Was bedeutet Freiheit? Wie fühlt sich Gefangenschaft an? Wie kann jemand, der nicht seiner Freiheit beraubt wurde, trotzdem ein Gefangener sein? Und wie kann jemand, der in seinem Leben von Beginn an Ablehnung erfährt und unermessliches Leid ertragen muss, später zu einem liebevollen und gütigen Menschen werden?
Neben essenziellen Lebensfragen werden auch Themen wie Verantwortung, Schuld und die vielen Facetten der Liebe vielfach im Roman aufgegriffen, so wie in dieser Passage, als Julia einen Arzt in Burma mit Geld besticht, um ihren Bruder eine Behandlung zu ermöglichen. Woraufhin ihr Bruder meint, dass dies das erste Mal war, dass er jemanden bestochen hat. Julia widerspricht ihm sofort, doch er meint:
"Nein, nein. Ich habe es geschehen lassen und bin deshalb dafür so verantwortlich wie du", sagte er nachdenklich.
"Wir sind nicht nur für unsere Taten verantwortlich, sondern auch für das, was wir nicht tun."
Diese und viele weitere Passagen haben mich oft nachdenklich gestimmt. Im Hinblick auf die vielen, kleinen und großen Entscheidungen, die wir täglich treffen oder eben nicht treffen, tragen wir immer auch eine gewisse Verantwortung.
Warum hatte ich ihn gegen seinen Willen ins Krankenhaus gebracht? Weshalb den Arzt bestochen, ohne ihn zu fragen?
Ich wollte helfen. Ich hatte Angst um ihn. Wie konnte ich mir einbilden, besser zu wissen, was gut für ihn ist?
Mir fiel ein Satz unseres Vaters ein, den ich als Kind nie verstanden hatte: "In der Hölle des Gutgemeinten." So nannte er die Wohltätigkeitsbälle, die meine Mutter organisieren half.
"Hölle" und "gut gemeint" waren für mich zwei Begriffe gewesen, die zusammen nicht in einen Satz passten. Sie standen in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander. Erst viel später verstand ich, wie treffend seine Bezeichnung war.
How are you?
Ich könnte noch unzählige Zitate aus dem Buch hier niederschreiben, die so viel Weisheit in sich tragen, dass sie mich nur staunend zurückgelassen haben. Da ich aber nicht die ganze Geschichte verraten möchte, beende ich meine kleine (und allererste) Rezension auf lovelybooks.de mit einem einzigen, weiteren Zitat aus dem Buch. Faszinierend, wie man einen so kurzen Moment auf eine Weise einfangen und in Worten wiedergeben kann, dass er nicht nur Bilder vorm geistigen Auge aufsteigen lässt, sondern auch noch berührt und zum Nachdenken bringt:
Ich schluckte. Räusperte mich. Knetete meine Hände, dass sie schmerzten. Blickte zu Boden.
"How are you?", sagte ich leise.
Stille.
"How are you?", wiederholte ich.
"How are you?", klang es zurück. Im Chor.
Gehaucht.
Gerufen.
Geflüstert.
Gemurmelt.
Noch nie hatte ich diesen Satz in so verschiedenen Varianten gehört. Jede Stimme gab ihm ihr eigenes Gesicht. Die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihn aussprachen. Die Bedeutung, die sie ihm verliehen. Aus ihren Mündern, in diesem halbverfallenen Kloster, verlor er seinen How-are-you-I-am-just-fine-how-about-yourself-Klang.