Rezension zu "Bartleby, der Schreiber (Graphic Novel)" von Herman Melville
In einer strukturiert geführten Kanzlei ist die Arbeit kaum noch zu schaffen, daher beantragt der Notar zu seinen zwei Schreibern Turkey und Nippers und dem Laufbursche Ginger Nut weitere Unterstützung. Es stellt sich ein stiller, junger Mann vor, der sich als außerordentlich fleißiger Schreiber herausstellt. Von seinem Pult aus blickt er auf eine Mauer, das mache ihm nichts aus, sagt er.
Als der Notar eine Überprüfung der angefertigten Kopien anordnet - eine gängige Praxis - verweigert Bartleby dies mit den Worten "Ich möchte lieber nicht". Zunächst ist sein Vorgesetzter irritiert, dann hilflos und schließlich wütend. Doch bei dieser einen merkwürdigen Sache bleibt es nicht...
Es gibt bei einer Graphic Novel mehr zu besprechen, als bei einem nicht-illustrierten Buch. Da ist zum einen die Geschichte, die ich tatsächlich vorher nicht kannte. Es ist ein großartiger Anti-Gesellschaftsroman, der den Trott der Arbeitswelt und die zumeist seit der Kindheit festgelegte Rolle ohne Rücksicht auf Glück, Zufriedenheit oder Entscheidungsfreiheit zu einer Zeit zum Thema machte, als niemand sich Gedanken über Work-Life-Balance machte. Letztendlich macht einen die Dramatik der Novelle sehr nachdenklich, wohl auch, weil der wenige Text durch den Comicstil sehr pointiert ist und dazwischen viel Platz für eigene Interpretationen lässt.
Bei dieser Literaturform ist es die Aufgabe der Bilder, den nicht abgebildeten Text wiederzugeben und das ist Autor und Zeichner José-Luis Munuera meisterhaft gelungen. Er erweckt mit seinen Zeichnungen Emotionen, erzählt in einem Bild etwas, wofür man mit Worten ganze Seiten füllen könnte. Die tristen Sepiatöne unterstützen die Wirkung der wunderbar sanften Grafiken und erzeugen eine Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Ein trauriges Buch und absolut aktuell. Das Vorwort von Philippe Delerm und das Nachwort von Álex Romero sind eine hochwertige Ergänzung, die das Gelesene eingerahmt und mir wertvolle Denkansätze geboten haben.
Für genau diese Geschichte ist in meinen Augen die Form der Graphic Novel perfekt. Ich suche, was Klassiker angeht, immer besonders schöne und schmuckvolle Ausgaben. Auf Deutsch gibt es von diesem Werk keine Schönere.