Rezension zu "Juden auf Wanderschaft" von Joseph Roth
Ich bin so stinksauer auf den Hofenberg Verlag, der Juden auf Wanderschaft 2015 neu in Großschrift herausgegeben hat. Erstens hat die Ausgabe einen Druckfehler auf allen linken Seiten, sodass in den Wörtern vertikal in einer Line an derselben Stelle zwei Buchstaben verschwinden, was das Buch schwer lesbar macht. Zweitens fehlt mir schmerzlich das letzte nachgetragene Kapitel, was Roth zur Situation der Juden in Deutschland insgesamt gesagt hat. Schon bei vielen von Roths Werken habe ich angemerkt, dass ich gerne wüsste, was Roth zum Aufstieg der Nazis genau zu sagen hatte, viele seiner Romane sind ja früher geschrieben worden, wo sich noch nicht alles abzeichnete. Hier in Juden auf Wanderschaft wäre die Möglichkeit gegeben, denn genau in diesem Werk würde, wenn es komplett veröffentlicht worden wäre, drinnen stehen, was ich schon immer wissen wollte.
Ansonsten muss ich meinem Lesefreund Armin zustimmen, der recht kurze Text ist eine Analyse, Recherche und sachliche Auseinandersetzung vor allem zum Roman Hiob, aber auch in anderen Romanen scheinen die diskutierten Themen auf, wie zum Beispiel der typisch jüdische Konflikt- Assimilation oder nicht oder was dazwischen.
Zudem wird sehr viel Hintergrundwissen für jeden jüdischen Roman vermittelt, um das Leben, die Gesellschaft und die Religion von Juden jedweder Strömung zu verstehen. Dabei war für mich auch viel Neues, wie zum Beispiel, dass sie keinen Gebetsraum brauchen, sondern nur 10 Juden, um ihren Gottesdienst abzuhalten. Aber klar, sie müssen alles dabeihaben, wer weiß, wann sie plötzlich wieder „auf Wanderschaft“, ergo flüchten müssen. Auch die Kritik an den orthodoxen Wunderrabbis ist sehr gut gelungen.
Die Unterschiede des ostjüdischen Lebens in Berlin, Wien und Paris sind köstlich und sie beschreiben vor allem in Wien, wo ich das beurteilen kann, sehr genau das Leben in der Stadt.
Am Gründonnerstag war ich in der im Buch angesprochenen Josefstadt, dem historischen Wiener Judenviertel für die armen Leute parken, um am Donaukanal zu flanieren und Graffitis zu knipsen. Ich bin öfter in dem Bezirk, da ich ihn sehr mag und er sehr nahe zur Einfahrtsstraße von meiner Stadt Krems ist. Habe dort wieder ganz ursprüngliches jüdisches Leben und drei orthodoxe Juden gesehen, der Vater mit seinen zwei Kindern, der vierjährige war schon voll ausstaffiert. Ein Polizist bewachte offensichtlich den ehemaligen Tempel. Ich habe ihn irrtümlich für einen Parksheriff gehalten und ihn gebeten, uns bitte nicht wegen Falschparkens zu bestrafen. Er hat lauthals gelacht und sagte, er hat gaanz andere Aufgaben, nämlich den Tempel vor Angriffen zu Ostern zu beschützen. Zudem hat er auch noch mit einem Zwinkern versprochen, gut auf unser Auto aufzupassen, damit keine Strafe fällig wird.
So prophetisch Roth normalerweise seine Voraussagen getroffen hat, die Prophezeiung, dass der Kommunismus den Antisemitismus auslöschen wird, konnte nicht gehalten werden. Da war er zu optimistisch, und diese Projektion in die Zukunft ist etwas schlechter gealtert.
Fazit: Nur 3 Sterne und keine Leseempfehlung von mir, aber das liegt tatsächlich am Ärger mit der Ausgabe, in der das wichtigste Kapitel fehlt. Bitte 978-3-8430-3172-1 aus dem Hofenberg Verlag nicht kaufen. Also passt auf, dass Ihr die richtige Ausgabe erwischt.