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Rezension
Dieses Buch hat sehr viele mühsam verdrängte Erinnerung wachgerufen an "Numbers 1: Den Tod im Blick" von Rachel Ward, meinem Jahresflop von 2016. Die Bücher sind sich nicht nur von den behandelten Themen und dem Handlungsverlauf sehr ähnlich, sondern für mich auch beide, anders kann ich es leider nicht sagen, am Rand des Erträglichen. Anmerkung an dieser Stelle: "Himmel und Hölle" ist acht Jahre vor "Numbers" erschienen. Mit den Ähnlichkeiten meine ich nicht, dass Rachel Ward kopiert hat, sondern schlicht, dass ich die Art des Buches sofort wiedererkannt habe und leider schon nach 50 Seiten geahnt habe, worauf ich mich da, schon wieder, einlasse. Dementsprechend wird dies eine lange Rezension werden, denn ich habe viel zu sagen.
Das Positive zuerst: Erstens, durch die unfassbare Anzahl von 117 Kapiteln und unzählige Zwischenüberschriften ist bestimmt ein Drittel der Seiten kaum bis gar nicht bedruckt, sodass sich das Buch schneller lesen ließ als bei 501 Seiten erwartbar war. Zweitens, obwohl es sich für mich eindeutig wie eine Schullektüre liest, hat die Autorin darauf verzichtet, die Charaktere mit vulgären Ausdrücken und vermeintlicher Jugendsprache um sich werfen zu lassen. Drittens, die grundlegende Idee, die amerikanische Rassenproblematik umzukehren und aus der schwarzen Bevölkerung die dominierende Gruppe zu machen, die die Weißen unterdrückt, ist mit Sicherheit ein sehr wichtiges Thema. Mehr positive Aspekte konnte ich dem Buch leider nicht abgewinnen.
Zunächst noch einmal zur Schullektüre: Es gibt für mich zwei Aspekte, die das Gefühl hervorgerufen haben, dass dieses Buch als Schullektüre geschrieben wurde. Zum einen ist es die Aneinanderreihung unzähliger schwieriger und sensibler Themen in diesem Buch. Erste Liebe, erster Kuss, erster Sex, Teenieschwangerschaft, Abtreibung. Alkoholismus, Depression, Suizid. Mobbing, Rassismus, Gewalt, Terrorismus, Mord, Tod. And the list goes on and on and on and on. Leider meine ich das genau so, wie ich es formuliert habe. Diese Themen werden willkürlich, ohne Verknüpfung und oftmals auch ohne Verarbeitung aneinander gereiht. Wenn ein Thema, über das mit Jugendlichen gesprochen werden sollte, abgehakt ist, springt die Geschichte Wochen oder Monate weiter, um sich dem nächsten Punkt zu widmen. Das hat mir gar nicht gefallen. Wäre dieses Übermaß an angesprochenen Themen logisch schlüssig in die Handlung integriert gewesen, hätte es mich nicht gestört. Bei mir entstand aber der Eindruck, dass die Autorin einfach alle Themen, die ihrer Meinung nach in Schullektüren mit Unterrichtsmodellen bearbeitet werden sollten, nacheinander abgearbeitet hat. Dadurch kam die Geschichte nie in den Fluss und war zudem extrem vorhersehbar, weil ich genau wusste, welche Themen mich noch erwarten werden.
Zum anderen ist das Buch gerade am Anfang eine richtige Moralkeule. Da die ganzen Themen nicht in die Handlung integriert sind, steht hier auch nicht die Geschichte im Vordergrund, sondern die Botschaft des Buches. Noch etwas, das ich gar nicht mag. Ich nehme gerne subtile Gesellschaftskritik auf, wenn eine Geschichte diese bietet. Aber wenn ein Buch ständig mit erhobenem Zeigefinger dasteht und mir "Die Moral von der Geschicht'" so fest ins Gesicht klatscht, dass darüber die Handlung völlig verloren geht, wird es eine anstrengende, langweilige Lektüre. Wenn ich ein Buch lese, möchte ich unterhalten werden, keine Moralpredigt hören.
Auch sonst konnte ich dem Buch leider gar nichts abgewinnen. Beispielsweise gibt es keinerlei Worldbuilding. Ich weiß, dass die amerikanische Rassenproblematik umgekehrt ist, sprich dass die Schwarzen die dominanten Herrscher sind, während die Weißen unterdrückt und ausgebeutet werden, worüber sie natürlich nicht begeistert sind. Das war's. Es hätte sehr viel Potenzial gegeben, die Hintergründe zu erläutern und beide Seiten zu beleuchten, denn der Vater von der schwarzen Protagonistin Sephy ist Politiker, während die Familie des weißen Protagonisten Callum Verbindungen zu einer Rebellengruppe hat. Die Autorin nutzt nichts von diesem Potenzial. Außer dass Schwarze und Weiße Menschen der jeweils anderen Hautfarbe hassen, gibt es keinerlei weitere Informationen. Das war wirklich sehr dürftig. Deshalb fehlt der Welt jegliche Tiefe.
