Rezension zu "Miss Bennet" von Janice Hadlow
"Miss Bennet" von Janice Hadlow ist eine gelungene Anknüpfung an Jane Austens Klassiker "Stolz und Vorurteil", die aus der Perspektive von Mary Bennet erzählt wird. Die Autorin schafft es, die Charaktere und Handlung des Originals gekonnt in ihre Geschichte zu integrieren und dabei den Fokus auf Mary zu legen, die unscheinbar Schwester in der Familie Bennet (5 Töchter), die oft übersehen wird und bei Austen schlecht wegkommt. In Jane Austens Original ist Mary die eigenbrötlerische Leseratte (mit Brille und bornierten Ansichten), die wenig Charme hat und die sogar für peinliche Situation sorgt, weil sie bei Gesellschaften öfter die Rolle der Unterhalterin durch Klavierspiel an sich reißt, obwohl sie gar nicht so gut spielt (die Protagonistin Elizabeth Bennet schämt sich für ihre kleine Schwester). Umso gespannter war ich darauf, in diesem Roman eine neue Sicht auf Mary zu gewinnen. Wird es der Autorin gelingen, Mary „aufzuwerten“ und sie in ein besseres Licht zu rücken, ohne den Kern der Figur komplett zu verändern? Nach Auslesen des Romans kann ich dies bejahen. Der Autorin ist es hervorragend gelungen, Marys Charakter zu durchleuchten und ihre zunächst etwas irritierenden Verhaltensweisen (in Austens Original) besser zu verstehen, denn hinter der Fassade steckt eine unsichere, unzufriedene junge Frau, die schon viel Abwertung von ihren Eltern einstecken musste und nun von Selbstzweifeln geplagt ist. Ich fand es wunderbar, sie in dem Roman dabei zu begleiten, wie sie ihren Pessimismus abschüttelt, Stück für Stück mehr Selbstvertrauen schöpft und aufblüht.
Für mich war die Anlaufphase des Romans etwas zu lang. Die ersten zweihundert Seiten ging es um die Ereignisse aus "Stolz und Vorurteil", die aus der Sicht von Mary nochmals erzählt werden, was ich etwas zu langatmig fand, da mir dies alles bereits bekannt war. Doch dann löste sich der Roman von der Vorlage und konnte mich mit der Entwicklung von Mary fesseln.
Richtig Fahrt nimmt der Roman auf, wenn Mary zu ihrer Tante und ihrem Onkel nach London geht, in der Hoffnung, endlich ein liebevolles Zuhause zu finden. Dann tritt der charmante Anwalt Tom Hayward in Marys Leben. Ich fand es toll, wie er mit der nüchternen Mary Gedichte liest und sie so dazu bringt, sich intensiver mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Zudem kämpft der reiche Erben Will Ryder um Marys Aufmerksamkeit. Wird Mary endlich die lang erträumte Liebe finden?
Kritikpunkt: Der Roman hätte eine Kürzung gut vertragen können, einige Passagen empfand ich zu langatmig oder auch zu redundant (Wiederholung der selben Diskussionen), was für mich zu Durchhängern im Lesefluss führte.
Fazit: Ich empfehle "Miss Bennet" allen Fans von Jane Austen, die gerne in die Regency-Zeit eintauchen, sowie allen Leser:innen, die eine Liebesgeschichte in historischem Setting suchen und eine facettenreiche Protagonistin mit starker Weiterentwicklung schätzen. Es ist ein perfekter Wohlfühl-Schmöker (wenn auch mit 700 Seiten sehr umfangreich) zum Träumen. Um den Roman richtig genießen zu können, empfehle ich, zuvor Austens Original zu lesen oder eine Verfilmung von "Stolz und Vorurteil" anzuschauen, um die Vorgeschichte und die Charaktere besser einordnen zu können. Der Roman ist aber auch ohne Vorwissen verständlich und entfaltet eine eigenständige Handlung.