Rezension zu "Die letzte Reise der Meerjungfrau" von Imogen Hermes Gowar
So wie der Schutzumschlag, so ist auch die Erzählung, die sich zwischen den Buchdeckeln verbirgt: glänzend, schillernd, verschnörkelt und zauberhaft, mit ganz eigener Ästhetik und Ausdruckskraft.
Imogen Hermes Gowar, Archäologin, Anthropologin und Kunsthistorikerin, ist mit diesem Roman ein zu Recht preisgekröntes Debüt als Schriftstellerin gelungen.
Sie nimmt uns mit auf eine Reise ins London des späten 18. Jahrhunderts. Kaufmann Jonah Hancock kommt - wie der Untertitel bereits ankündigt - quasi über Nacht zu Reichtum und Ruhm. Der sensationelle Erwerb einer unglaublichen Rarität, einer echten Meerjungfrau, ändert sein Leben schlagartig. Und auch er selbst verändert sich, er wird vom eigenbrötlerischen ewigen Junggesellen zum späten Ehemann, mit dem wachsenden Besitz wachsen auch die Begehrlichkeiten.
Gowar ist ein beeindruckender Genremix gelungen, das Buch ist ein Gesellschafts- und Historienroman über das viktorianische London, sie entwickelt großartige Psychogramme ihrer Protagonisten, die Geschichte ist ein Sittengemälde, gewürzt mit einem Schuss Mystik. Es geht um große Themen, um Leidenschaft und Liebe, Träume, Enttäuschungen und immer wieder: um das Streben nach mehr.
Die Autorin spielt ihre schriftstellerische Klaviatur virtuos. Oftmals entstehen leise, zarte Töne, dann wieder setzt sie zu einem gewaltigen Fortissimo an, das einen völlig in die geschilderte Szenerie eintauchen lässt. Ich hatte einen wirklich sinnlichen Lesegenuss, sah förmlich einen Film ablaufen und schmeckte und roch Beschriebenes.
Einen kreativen Einfall stellen kurze mit der Grafik einer Jakobsmuschel gekennzeichnete Einschübe dar, die Gedanken der Meerjungfrau wiedergeben, in ganz eigener Sprache. Überhaupt ist die Sprache eine der ganz großen Stärken dieses Romans. Gowar schreibt, als wäre sie vor gut zweihundert Jahren aufgewachsen, man taucht auch dadurch wunderbar in die Epoche der Handlung ein.
Für mich eines der Lesehighlights 2019!