Rezension zu "Manfred Krug. Ich bin zu zart für diese Welt" von Manfred Krug
Zu schade, dass ich den ersten Teil von 1996/97 noch nicht gehört habe. Das hole ich umgehend nach.
Ich kenne Manfred Krug seit meiner Kindheit als Filmschauspieler, später waren seine Ostberliner Auftritte legendär. Ich habe damals in Pankow gewohnt - und plötzlich war er weg. Dann tauchte er ab 1978 im „Westfernsehen“ wieder auf.
1998/1999 schreibt Krug also dieses Tagebuch, aus 800 Seiten hat Christa Maria Schädlich ein Extrakt erstellt, das von Krugs Sohn Daniel gelesen wird. Es ist der reine Wahnsinn, zuerst war mir die Stimme etwas fremd, im Laufe der Zeit wurde sie der des Vaters immer ähnlicher.
Wenn man fast körperlich spürt, wie sehr Krug seinen verstorbenen Freund Jurek Becker vermisst, wenn man das leise Zittern der Stimme hört, das ist nicht nur gut vorgelesen, das ist echtes Gefühl auch bei Daniel Krug.
Dass fast ein Drittel der Texte sich um Marlene, die kleine, nicht eheliche Tochter, Manfred Krugs Augenstern, seine Püppi dreht, zeigt die riesige Bedeutung dieses Kindes deutlich. Sie ist das hübscheste und klügste Kind unter der Sonne! Es ist herzzerreißend, wenn man die Angst aus Krugs Worten heraushört, dass er sie vielleicht nicht wird aufwachsen sehen.
Otti, Krugs Frau, muss wirklich viel Geduld und noch mehr Liebe gehabt haben für ihren Mann. Auch wenn beide unterschiedliche Wohnungen im gleichen Haus bewohnten, sie kocht unverdrossen für jeden Anlass und jede Menge Gäste, geht mit Krug aus und begleitet ihn überall hin. Nur Marlene, die verkraftet sie wohl schlecht.
Das Tagebuch ist zudem ein Fenster in unsere eigene Geschichte der 1990er Jahre. Die Namen von Kollegen und Freunden purzeln Krug nur so aus der Feder, an viele habe ich als Zuhörerin meine ganz eigenen Erinnerungen. Gerade bei Schauspielernamen musste ich deshalb machmal schmunzeln, Krug hat eine unnachahmliche Art, die Leute zu kritisieren und auch in Schubladen zu stecken. Z. B. Hilmar Thate, Evelyn Hermann usw. Jeder kriegt ein bisschen sein Fett weg. Regisseure und Drehbuchautoren muss Krug ein Greuel oder eine Freude gewesen sein, reine Ansichtssache.
Die politischen und Weltereignisse jener Tage ließen mich mehrfach Parallelen ziehen zu heutigen Ereignissen. Es ist erschreckend, wie wenig die Menschheit lernt in 25 Jahren. Damals Kosovo und Tschetschenien, heute Ukraine, damals Erdbeben in der Türkei, gerade vorgestern wieder, die maroden Häuser begraben die Menschen wie eh und je. Was hätte wohl Krug heute an Kommentaren abgegeben, wenn er nach Russland und zu Putin schauen würde? Vernichtende ganz sicher.
Auch die Werbebranche bekommt ordentlich Zunder von Krug, aber von der Telekomwerbung könnten wohl noch seine Urenkel ein Scheichen Erbschaft abbekommen. Was soll‘s, es war lustig.
Es ist der ganzen Familie hoch anzurechnen, dass sie so persönliche Aufzeichnungen freigegeben hat.
Ich habe vor Jahren Abgehauen als Hörbuch gehört und werde auch das noch einmal hervorholen. Das hat Krug selbst gelesen, schon deshalb gut für Nostalgiker.
Danke für diese wunderbaren Stunden.