Rafik Schami, in Damaskus (Syrien) geboren, lebt seit 1971 in der Bundesrepublik und ist bekannt für orientalisch anmutenden Erzählungen und gesellschaftskritische Romane in deutscher Sprache.
Beginnend mit dem 11. September 2001 hat er für ein halbes Jahr eine Art "politisches Tagebuch" geschrieben, in dem er sich vor allem mit der arabischen Welt beschäftigt. Seine Themen sind vielfältig, aber der Schwerpunkt liegt beim Palästinenserkonflikt, mehr noch als bei den islamistischen Terror-Anschlägen.
Er sammelt und kommentiert Informationen aus den deutschen und arabischsprachigen Medien und erzählt, was er von seinen im Ausland lebenden Freunden und Verwandten erfahren hat.
Schami betont im Text mehrfach, dass es ihm wichtig ist, sich keiner Seite zuzuschlagen, und daran hält er sich auch. Sein Blick und seine Stimme sind die des Humanisten und Pazifisten.
Mein Lese-Erlebnis:
leider enttäuschend.
1. Rafik Schami ist ein deutscher Schriftsteller. Er ist genauso weit weg vom Geschehen, wie wir anderen auch. Und - auch wenn er ein aufmerksamer Beobachter der Medien ist, und offensichtlich fleißig recherchiert hat - er hat nicht viel mehr Hintergrundwissen als du und ich. Der Vorteil, dass er Al Jazeera auf arabisch verfolgen kann, macht ihn noch nicht zum Polit-Profi.
Er schreibt, was er sich denkt - und vieles davon ist klug und weise. Aber die Gedanken, die er sich macht, könnte ich mir selber auch machen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich von ihm lernen kann.
2. Deutsche Politik interessiert mich (als Österreicherin) - sogar wenn sie aktuell ist - recht wenig. Die deutsche Aussenpolitik anno 2001 ist mir persönlich wirklich völlig wurscht.
3. Überhaupt sind viel zu viele Einträge einfach nur abgeschriebene Nachrichtensendungen. Als privates Tagebuch vielleicht nützlich, aber für einen nur mäßig politisch interessierten Menschen wie mich nicht (mehr) interessant.
4. Attentate und Vergeltungsschläge sind etwas Schreckliches. Aber es hätte wirklich gereicht, wenn im Vor- oder Nachwort gestanden wäre: im Zeitraum dieses Tagebuchs sind soundsoviele Palästinenser und Israelis getötet worden, anstatt beinahe unkommentiert die täglichen Zahlen immer wieder aus der Zeitung abzuschreiben.
Leseprobe:
29.3.2002
Israel antwortet auf die jüngsten Palästinenseranschläge mit der Großoffensive "Schutzwall" im Westjordanland. Truppen rücken in Ramallah ein und umstellen erneut Arafats Hauptquartier. Mit Ausnahme der Präsidentenbüros werden alle Gebäude des Komplexes zerstört. Im Amtssitz von Präsident Arafat liefern sich israelische Soldaten Kämpfe mit dessen Bewachern. Israels Ministerpräsident Ariel Scharon hatte zuvor Arafat zum "Feind Israels" erklärt. Die Armee ruft zur Teilmobilisierung auf.
5.4.2002
... Der UN-Sicherheitsrat produzierte wieder eine Resolution in der er Israel zum Rückzug aus den besetzen Gebieten aufforderte. Ich weiß inzwischen nicht mehr, die wievielte Aufforderung es ist. Der Sicherheitsrat erläßt seit 1967 ununterbrochen Resolutionen und wirkt im Hinblick auf Israel fast lächerlich. Israel ist keiner einzigen Resolution gefolgt. Auch alle Resolutionen in bezug auf die von Israel besetzen Golanhöhlen waren Verschwendung von Papier, Tinte und Zeit.
Fazit:
Für Politik- und Geschichte-Interessierte und für Fans des Autors möglicherweise interessant. Für mich nicht.