Worum geht es?
Louise und Ludovic beschließen, um ihrem Leben und ihrer Liebe etwas Schwung zu verleihen, ein Sabbatical zu machen. Mit einem Boot möchten sie die Welt umsegeln, einmal ausbrechen aus der Enge, aus der Routine, aus dem Alltag, der sie gefangen hält und die Freiheit genießen. Zu Beginn scheint dies auch genau das Richtige für sie zu sein. Auf einer eisigen und menschenleeren Insel, die irgendwo in Südgeorgien zu lokalisieren ist, machen sie einen kurzen Stopp, um zu fotografieren. Als ein Sturm aufzieht, möchte Louise sofort aufbrechen, doch Ludovic nimmt sich soviel Zeit für die Fotos, dass sie schließlich in einer ehemaligen Walfangstation übernachten müssen. Am nächsten Morgen ist ihr Boot verschwunden und es beginnt ein harscher Überlebenskampf in der eisigen Hölle.
Leseprobe:
„Sie sind früh aufgebrochen. Es verspricht einer der erhabenen Tage zu werden, die zuweilen in den wilden Breiten herrschen, der Himmel tiefblau, wie flüssig, so klar wie nur hier, am fünfzigsten Breitengrad Süd. Das Wasser ist spiegelglatt, Jason, ihr Schiff, scheint schwerelos auf einem dunklen Teppich zu schweben. Kein Wind regt sich, sodass die Albatrosse um den Schiffsrumpf paddeln. Sie haben das Beiboot weit auf den Sandstrand gezogen und sind an der alten Walfangstation entlanggegangen. Die verrosteten, von der Sonne in goldenes Licht getauchten Dächer wirken beinahe fröhlich im Farbenspiel von Ocker, Gelb und Rot. Die Tiere haben die aufgegebene Station zurückerobert, dieselben Tiere, die so lange hier gejagt wurden, totgeschlagen, aufgeschlitzt, gekocht in den riesigen Kesseln, die nun verfallen. Hinter jedem Ziegelhaufen, in den eingestürzten Hütten, zwischen lauter Rohren, die nirgendwo mehr hinführen, aalen sich stoische Pinguine, Robbenfamilien und See-Elefanten. Sie sind eine ganze Weile stehen geblieben, um die Tiere zu beobachten, und es ist schon spät am Vormittag, als sie das Tal hinaufsteigen.“
Kritik
Die beiden könnten unterschiedlicher kaum sein, Ludovic habe ich als impulsiven, freundlichen, offenen und grundsätzlich auch optimistischen Menschen wahrgenommen, Louise ist eher diejeinige, die zehnmal überlegt und dann doch nicht handelt, die Bedenken hat und dazu neigt, alles etwas Schwärzer zu sehen als ihr Partner. So arbeitet sie beim Finanzamt und fährt am Wochenende für einen Tag in die Berge. Sie wäre lieber Bergführerin, sie liebt die Einsamkeit, den Berg und die Natur zu bezwingen, doch hört sie in sich die Stimme ihrer Eltern, die kein Verständnis dafür hätten, eine gute Stelle aufzugeben, nur um einer Leidenschaft nachzugeben. Sicherlich eine vernünftige Überlegung, doch was bleibt dann vom Leben?
Was bleibt von ihrer Beziehung auf der Insel? Der Roman ist in zwei Teile geteilt, der erste „Dort“ schildert den erbarmungslosen Überlebenskampf auf dieser völlig unwirtlichen Insel. Es ist schon ein Abenteuerroman oder eine Robinsonade, doch beschränkt sich die Autorin nicht allein auf die verbissenen Versuche, die Natur zu bezwingen, sondern sie zeigt auch auf, was diese existentielle Krise mit dem Paar macht. Dabei bekommen wir (der Roman ist grundsätzlich in auktorialer Perspektive geschrieben) eher Einblicke in Louises Gedanken. Eine solche Krise kann ein Paar zusammenschweißen oder entfremden. Ich habe die beiden mit Schrecken beobachtet und war immer wieder hin- und hergerissen, was mich mehr schockiert, ihre Taten oder ihre Gedanken. Beides wird von Autissier sprachlich meisterhaft präsentiert, es ist alles so anschaulich, so bildlich, dass mir beim Lesen kalt wurde, kalt, weil bald nach ihrer Ankunft ein langer, harter Winter einbricht, aber auch kalt, weil ich sie einfach als so emotional kalt wahrgenommen habe. Man sieht, was der Hunger aus Menschen macht: Monster. Dabei beschränkt Autissier die Dialoge auf das Nötigste, etwas, das mir ja immer sehr sympathisch ist. Ich habe schon einige Abenteuerromane gelesen, in denen es um den nackten Überlebenskampf geht, der Preis für den verstörendsten geht eindeutig an diesen hier.
Der zweite Teil (ca. 100 Seiten), „Hier“ spielt eine Zeit später. Ich werde natürlich nicht spoilern, was auf der Insel passiert ist. Ich bin von diesem zweiten Abschnitt nicht ganz so begeistert. Der Schluss ist folgerichtig, und irgendwo ist er auch passend, aber ich wäre lieber auf der Insel geblieben.
Autissier ist übrigens, wer sie nicht kennt, die erste Frau, die im Rahmen einer Segelregatta alleine die Welt umrundete. Nach einem Unfall gab sie das Segeln auf. Sie schreibt also mit Expertise.
Für wen ist dieser Roman etwas?
Ganz klar für jeden, dem im Moment im Sommer gerade zu warm ist. Ich hatte ständig Gänsehaut. Für alle, die gern dramatische (und psychologische) Beziehungsgeschichten mögen. Jeder, der vielleicht auch gern an den Herrn der Fliegen zurückdenkt und nun gern eine Version für Erwachsene lesen möchte. Wer sehr tierlieb ist, sollte es sich auch lieber überlegen, ob der Roman so das richtige ist. Ich fand diese Abschnitte schon arg verstörend, auch wenn sie fiktiv sind.