Rezension zu "Der Kaiser reist inkognito" von Monika Czernin
„Er sah über den Tellerrand höfisch-feudaler Herrschaftstraditionen und Klientelpolitik hinaus und mischte sich unter das Volk.“
Kaiser Joseph II. (1741-1790) hat während seiner Regierungszeit von 1756 (zuerst als Mitregent bis zum Tod seiner Mutter 1780) bis 1790 rund 50.000 km in seinem Reich zurückgelegt. Bei den Reisemöglichkeiten (Kusche oder Pferd) eine beachtliche Leistung. Auf neun seiner Reisen dürfen wir ihn nun begleiten.
- 1764 Frankfurt: Nie mehr eine Hofreise
- 1768 Banat: wie unzählige Bittsteller die Wahrnehmung verändern
- 1769 Italien: Mark Aurel der Aufklärung
- 1769 Neisse: das erste Gipfeltreffen aufgeklärter Herrscher
- 1771 Böhmen und Mähren: Hungersnot und Leibeigenschaft
- 1773 Siebenbürgen und Galizien: immer fremde, immer schwieriger
- 1777 Frankreich „Die Revolution wird grausam sein“
- 1781 Die österreichische Niederlande: Ungeduld macht blind
- 1787 Russland: ein mephistophelischer Pakt
Joseph II. ist ein ungewöhnlicher Herrscher, der mit dem barocken Prunk und Pomp wenig anzufangen wusste. So hat er sich die übliche Entourage verbeten und ist nur mit einer Handvoll ausgesuchter Begleiter als „Graf von Falkenstein“ durch die Lande gezogen. Während sich die üblichen Herrscher kaum aus der Residenz hinausgewagt haben und wenig von den Sorgen und Nöten der Bevölkerung mitbekommen haben, ist Joseph II., sehr zum Missfallen seine Mutter Maria Theresia bis in den letzte Winkel des Kaiserreichs an die Grenze zum Osmanischen Reich gereist.
Mit seinen revolutionären Ideen hat er sowohl seine Mutter als auch Adel und Klerus vor den Kopf gestoßen. Besonders in Wien sind sein wieder verwendbarer „Klappsarg“ und die einfachen Begräbniszeremonien auf erbitterten Widerstand gestoßen. Die Zeit ist noch nicht reif für seine Anordnungen.
Einige seiner Anordnungen haben Auswirkungen bis heute:
- In den Jahren 1764-1785 lässt er erstmals das gesamte Herrschaftsgebiet der Habsburgermonarchie einheitlich kartografieren. Die „Josephinische Landesaufnahme“ (oder „Erste Landesaufnahme“) besteht aus 4.096 Kartenblättern im Maßstab 1:28.000 und ist ein wesentlicher Bestandteil der militärischen Landesverteidigung.
- Mit der Einführung des „Grundsteuerpatentes“ am 10. Februar 1789 legt er den Grundstein für eine Besteuerung des Grund und Bodens, der später in den heute noch gültigen Grenzkataster münden wird.
- Das „Toleranzpatent“ in dem Protestanten und Orthodoxen (1781) und danach 1782 auch Juden Religionsfreiheit gewährt wird
- Die neue Schulordnung (1774), die allen Kindern den Zugang zu Bildung ermöglichen soll
- Einführung der Konskriptionsnummern (1770) für Häuser, um leichter Soldaten ausheben zu können
- Aufhebung von kontemplativen Klöstern und Orden, die sich weder der Heilkunde noch der Bildung widmen
- Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses (1784) und des „Josephinums“ (Ausbildungsstätte der Militärärzte/1785)
Autorin Monika Czernin stammt selbst aus einem alten Adelsgeschlecht und hat mit diesem Buch eine lebhafte Chronik des volksnahen Kaisers herausgebracht.
Jede Reise ist auf einer Karte detailliert dargestellt. Zusätzlich gibt es zahlreiche Abbildungen von seinen Reisegefährten und Zeitgenossen. Das macht diese Buch zu einem wunderbaren Buch über einen Herrscher, der von sich auf dem Sterbebett gesagt haben soll „Ich habe immer nur gewollt“.
Für mich ist Joseph II. der vollkommenste aufgeklärte Herrscher der europäischen Geschichte, weil ihm seine Untertanen am Herzen lagen und weil er über den Tellerrand gesehen hat. Sein scheinbares Scheitern hängt mit dem Umbruch zusammen, der ganz Europa mit Kriegen überziehen wird. Aber, das muss der Kaiser nicht mehr erleben.