstes Buch war, jedenfalls ist es das einzige, bei dem es mir so vorkommt, als werde manchmal "über die Köpfe der Kinder einem unsichtbaren erwachsenen Leser zugeblinzelt" (Zitat aus "Ratschläge für einen angehenden Kinderbuchautor" in "Das entschwundene Land").
Und es gibt erstaunlich viele Kinder, die mit diesem eher slapstickhaften Humor nichts anfangen können und dann im schlimmsten Fall nie wieder ein Lindgren-Buch in die Hand nehmen.
Noch schlimmer sind Eltern, bei denen Pippi völlig falsche Erwartungen geweckt hat -- und die dann völlig verstört sind, weil in "Michel" sehr direkt Armut und Tod angesprochen werden, "Madita" wie ein ganz normales Kind Lügen erzahlt (Kapitel "Richard") oder beim Spielen verunglückt und beide Male die Konsequenzen tragen muß, bei" Kalle Blomquist" und "Ronja Räubertochter" sogar Figuren sterben und allgemein eben das wirkliche Leben gespiegelt wird,. Und so was darf man natürlich den armen sensiblen Kindern nicht zumuten, die kriegen am Ende noch ein Realitätstrauma...
Das war der lautstarke O-Ton einer Gruppe von vielleicht 4 oder 5 Eltern, die heute nachmittag in einem Café neben mir saßen . Ich konnte es mir dann nicht verkneifen, diese Leute zu fragen, was sie denn erwartet hätten. Unisono: "So was Ähnliches wie "Pippi Langstrumpf" -- eben harmlose (!) Unterhaltung." Auf meinen Einwand, daß "Pippi" in Lindgrens Gesamtwerk komplett aus dem Rahmen fällt und ihre phantastischen Romane generell eher ernst sind, während sonst praktisch die ganze Bandbreite an Literatur abgedeckt wird, entwickelte sich eine Diskussion mit der Quintessenz: Bei praktisch allen Beiträgen über Lindgren wird Pippi Langstrumpf hervorgehoben, die anderen Bücher rangieren unter Fernerliefen. (Ironischerweise stellte sich heraus, daß diese Leute als Kinder alle keine Geschichten bzw. Filme von Astrid Lindgren kannten, weil ihre Eltern Angst gehabt hatten, sie könnten durch die Lektüre von Pippi Langstrumpf anfangen zu lügen oder auf gefährliche Ideen kommen und ebenfalls der Meinung gewesen waren, alle anderen Bücher seien "so was Ähnliches wie Pippi Langstrumpf". Ich dachte, die Einstellug sei spätestens in den 70er Jahren vorbeigewesen, aber anscheinend ist die Vorstellung vom "pädagogisch wertvollen Kinderbuch" nicht auszurotten..)
(Und diese Unterhaltung war der Grund für die "Rezension".)