Vielfältige, interessante Innenansichten aus dem Iran
Als Kind vor der Revolution aus dem Iran geflohen, in den 2000er Jahren für einige Jahre Korrespondentin in eben dieser Stadt. Ramita Navai weiß, wovon sie spricht. Und, neben dem Hauptthema ihrer narrativ erzählten Portraits von Menschen in Teheran fließ daher auch jede Menge an Kenntnis und alltäglichen Details in ihren Bericht mit ein, was das alltägliche, normale Leben in der, lange regelrecht abgeschotteten, Staat ausmacht.
Welche Gruppierungen vom Sturz des Schahs profitziert haben, wie das soziale Gefüge in der großen Stadt Teheran sich aufbaut, wie zentral familiäre Verbindungen sind (bis hin zur (gewünschten) Ehe zwischen Cousins und Cousinen). Wie das Gefällt zwischen dem reichen, durchaus westlich orientierten Norden der Stadt sich darstellt zum eher traditionellen, dem Kleinbürgertum mit seinen religiösen Traditionen verhafteten Süden der Stadt.
Wobei vielfach weibliche Wesen aus dem Norden als „leichte Mädchen“ betrachtet werden (mit deftigeren Ausdrücken versehen). Ebenso, wie Frauen, die sich scheiden lassen, offiziell geschmäht werden (während, hier schon erste Hinweise auf das eigentliche Thema des Buches, die Lügen, im realen Leben eine ganze Reihe von Ehemännern der Nachbarschaft bei einer solchen Frau beherzt „anklopfen“ und sich entweder eine Ohrfeige oder eben eine Einladung dabei abholen).
Interessiert hier auch, dass sich dieses Bild beginnt, zu ändern und die Zahl der Ehescheidungen zunimmt, gerade unter jungen Leuten. Was überhaupt nicht wundert, führt man sich allein schon diese eine, von Navai ausführlich beschriebene Geschichte einer Anbahnung, Absprache, Eheschließung und dann der Blick auf dann den Alltag in der Ehe bei zwei jungen Leuten vor Augen. Was der junge Mann alles an Antworten gibt auf die ernsten Fragen der möglichen Braut vor der Eheschließung, wie sich dann die Realität darstellt und wie auf offene Fragen weiterhin agiert wird.
Sei es bei dem ein oder anderen Mullah mit seiner „Telefon-Hotline“, sei es bei dieser Eheschließung, sei es im Blick auf das Verhältnis von Mutter und Tante der Braut (ehemals zerrüttet über eine Geldfrage), sei es im Blick auf den „vielfachen“ Pilger im Buch, hoch angesehen in der Nachbarschaft. Bis seine Frau den Reisepass findet und die Ziele der vielen „Pilgerreisen“ sehr interessant auch dem Leser dann vor Augen liegen.
Es geht nicht um „kleine“ Alltagslügen; es geht um durchaus rigide „Fälschungen der Realität“.
„Wenn man in Teheran leben will, muss man lügen. Da hat nichts mit Moral zu tun, in Teheran lügt man, um zu überleben“. Folgen des repressiven Staates, der nicht er seit der islamischen Revolution im Raume steht, sondern die Geschichte des Landes das gesamte letzte Jahrhundert über geprägt hat und noch prägt.
„Die Wahrheit ist zu einem Geheimnis geworden, einem seltenen und gefährlichen Handelsgut“.
Das ist eine der großen Linien, welche das Leben in Stadt und Land bewegen. Wobei allerdings (und der Koran lässt dies zu, dass man um einer höheren Sache willen lügen darf), diese Haltung des „sich Verbergens“, „sein Dinge machen und sich nur nicht erwischen lassen“ fast in jede Pore des alltäglichen Lebens mit eingedrungen ist. Zumindest erwecken die Personen, auf die man im Buch trifft, oft genau diesen Eindruck (gerade die Männer im Übrigen).
Eine „pathologische Sucht nach Ausflüchten“, die das gesamte Land von Teheran ausgehend ergreift und ergriffen hat.
Dabei erzählt Navai sehr breit, schaut in viele Familien und Ecken der Stadt, findet viele Beispiele der alltäglichen Lüge, neben den ebenso vielfachen örtlichen Beschreibungen von Atmosphäre und städtischem Leben.
Manchmal etwas sehr assoziativ, so dass man als Leser es nicht immer leicht hat, den roten Fäden zu folgen (die Navai aber immer wieder aufnimmt) und hier und da in doch sehr großer Breite, die für einige Längen im Buch sorgt.
Insgesamt aber ein sehr erhellender, sehr informativer Einblick in das Leben im Teheran der Moderne, den Verflechtungen der Menschen in Ausflüchten und vielfach direkten Lügen und ebenso ein Dokument des langsamen, aber spürbaren Wandelns in er Stadt hin zur Moderne.