Rezension zu "Die Harpyie" von Megan Hunter
„Die Harpyie bestraft Männer.“
Lucy wird von ihrem Mann Jake betrogen. Der Betrug zerstört und verändert alles, weckt verdrängte Erinnerungen an die Kindheit und die gescheiterte Ehe der Eltern. Lucy, die schon immer von den Mischwesen aus Greifvogel und Frau fasziniert war, verwandelt sich Stück für Stück zur Harpyie und hebt letztlich ab. Wofür das metaphorische Abheben jedoch steht, bleibt offen.
Die Harpyie beschreibt welch Wunden ein Betrug, der als Verrat zu deuten ist, aufreißen kann. Denn auch wenn sie ihren Mann bestraft, ist es Lucy, die den ganzen Roman über blutet, leidet. Während es an Jake scheinbar spurlos vorbei zu gehen scheint. Sie ist die „Beschädigte“. Mit ihr stimmt etwas nicht. Sie trägt die ganze Last und muss den Schmerz ertragen. Sie gibt ihm nur einen Bruchteil dieses Schmerzes ab.
Der Auftakt ist sehr stark. Lucys Gefühle überrennen einen. Diese Traurigkeit. Diese unendliche Traurigkeit. Das Gefühl der Ohnmacht wird sehr gut vermittelt. Die Verzweiflung kriecht bis in die letzte Körperzelle von Lucy. Hass war nie leitend, dafür aber Wut. Ihre Gefühle werden kanalisiert und suchen sich einen Weg an die Oberfläche: Jakes Bestrafung.
Obwohl wir als Leser wenig über Jake erfahren, konnte ich ihn nicht ausstehen. Es ist die Art wie er mit dem Betrug umgeht, die viel verletzender ist als alles was Lucy ihm antut. So sieht echte Reue nicht aus. Wäre der Betrug nicht aufgeflogen, er betrüge noch heute. Hinter seiner Tat und dem Verhalten steckt eine Art unausstehliche Selbstgefälligkeit. Er bricht das Ehegelöbnis und zerstört sie als Einheit. Für mich ist er das Monster und keinesfalls Lucy.
Leider ist es aber so, dass die Gesellschaft in ihr das Problem sieht, weil sie nicht so still hält. Weil sie nicht ihre Koffer packt und von dannen zieht. Viele fragen sich, warum sie noch aufmuckt, wenn sie weiterhin mit ihm zusammen bleibt? Keiner fragt wohin sie alleine gehen soll und wie? Keiner fragt was mit den Kindern wird? Keiner fragt, warum Jake seine Trophäenbilder der Affäre behält und sich weiter heimlich trifft? Keiner fragt, warum er es abwegig findet, dass andere betrügen, weil sie so glücklich sind (sein Freund Antonio) und er es mit dieser Aussage offensichtlich nicht ist? Wo ist sein handelnder Part und wo ist seine Verantwortung?
Aber: Lucy mach schon, stell Dich nicht so an.
Die Trennung ist eigentlich unausweichlich. Leider ist die Kommunikation zwischen dem Ehepaar sehr dürftig. Ich habe einen Dialog zwischen ihnen die ganze Zeit vermisst. Es wird nicht klar, ob sie wirklich so wenig miteinander reden, oder ob sie die Gespräche einfach ausklammert. Stattdessen macht sie einfach fast wie gewohnt weiter und geht daran kaputt. Mit Sand im Getriebe kann man nicht funktionieren.