Henriette Hell legt nach: Sie ist nun Mitte dreißig und Oma fragt nach Nachwuchs. Dazu hat Henny aber noch keine Lust, sondern sie lebt Ihre Dreißiger ohne Kind und Kegel oder, wie das Buch es im Untertitel trägt, »Mein ziemlich geiles Leben ohne Kind und Karriere«. Ob Letzteres bei einer Bestseller-Autorin so stimmt, ist fraglich, aber jedenfalls ist die Autorin nicht Vorstandschefin geworden, wenn es das ist, was sie mit Karriere meint.
Zu dem Buch muss man wissen, dass es weniger ein zielorientierter Lebensratgeber als eine Selbstdarstellung ist. Ich habe es mit Mitte vierzig gelesen mit dem Hintergrund, dass ich meine Dreißiger auch ohne Ehe, Kind und mit verhaltender Karriere erlebt habe und erleben wollte. Mein Blick auf diese Zeit ist abgeklärter, ich stecke nicht mehr mitten drin und deswegen habe ich beim Lesen auch immer wieder versucht, mich zurückzudenken, was war meine Situation in den Mittdreißigern und hätte das Buch mir in irgendeiner Hinsicht geholfen. Dies ist teilweise der Fall:
Das Buch kommt zu vielen Schlussfolgerungen, die ich sicherlich so unterschreiben und auch Frauen in den Mittdreißigern mitgeben würde:
Die Entscheidung, ob Kind, Ehe, Hund, Haus und Karriere trifft jede(r) für sich selbst. Dabei sollte man sich weder von der lieben Verwandtschaft, den hochschwangeren Freundinnen noch einem gesellschaftlichen Konsens etwas einreden lassen.
Wenn frau Kinder will, dann braucht sie dazu weder Ehemann, Hund, Haus und Karriere, sondern die moderne Medizin hält andere Möglichkeiten vor; und ein Kind in Dänemark zeugen zu lassen, ist weder peinlich noch verwerflich noch ein Scheitern, sondern die Erfüllung eines sehr individuellen und persönlichen Wunsches.
Es gibt nicht nur die Alternativen Kind oder Karriere und erst recht nicht, ist irgendwer verpflichtet, beides wuppen zu müssen.
Und zu guter Letzt: Jede(r) ist frei, sein Leben zu gestalten, wie er/sie es möchte.
Das gilt sicherlich auch für Henriette Hell. Was mich jedoch stört, ist, dass sie ihr Dreißiger wie eine große Party darstellt, ohne einen Blick dahin zu werfen, dass das sicher nicht das Lebensmodell jeder Mittdreißigerin ohne Kinder ist. Die Autorin wird nicht müde, ständig darzustellen, worauf sie alles einen Sekt oder Champagner trinkt, wie oft und mit wem sie sich warum betrinkt. Das gipfelt bereits in Seite 48, auf der sie Feier- und Trinktipps gibt à la »Trinkt eine, trinken alle. Denn das Schlimmste sind (immer noch) die Trinkpausen.« Und wäre das nicht genug, folgt der Ratschlag quasi ein „Trink-Casting« durchzuführen, bevor eine weitere Frau in die Clique gelassen wird. Daraus schließe ich einmal, dass man mit der Autorin nur eng befreundet sein kann, wenn man sehr viel Alkohol mag. Schlecht für Frauen, die nicht trinken wollen oder gar können. Dass diese Lebensweisheiten aus dem letzten Jahrtausend sind, juckt die Autorin an keiner Stelle. Was jetzt nicht heißt, dass ich der Autorin die Freude missgönne. Ich halte es aber für komplett falsch, den Eindruck zu vermitteln, dass man/frau nur eine coole Sau ist, wenn sie oder er auch trinkt wie ein Loch.
Die Autorin hat sich entschieden, ihre Dreißiger zu verbringen wie ihre Zwanziger bloß mit weniger Arbeit. Das ist legitim. Vielleicht hat sie da auch Nachholbedarf. Was ich schade finde, ist, dass sie damit aber nur einen kleinen Kreis der Mittdreißiger anspricht. Denn ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man diese ohne Kinder mit sehr viel mehr Ruhe und Nachhaltigkeit angehen kann. Denn genau das ist ja auch die Zeit, in der man/frau bereits eine gewisse Reife erhalten und idealerweise finanziell und beruflich eine gewisse Festigkeit gefunden hat: exakt die richtige Zeit, um ein Ehrenamt zu übernehmen, sich sozial oder politisch zu engagieren oder sich Freizeitaktivitäten intensiv zu widmen, sei es nun der Kunst, Literatur, dem Sport, dem Reisen … oder sich eben auch den Aufgaben des Lebens zu stellen, z. B. der Pflege von Angehörigen (wo ich ebenfalls aus eigener Erfahrung sagen kann, dass dies sehr bereichernd ist). Ich persönlich fand die Dreißiger so spannend und wichtig, weil ich nicht nur meinen Platz in der Gesellschaft und Familie gefunden habe, sondern auch bewusst entscheiden konnte, was für mich wichtig ist (und mir das auch zutraute). Das Lebensmodell der Autorin erscheint mir da ziemlich oberflächlich dargestellt, und ich schreibe da bewusst »dargestellt«, weil ich mir sicher bin, dass bei einem Menschen wie Henriette Hell in Wirklichkeit viel Tiefgründigeres als die »ständige Party« prägend ist. Ein wenig klingt das im Buch an (z. B. ihre Rolle als Tante), aber dies wird von Sekt und Champagner zugeschüttet. Vielleicht soll das witzig sein, ist es aber nicht (und ich bin eine Frau, die durchaus einmal gerne ein, zwei Gläserwein trinkt).
Ich gebe drei von fünf Sternen. Dafür, dass ich es furchtbar wichtig finde, unterschiedliche Lebensmodelle zu zeigen, zu zeigen, dass frau auch glücklich sein kann, wenn sie sich gegen den klassischen Weg entscheidet und vor allem, dass es kein Scheitern ist, wenn frau diesen nicht geht. Die beiden Punkte Abzug gibt es dafür, dass das Buch zu viel Wert auf Oberflächlichkeiten legt, das Leben als Party im Suff propagiert und auch noch an einigen Stellen diskriminierend gegenüber denen ist, die sich dagegen entscheiden (müssen). Ich hoffe, dass die Autorin da in ihrer Schreibwut einfach nicht drüber nachgedacht hat und man/frau mit der durchaus sympathisch rüberkommenden Ich-Erzählerin auch befreundet sein kann, wenn mit Wasser oder Saftschorle angestoßen wird.