Ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen geht nach dem Abitur aus der Provinz nach Paris, um dort zwei Jahre lang für die Aufnahmeprüfung an einer Elitehochschule zu studieren – ein normaler Werdegang für Schüler, die es weit bringen wollen. An einer der Grandes Ecoles aufgenommen zu werden ist praktisch ein Garant für Karriere, Ruhm, Ehre und Reichtum. Aber die ganze Zeit kämpft er damit, das, was seine Eltern ihm mitgegeben haben – Distanz, Hemmungen – zu überwinden.
Er bleibt dort zwischen den ganzen Pariser Jugendlichen aus begütertem Elternhaus zunächst Außenseiter, freundet sich dann aber mit einem anderen Außenseiter aus der Provinz an – bis der vom Treppenabsatz springt. Dieser Selbstmord ändert alles. Plötzlich wird er „sichtbar“, wie er selbst sagt, man befragt ihn, interessiert sich für ihn, weil er mit dem Toten befreundet war, man hört ihm zu. Er freundet sich mit dem Vater des Toten an, was einiges Kopfschütteln auslöst, nicht zuletzt bei dessen geschiedener Frau, der Mutter des Toten.
30 Jahre später – er ist mittlerweile erfolgreicher Schriftsteller – bekommt er einen Brief. Der Vater hat ihn, den mittlerweile erfolgreichen Schriftsteller, bei einer Lesung erlebt und nimmt wieder Kontakt auf. Das triggert bei ihm die lange vergessen geglaubte Geschichte, die er daraufhin in Rückblende aufschreibt.
Der Vater des Toten sagt ihm:
„Das Leben ist noch lang. Es werden noch viele Erinnerungen folgen. Wenn es zu viele sind, öffnet sich eine Falltür, und die schmerzhaftesten verschwinden. Sie werden sehen.“ (S. 97)
Auch dieses Zitat charakterisiert das Buch schön:
„In Familien, in denen Gefühle frei ausgedrückt werden, springen die Kinder nicht unbedingt ins Leere.“ (S. 155)
Denn genau das, die unterdrückten, verschütteten Gefühle, sind das Problem sowohl bei Victor, dem Ich-Erzähler, als auch bei Mathieu, dem Toten, und auch bei vielen ihrer Kommilitonen. Und die Erinnerungen verblassen zwar mit der Zeit, es schiebt sich der Alltag, das lange restliche Leben darüber, aber irgendwann tauchen sie wieder auf.
Das Buch ist in einer sehr schönen, klaren Sprache geschrieben, manchmal fast atemlos, dann wieder ruhig. Damit werden die Gefühle sehr gut getroffen. Überhaupt konzentriert sich Blondel vor allem auf Gefühle, das hat mir an dem Buch gut gefallen. Außerdem beschreibt es sehr eindrücklich, unter welchem Druck die Studenten zwei Jahre lang bis zur Aufnahmeprüfung stehen.