Manchmal sitzt die Trauer so tief, dass es viel, sehr viel Zeit braucht, um wieder Worte zu finden. Es sagt wohl einiges über die Tiefe der Freundschaft zwischen Tyler James und Amy Winehouse, dass es 10 Jahre dauerte, bis sein Buch „Meine Amy – Abschied in Worten“ erschien. Ein Buch voller Erinnerungen an diese kleine Frau mit der großen Stimme, in der die Welt ein Ausnahmetalent sah, einen Star, dann eine Drogensüchtige, eine Schlampe vielleicht, eine Gefallene – aber die für Tyler James in erster Linie eine beste Freundin war.
Die beiden lernten sich in der Schule kennen, im Alter zwischen Kind- und Teenager-Sein. Sie beeindruckte ihn sofort mit ihrer Stimme, die so gegenteilig zu ihrer Erscheinung war. Ein schüchtern wirkendes, introvertiertes und sensibles Mädchen. Tyler und Amy fanden Seelenverwandte ineinander, die nicht nur die Liebe zur Musik verband, sondern auch die gleichen Unsicherheiten, der Hang zu Depression und Selbstzerstörung. Tyler James kann nicht über Amy schreiben, ohne auch über sich selbst zu reflektieren. Ihre Beziehung war angeblich nur geschwisterlich, aber damit auch enger und ausdauernder, als es eine romantische Liebesbeziehung ausgehalten hätte. Bis zu ihrem tragischen Tod mit nur 27 Jahren war er fast ständig an ihrer Seite, war Mitbewohner, Reisebegleiter und nicht selten auch Beschützer. Auch wenn er selbst mit seiner Alkoholsucht schwer zu kämpfen hatte, fühlte er sich verantwortlich dafür, Amy vor ihrer eigenen Selbstzerstörung zu bewahren. Er gab dafür eine eigene Karriere auf und begnügte sich mit dem Platz eines Statisten im Hintergrund. Doch sein Tonfall ist nie vorwurfsvoll, auch gegenüber ihrem Vater nicht, dessen dominante und fordernde Rolle in Amys Leben umstritten ist. Viel mehr klagt er die Gesellschaft als Ganze an, die Amy zuerst in den Himmel lobte und sich dann an ihrem Fall ergötzte.
Tyler James ist kein Autor. Seine Sprache ist einfach, seine Erzählung folgt keiner Dramaturgie, sondern reiht die Ereignisse in ihrer zeitlichen Abfolge auf, wie sie sich ergaben. Doch was er zu sagen hat, trifft ins Herz. Wie er Amy als Person wahrnahm und beschreibt ist so ergreifend offen und ehrlich – es rückt alles, was man über Amy gelesen und gesehen hat und was man meinte, über sie zu wissen, in ein neues Licht. Für mich war dieses Buch ein Pageturner, ich habe es verschlungen.