Wahrscheinlich hinke ich mit der Lektüre dieses Romans ziemlich hinterher. Wie oft habe ich den Buchdeckel vom Markisenmann schon gesehen und immer gedacht, dass es mich gar nicht reizt, ein Buch mit diesem Titel und einem Cover in Siebzigerjahre-Farben zu lesen. Bestsellerautor hin oder her.
Was soll ich sagen? Es dann doch zu tun, hat sich gelohnt.
Erstaunlicherweise schreibt Jan Weiler aus der Perspektive eines fünfzehnjährigen Mädchens. Noch erstaunlicher: Das gelingt ihm wirklich gut. Im Grunde genommen handelt es sich hier um einen Coming-of-age-Roman, denn Kims Geschichte beginnt im Jahr 2005 und wird in der Retrospektive siebzehn Jahre später erzählt.
Die Fünfzehnjährige wird von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach einer tatsächlich schwerwiegenden Verfehlung für die Dauer der Sommerferien zu ihrem leiblichen Vater Ronald Papen geschickt (oder besser „verbannt“), den sie nie kennengelernt hat und von dem sie zuvor annahm, er habe sich gar nicht für sie interessiert.
Papen lebt in einer Lagerhalle, in der sich auch die von ihm zum Verkauf gebrachte Ware befindet: Markisenstoff und Zubehör zur Montage. Erschreckend dabei die enorme Menge an potthässlichem Markisenstoff!
Kim ist entsetzt, an so einen unschönen Ort in einem unattraktiven Gewerbe- und Industriegebiet des Ruhrpotts verdonnert worden zu sein. Die Dinge ändern sich, als sie ihren Vater besser kennenlernt, mit ihm auf Verkaufstour geht und frischen Wind in seine glücklosen Verkaufsgespräche bringt. Dazu kommen weitere Bekanntschaften mit schräg urigen Typen im Umfeld und dem etwas jüngeren Alik, zu dem sie sich hingezogen fühlt.
Um die Sache abzukürzen: Der Prozess des Kennenlernens bringt mit sich, dass Kim Wesentliches über die schuldbeladene Vergangenheit ihres Vaters erfährt, die in engem Zusammenhang mit der ihrer Mutter und ihres Stiefvaters steht. Dies wiederum führt uns in die dunkleren Bereiche der deutsch-deutschen Vergangenheit bzw. des DDR-Regimes.
So ist ein wichtiges Thema dieser Geschichte die Schuld. Schuld, die wir manchmal so schnell auf uns laden, dass wir nicht wissen, was genau uns antreibt und wie uns eigentlich geschieht.
Bei Ronald Papen gehören die zu verkaufenden Markisen zu seinem Schuldabarbeitungsprogramm.
Mit einer guten Dosis Humor, der in Form und Quantität dem Thema gerecht wird, erzählt uns Jan Weiler eine anrührende, aber keineswegs rührselige Geschichte. Für mich kommt sie zwar nicht an Coming-of-age-Romane wie „Der Fänger im Roggen“ oder (mein Favorit) „Tschick“ heran, verdient sich aber trotz kleiner Unwahrscheinlichkeiten gegen Ende meine Fünf-Punkte-Bewertung.