Studien besagen, dass Vernunftehen gar keine schlechte Option sind, nach ein paar Jahren Eheleben haben sich beide Formen sowieso aneinander angeglichen. Eine „Liebesheirat“ klingt zwar romantisch, aber sie ist eine sehr moderne Erfindung und erwiesenermaßen als Konzept nicht erfolgreicher als die Vernunftehe – im Gegenteil.
Um eine „Liebesheirat“ geht es in Monica Alis fabelhaftem neuen Roman, der mich auf allen Ebenen auf hohem Niveau bestens unterhalten hat, weil er viele aktuelle Themen wie Alltagsrassismus, Leben zwischen Angepasstheit und Tradition in der Diaspora, Vorurteile, Identitätskrisen und Identitätssuchen, Altersunterschiede in Beziehungen, fälschliche Annahmen, herablassendes weißes Verhalten, Altern, Sterben und Liebe auf leichtfüßige und – ja, das geht – äußerst humorvolle Weise in sich vereint.
Monica Ali erschafft mit ihrer Protagonistin Yasmin eine zunächst ungemein pflegeleichte und angepasste Tochter, deren Lebensentwurf auf überkommenen Hypothesen beruht, an denen sie auch ihre Zukunft auszurichten versucht. Mit ihrem gutaussehenden, erfolgreichen und gutsituierten Verlobten Joe steuert sie der perfekten Liebesheirat entgegen, die ihr als Modell von ihren Eltern vorgelebt wurde. Als Joe einen Fehler macht, seine übergriffige Mutter Harriet sich immer weniger zurücknimmt, Yasmins Vater den Dauerstreit mit ihrem Bruder Arif eskalieren lässt und ihre Mutter eine Auszeit nimmt, gerät Yasmins sorgsam gehegtes Lebenskonstrukt aus den Fugen und zwingt sie in eine späte Revolution.
All das wird mit viel Verve und Spannung absolut nachvollziehbar und glaubhaft mit viel Liebe für das Detail und dem rechten Sinn für Tempo und Handlungsstruktur geschildert. Monica Ali kann einfach richtig gut erzählen und sich perfekt in ihre Figur Yasmin einfühlen. Die Innensichten, der Drang über die Stränge zu schlagen, sich auszutoben, zu revoltieren und sich dabei aber selbst zu hassen, sind wunderbar gelungen und erinnern stark an das Durchleben einer zu späten Pubertät mit dem dazugehörigen Ablösungsprozess und der neuzugewinnenden Erkenntnis. Ausgezeichnet gelingt Ali auch das Spiel mit der Sympathielenkung. Bei fast allen Figuren wandert man durch ein Wechselbad der Empfindungen – schwankend zwischen dem Wunsch, die jeweilige Figur einfach schütteln und zu ihrem Besten zwingen zu wollen, dann wieder überwältigt von dem Gefühl, sie einfach nur tröstend in den Arm nehmen zu müssen.
Hinzu kommt der perfekte Titel des Romans – die Liebesheirat, die als Topos schon ein Klischee in der Literatur ist, wird hier auf humorvolle und zärtliche Art sehr gefällig hinterfragt – ob sie sich bewährt, werde ich aber nicht verraten.