Rezension zu "Das Grab" von Richard Laymon
„Wenn du einen ledigen Typen über fünfundzwanzig findest, der nicht verheiratet war oder zumindest eine langjährige Beziehung mit einer Frau hinter sich hat, stimmt mit ziemlicher Sicherheit was nicht.“ (S. 262)
Der Horrorroman „Das Grab“ von Richard Laymon wurde bereits 1989 unter dem Originaltitel „Resurrection Dreams“ in den USA veröffentlicht. Die deutsche Erstveröffentlichung des 529 Seiten schweren Werks hat lange auf sich warten lassen, bis sie schließlich postum 2010 im Heyne Hardcore Verlag erfolgt ist. Bereits zuvor habe ich etliche Werke des Autors gelesen, wobei mir seine frühen Werke immer deutlich besser gefallen haben. Aus diesem Grund war ich sehr gespannt auf diesen Roman. Ich habe mir einen kurzweiligen Horrorschocker mit expliziter Sprache und Ekelmomenten erwartet.
Vicky ist im letzten Jahr auf der Highschool, als bei einem tragischen Autounfall zwei der beliebtesten Schüler*innen sterben. Auf einer Wissenschaftsmesse kommt heraus, dass der Außenseiter Melvin eine Leiche nicht nur ausgegraben, sondern auch an ihr experimentiert hat, um sie wiederzubeleben. Nach ihrem Medizinstudium kehrt Vicky Jahre später in ihren Heimatort zurück. Inzwischen wurde Melvin nicht nur aus der psychiatrischen Anstalt entlassen, sondern hat auch an seinem Plan festgehalten…
Das Horrorbuch ist in drei Abschnitte („Das letzte Schuljahr“, „Heimkehr“ und „Ein Jahr später“) unterteilt, die Vickys Leben und Erlebnisse chronologisch abbilden. Dabei ist der erste Abschnitt ausschließlich aus Vickys Perspektive geschrieben, während ab dem zweiten Abschnitt Melvins Sicht mit berücksichtigt wird. Die unterschiedliche Art und Weise, wie sie ihre gemeinsamen Gespräche wahrnehmen, wird dem Lesenden regelrecht drastisch bewusst. Einmalig kommt auch der ehemalige Polizeichef zu Wort, wobei dies eher weniger zur Handlung beiträgt als eher dem Sinn und Zweck dient, einen zusätzlichen Widerling zu porträtieren. Der Schreibstil von Laymon ist gewohnt kurz und knapp. Er reißt den Lesenden mit und beinhaltet viel wörtliche Rede. Die Geschichte ist in einer personalen Erzählweise und der Vergangenheitsform geschrieben. Wie bereits im englischen Titel angedeutet, verfolgt Melvin seinen Traum von der Wiederauferstehung, während Vicky parallel dazu wiederkehrende Albträume von Melvin und seinen Experimenten hat. Oft beginnen ihre Kapitel damit, dass sie aus einem dieser Träume erwacht.
Die Protagonistin der Erzählung ist Vicky. Sie sieht gut aus, ist sportlich und empathisch. Sie versucht sogar, den Außenseiter Melvin zu verteidigen, der dem täglichen Spott seiner Mitschüler*innen hilflos ausgesetzt ist. Sie ist der Traum jeden Mannes. Jedoch verfolgt sie ihr berufliches Ziel der eigenen Arztpraxis zielstrebig und ist verunsichert, ob das ihrem Liebesleben entgegensteht. Im Verlauf der Geschichte kommen aber auch ihre negativen Eigenschaften zum Vorschein, denn sie ist geradezu penetrant wissbegierig, naiv und nimmt keinerlei Ratschläge an, weshalb sie sich regelmäßig in Lebensgefahr begibt. Ihre beste Freundin Ace versucht sie dennoch zu unterstützen und auf sie einzuwirken.
Melvins Eltern sind bereits gestorben. Er ist reich, hat aber keinen, mit dem er sein Leben verbringen könnte. Im Grunde ist er auf der verzweifelten Suche nach einer Frau, die seine Einsamkeit beendet. Er hat sich an Vicky festgebissen, weil sie zu freundlich gewesen ist. Als Antagonist der Geschichte möchte Melvin keine eigenständig denkende Frau, sondern braucht den absoluten Gehorsam für sein angeknackstes Ego, was ihn schließlich zu seinen Experimenten führt.
Gleich am Anfang des Romans wird ein Autounfall und das Aussehen der Leichen detailliert beschrieben, sodass sofort das Hauptthema des Buches, nämlich die Faszination vom Tod, deutlich wird. Dieser Einstieg ist drastisch, hat mir aber gut gefallen. Ebenfalls mochte ich die Anspielungen auf die Geschichte des Horrors. Melvin liest bereits in jungen Jahren „Frankenstein“, während er an Leichen experimentiert, denkt an „Psycho“, während er in der Dusche steht oder fürchtet einen Biss der Toten, der sich wie in den „Romero“-Filmen auswirken könnte. Zudem ist er argwöhnisch, als sich Vicky mit ihm treffen möchte und er an „Carrie“ denkt und wie ihr übel mitgespielt wurde.
Aber am Meisten hat mich der Überlebenskampf einer wichtigen Figur nach zwei Drittel des Romans beeindruckt. Die Szene geht gefühlt ewig, man leidet jede Sekunde mit der Person mit und es ist atemberaubend spannend. Denn die Art der Darstellung lässt den Lesenden lange im Dunkeln, um wen es sich nun wirklich handelt. Dagegen wirkt die Auflösung des Horrorromans leider ziemlich unspektakulär und erwartbar. Dieses versöhnliche Ende verwundert, da Laymon doch sonst eher kompromisslos mit seinen Protagonisten umgeht.
Außerdem hat mich Vickys Charakter mit der Zeit immer mehr genervt. Sie ist übertrieben freundlich zu Melvin, obwohl sie von seiner Obsession weiß. Sie kann sich nicht einfach aus Sachen heraushalten, die offensichtlich gefährlich sind oder sie nichts angehen, sondern spielt ständig mit dem Feuer. Dies tut sie jedoch nicht mal absichtlich, sondern mit einer Naivität und Leichtfertigkeit, die man eher einer Teenagerin zutrauen würde. Gesunden Menschenverstand sucht man hier vergeblich, sodass ihre beste Freundin deutlich interessanter wirkt.
Ich würde das Buch denjenigen Lesenden empfehlen, die entweder Richard Laymon und seine ausschweifenden Schilderungen von Gewalt und Sexualität bereits kennen und lieben oder aber vor einem brutalen Horrorroman mit expliziter Sprache nicht zurückschrecken. Das Ende des Horrorromans hat mich zwar etwas enttäuscht, jedoch geht es bereits am Anfang gut zur Sache und in der Mitte des Buches gibt es eine atemberaubend spannende Kampfszene. Ich gebe 3,5/5 Sterne und runde auf dieser Website auf 4/5 Sterne auf.