Das Original dieses Buches erschien 1993 unter dem Titel „El pez en el agua“, als der Schriftsteller 57 Jahre alt war, in Madrid lebte und zusätzlich die spanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Drei Jahre zuvor hat er als peruanischer Präsidentschaftskandidat des liberal-konservativen Parteienbündnisses Demokratische Front überraschend die Stichwahl um das peruanische Präsidentenamt gegen Alberto Fujimori verloren. Vargas Llosa erzählt seine Erinnerungen, indem er alternierend von Kindheit, Jugend und der ersten Zeit als Erwachsener bis zu seinem Universitätsabschluss einerseits und andererseits von der Zeit seiner Präsidentschaftskandidatur und kurzen Politikerlaufbahn berichtet.
Schon früh ist dem Autor klar gewesen, dass er Schriftsteller werden wollte, wobei das kalte bis zerrüttete Verhältnis zu seinem Vater keine ganz kleine Rolle bei der Berufswahl gespielt hat: „Wenn ich in diesen Jahren an seiner Seite nicht so sehr gelitten hätte, wenn ich nicht gefühlt hätte, dass es das war, was ihn am meisten enttäuschen würde, wäre ich heute wohl kein Schriftsteller.“ (Suhrkamp Tb, 1. Aufl. 1998, S. 127)
Früh hat er sich aber auch schon für die Politik interessiert. Seine politische Einstellung war mit zunehmenden Alter einer Wandlung unterworfen, wie sie wohl für viele politisch interessierte Menschen typisch ist. Zunächst schloss er sich – jung und idealistisch - der kommunistischen Partei Perus an, die damals unter dem Namen des Inkahäuptlings Cahuide auftrat und war ein Anhänger der Revolution auf Kuba. Doch mit zunehmender Lebenserfahrung, abnehmendem Idealismus und zunehmenden Realismus verwandelt er sich in einen Wirtschaftsliberalen und Hayek-Anhänger. Vargas Llosa selbst beschreibt das Phänomen auf der Rückreise von Paris gegenüber einem Mitreisenden in halber Analogie zu Churchill: „Wie kann man nur jung und konservativ sein?“ (ebd., S. 586)
Vargas Llosa sieht den Auslöser für seinen – letztendlich befristeten - Einstieg in die Berufspolitik im großen Erfolg dreier Protestveranstaltungen gegen die Verstaatlichung von Banken und Versicherungen im Sommer 1987. Dieses Engagement gipfelte schließlich in seiner Präsidentschaftskandidatur, die laut Ehefrau Patricia folgendermaßen motiviert war: „Die moralische Pflicht war nicht entscheidend. Es war das Abenteuer, die Lust an einer erregenden und riskanten Erfahrung. Daran, im wirklichen Leben den großen Roman zu schreiben.“ (ebd., S. 56)
Immer wieder betont der Autor, dass Peru kein gefestigter Staat und erst recht keine gefestigte Demokratie ist. Nach unzähligen Wahlkampfreisen kreuz und quer durch das Land urteilt er: „Peru ist nicht nur ein Land, es besteht aus mehreren Ländern, die in gegenseitigen Misstrauen und in gegenseitiger Unkenntnis, von Ressentiments und Vorurteilen geprägt, in einem Strudel der Gewalt nebeneinander existieren.“ (ebd., S. 270)
Da Vargas Llosa ein großartiger Erzähler ist, lesen sich auch manche thematisch eher langweiligen Passagen über politische Strategien, Taktiken und Freund- und Feindschaften ziemlich locker. Unmöglich ist es allerdings, die Vielfalt der exakten Namen, die Vargas Llosa erinnert, offenbar selbst von Leuten, die eher flüchtige Bekannte waren, zu überblicken. Bisweilen scheint auch noch der Frust und die Wut des Autors wegen der verlorenen Wahl ebenso wie die Abneigung, gar Verachtung gegenüber manchem Gegner durch. Das ist insofern nicht verwunderlich, als der Text in der Zeit zwischen seiner verlorenen Wahl 1990 und seinem Erscheinen 1993 entstanden ist und daher die Erinnerung noch relativ frisch war.
Sehr bitter ist Vargas Llosas Abrechnung mit seiner eigenen Schicht oder Klasse, den Intellektuellen: „Peru ist eher ein Beweis dafür, wie instabil die intellektuelle Klasse ist und wie leicht Chancenlosigkeit, Unsicherheit, Mangel an Arbeitsmöglichkeiten, ein nicht-existenter sozialer Status und auch das Unvermögen, tatsächlich Einfluss auszuüben, sie anfällig macht für Korruption, Zynismus und Strebertum.“ (ebd., S. 400) Schon gar kein gutes Haar lässt er an den meisten Politikern: „Aber in dieser Phase des Wahlkampfs wusste ich bereits, dass es in Peru wenige Politiker gab, die von der Circe Politik nicht in Schweine verwandelt worden waren.“ (ebd., S. 524/525)
Dem Teil, in dem Vargas Llosa über das völlig unerwartete Erstarken Fujimoris berichtet, ist anzumerken, dass den Autor zur Zeit der Abfassung des Textes immer noch Zorn und Wut auf den Konkurrenten plagen, den er mehrfach abfällig lediglich als „chinito“ bezeichnet, obwohl er ansonsten betont, ein strikter Gegner jeglichen Rassismus‘ zu sein.
Immer mal wieder scheint auch zwischen den Zeilen des Textes durch, dass sich Vargas Llosa von der Mehrheit der Peruaner ungerecht behandelt fühlte, weil sie seine Bemühungen nicht gebührend oder gar nicht anerkannten: „Dieses Programm, mit den begrenzten Mitteln einer von der Regierung angefeindeten Oppositionskraft auf die Beine gestellt, brachte unter diesen Umständen ganz allein etwas zuwege, wozu der peruanische Staat nicht in der Lage war.“ (ebd., S. 657)
Schön und erhellend fand ich es, etwas über die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe des ein oder anderen Werkes des Autors zu erfahren. Mir war z.B. nicht bewusst, dass es das „grüne Haus“ in Piura wirklich gab. Auch bei einigen anderen Werken, die ich gelesen habe, war mir der konkrete biografische Hintergrund in der Form nicht bekannt. Mit Erstaunen las ich, dass Vargas Llosas Bücher in Peru selbst zumindest bis 1993 gar nicht veröffentlicht wurden. (ebd., S.522)
Der Untertitel Erinnerungen beschreibt dieses Buch ziemlich gut, da es nur Teilaspekte aus Vargas Llosas Leben beleuchtet und daher keine vollständige Autobiografie ist. Es wird wohl nur eingefleischte Fans des Autors interessieren. Die jedoch können sich an einer interessanten, in Teilen spannenden Lektüre und auch an manch seltsamer Anekdote erfreuen. Vier Sterne.