Rezension zu "Das Kastanienhaus" von Liz Trenow
Wer diesen hervorragenden Roman nach den Worten, das heißt nach den reduzierten Abstraktionen, beurteilt, kann am Ende nur den Tod der Protagonisten und die Vergänglichkeit des Lebens bedauern.
Wer dagegen in der Lage ist, das Buch "Das Kastanienhaus" mit dem Gefühl zu lesen und den Verstand außen vor lässt, der versteht die von Liz Trenow gezeichneten Bilder nicht nur in ihren Zusammenhängen, sondern speichert sie zutiefst in sein Bewusstsein.
Zum Verstehen gehört, dass Lilly, die Ich-Erzählerin, ihre Kraft aus den Trümmern der Stadt London holt, dass sie die Nächstenliebe ihres Vaters, der beim Rettungsversuch einer Angestellten sein Leben gibt, fortsetzt und damit ihre Verbindung zu ihm aufrecht erhält.
Zum Verstehen gehört, dass die Einleitungen der Kapitel, mit der aus dem fiktiven Buch des Vaters stammenden Geschichte der Seide und mit der Liebe, die Lilly zu dem Stoff entwickelt, die Welt so dargestellt wird, wie sie ist: Als ein Ganzes ohne Tote auf der einen Seite und Lebende auf der anderen.
Zum Verstehen gehört, dass die Autorin ihrer Protagonistin nicht zufällig den Namen Lilly gegeben hat, in Anlehnung an Königin Elisabeth, deren Name mit, Gott hat geschworen, übersetzt werden kann.
Zum Verstehen gehört, dass der Name Stefan, jenes deutschen Juden, der seine Liebe zu Lilly seiner Rache an den Mördern seiner Familie unterordnet, nicht zufällig der Sieger bedeutet und auf den ersten christlichen Märtyrer hinweist.
Zum Verstehen gehört, dass der Krieg Frauen so stark macht, dass es Männer mit Angst erfüllt, so dass sie ihre Stärke häufig mit Gewalt oder durch Täuschungen zu mindern suchen. Aber Robbie gelingt das ebenso wenig wie anderen Männern auf der Welt.
Meinen Dank und Respekt an die große Autorin Liz Trenow für ihre zauberhaften Bilder!
Vera Seidl