Wie sehr mir die Tiefe in der Welt und der Geschichte fehlen, habe ich gemerkt, als meine Fantasie angefangen hat, sich selbstständig zu machen. Ich habe so verzweifelt gehofft, dass irgendetwas hinter bestimmten Ereignissen steckt, dass ich angefangen habe, mir selbst Hintergründe auszudenken. Ich habe so unfassbar viele Ideen, wie dieses Buch tiefer, spannender, überraschender hätte gestaltet werden können mit subtilen Entwicklungen und informativen Erklärungen. Mein Verstand lechzte nach irgendeiner Art von Hintergrundinformation, aber dieses Buch bietet einfach gar nichts, nicht mal Andeutungen, auf denen ich hätte aufbauen können. Es ist so platt, dass ich es niemals bis zur letzten Seite geschafft hätte, wenn ich die Geschichte nicht mit meiner eigenen Fantasie angereichert hätte.
Dann sind da noch die Charaktere, die mir im besten Fall gleichgültig waren, im schlimmsten Fall extrem auf die Nerven gingen. Haupt- und Nebencharaktere fand ich einfach unfassbar unsympathisch. Deshalb hat es mich völlig kalt gelassen, dass einige von ihnen sterben. Teilweise war ich sogar froh, dass sie dadurch nicht länger meine Nerven strapazieren konnten, obwohl ich glaube, dass sie eigentlich als Sympathieträger konzipiert wurden. Viele Handlungen der Figuren konnte ich auch überhaupt nicht nachvollziehen. Nicht nur persönlich, sondern auch inhaltlich im Kontext der Geschichte nicht. Die Liebesgeschichte las sich für mich völlig emotionslos und teilweise sogar befremdlich. Denn ich fand insbesondere Sephy so anstrengend, dass ich immer wieder vergessen habe, dass sie eine Jugendliche und kein kleines Kind mehr ist. Außerdem hat sich die Autorin jegliche Charakterentwicklung gespart, indem sie nach jedem einschneidenden Ereignis einfach mehrere Monate überspringt. Die Figur ist dann plötzlich völlig verändert, aber diese Veränderung hat sich in den nicht geschilderten Monaten vollzogen. In Summe vergehen so im Laufe des Buches fünf bis sechs Jahre. Das hat kein bisschen dabei geholfen, den Charakteren in irgendeiner Weise näher zu kommen. Sie sind von Anfang bis Ende distanziert geblieben.
Des Weiteren werden die vielen Themen, die dieses Buch anspricht, leider nicht nur unverknüpft abgearbeitet, sondern es wird auch jeder einzelne Aspekt lieblos behandelt. Es gibt keinerlei Hinleitungen und keinerlei Verarbeitung von irgendetwas. Alles passiert einfach und fertig. Die Radikalisierung von Familienmitgliedern beispielsweise, wonach sie sich einer Terroristenvereinigung anschließen, geschieht "mir nichts, dir nichts" (S. 359). Kein Witz, das steht wortwörtlich in genau diesem Zusammenhang im Text. An einer anderen Stelle lehnt Sephys Mutter den Internatsbesuch ihrer Tochter strikt ab, nur um ein paar Seiten später plötzlich und ohne Begründung ihre Meinung komplett zu ändern. An einer Stelle, an der durch diese Meinungsänderung jede Menge künstliches Drama entsteht. Einen anderen Grund als dass diese Änderung der Meinung ein Plotdevice ist, konnte ich dem Buch nicht entnehmen. Es war einfach unfassbar praktisch, dass die Mutter es sich in diesem Moment anders überlegt hat. Und das sind nur zwei Beispiele von vielen. Es geschieht immer etwas, das für die Geschichte gerade praktisch ist. Dadurch ist die Erzählung extrem sprunghaft und teilweise zusammenhanglos. Stimmung, Emotionen, Meinungen, Einstellungen - alles ändert sich von Sekunde zu Sekunde. Das war so erschöpfend, dass ich mir gar keine Mühe mehr gegeben habe, dem irgendwie zu folgen.
In Summe konnte ich mit diesem Buch einfach nichts anfangen. Mehr noch, es hat meine Frustrationstoleranz auf eine harte Probe gestellt. Die Fortsetzungen werde ich definitiv nicht lesen. Stattdessen werde ich versuchen, die Erinnerungen an dieses Buch zusammen mit denen an "Numbers" möglichst schnell zu vergessen.
Fazit
Ich verstehe, welche Idee die Autorin damit verfolgt hat, die amerikanische Rassenproblematik umzukehren. Leider passte an diesem Buch aber einfach nichts. Es gibt keinerlei Worldbuilding und keinerlei Hintergrundinformation oder tiefere Erklärungen. Stattdessen werden unzählige wichtige Themen, die mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen werden, teils völlig zusammenhanglos nacheinander abgearbeitet. Es geschieht immer, was gerade praktisch ist und die Handlung am Laufen hält. Zeitsprünge entbinden die Autorin von Verarbeitung der Ereignisse und von Charakterentwicklung. Die Charaktere fand ich allesamt so unsympathisch, dass sie meine Nerven arg strapaziert haben. An „Himmel und Hölle“, das wahrscheinlich mein Jahresflop sein wird, kann ich beim besten Willen nicht mehr als eine Schreibfeder vergeben.