Rezension zu "Der Geheimagent" von Joseph Conrad
Mr. Verloc lebt in London gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Er betreibt einen Laden für allerlei Unsittliches, Zweifelhaftes an Fotografien, Zeitschriften und ähnlichem. Aber im Haupterwerb ist er Agent einer ausländischen Gesandtschaft und von seiner Berufung her Revolutionär für das Proletariat. Aus seinem eigentlich geruhsamen Leben herausgerissen wird er durch den plötzlichen Auftrag seines Vorgesetzten, einen Anschlag auf die Sternwarte in Greenwich zu verüben. Dieser Auftrag setzt eine ganze Reihe von tragischen Ereignissen in Gang.
Wer angelockt durch den Titel „Der Geheimagent“ einen Kriminalroman aus dem Geheimdienstmilieu erwartet, wird womöglich enttäuscht werden. Dem Autor ging es nicht um die Schilderung der Vorbereitung, Durchführung eines Terroranschlags, auch nicht um dessen Aufklärung durch polizeiliche Ermittlungsarbeit. All das kommt nur am Rande vor. Vielmehr zeigt Conrad auf geniale Art und Weise, das gnadenlose Zusammenspiel von Politik, Geheimdiplomatie und Terrorismus und deren fatalen Auswirkungen auf einzelne, mehr oder weniger beteiligte Menschen. Ihm gelingen großartige Charakterstudien, allen voran Verlocs, seiner Frau Winnie sowie deren jüngerem Bruder Stevie. Die Geschichte ist gewürzt mit tiefschwarzem Humor und Conrad schildert anhand von wunderbaren Dialogen die Fähigkeit des Menschen, fundamental aneinander vorbei zu denken und zu reden.
Es ist nicht das erste Buch von Joseph Conrad, aber das beste, das ich bis jetzt von ihm gelesen habe. 5 Sterne dafür. Einzig die (immer noch gute) Übersetzung des Ganzen, die von 1926 stammt, bedürfte einer vorsichtigen Überarbeitung.