Rezension zu "Die Abholzung," von Franz Josef Degenhardt
Der Roman "Die Abholzung" ist in mehrfacher Hinsicht interessant und lesenswert. Obwohl er bereits 1985 in der BRD und 1987 dann auch in der DDR veröffentlicht wurde, empfand ich ihn als hochaktuell. Immer wieder kam mir als Assoziation zum dargestellten Geschehen: "Das könnte glatt auch, nur entsprechend dann mit ausgetauschten Namen und Orten, ein Roman über die Stuttgart-21-Auseinandersetzung sein." in den Sinn.
In diesem Roman geht es um die geplante Abholzung eines Waldgebietes in einer eh schon waldarmen Gegend, um einen Autobahzubringer zu bauen. Gegen diese Waldvernichtung und dem Zubringerbau gründet sich eine Bürgerinitiative, die drei Jahre alles Legale unternimmt, um den Habichtsforst zu retten. Da ergeht ein Urteil eines obersten Gerichtes, dass alle Einwände zurückweist und die endgültige Baugenehmigung erteilt. Das Bürgerkomitee beginnt sich nach dem Urteil zu zerstreiten. Die einen sehen keine Chance mehr etwas gegen die Abholzung zu unternehmen, die anderen wollen weitermachen. Der Riss geht dabei selbst durch Familien. Die Obrigkeit lässt eine Demonstration vor dem Rathaus mit Wasserwerfern dann auseinandertreiben. - Die Feriensaison beginnt und die Familien von Heiderkamp fahren auch in Urlaub. Selbst einige der Mitglieder des Bürgerkomitees. Der Bürgermeister und die Obrigkeit nutzen die Gelegenheit. Am frühen Morgen des dritten Ferientages schaffen sie vollendete Tatsachen: die Holzfällertruppe rückt an und kurz darauf auch die ersten Strassenbauer. - Und dann passiert es: in der Nacht brennt die Arbeiterunterkunft. Gefunden werden Benzinkanister und eine peruanische Wollmütze am Tatort. Nur einer trägt eine solche in Heiderkamp: der einige Monate zuvor plötzlich anscheinend aus dem Nichts aufgetauchte junge Mann, der sich einfach nur Mando nennt und auf dem Gelände einer Ökobauern-Kommune lebt. Mando verweigert bis zuletzt auch vor Gericht die Aussage und er kann auch nicht identifiziert werden. Man hält ihn für einen militanten Ökofreak und gewaltätigen Baugegner. - Und dann ist da noch Griet Steingrüber, die gutbürgerliche Haus- und Ehefrau des im Bürgerkomitee an vorderster Stelle engagierten Erhard Steingrüber, der Abteilungsleiter in der nationalen Zentrale eines multinationalen Lebensmittelkonzerns ist, die sich plötzlich, wenige Tage nachdem die 15-jährige Tochter in der Schule zusammengebrochen ist, weil sie seit Wochen kaum was gegessen hat, und der 14-jährige Sohn wegen organisierter Bandenkriminalität verhaftet wird, sich an die Blutbuche auf dem Marktplatz ankettet. Ein letzter verzweifelter Protest?
Der auch als Liedermacher sehr bekannte Franz Josef Degenhardt, Jahrgang 1931, hat hier einen analytisch gut gemachten und interessant geschriebenen Zeit-Roman über eine Bürgerinitiative und deren Auseinandersetzung mit der Obrigkeit vorgelegt. Er stellt die Mechanismen und Interessenverquickungen in unserer Gesellschaft heraus, zeigt Widersprüche auf und verdeutlicht auch, warum die Bewegung von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Klar zeigt er die Interessen für das Engagement Einzelner der Bewegungs-Aktivisten: Steingrüber, der bei seinen Chef punkten will, weil er weiß, dass dieser auch ein Ökofan ist, aber der dann zurückrudert als die Konzernzentrale Wind vom Engagement ihres Abteilungsleiters bekommt. Da ist Konrad Richter, der sich sehr einsetzt für die Erhaltung des Habichtsforst und dessen Bruders Firma Hauptauftragnehmer für den Zubringerbau ist. Und dann ist da noch jemand, der Berichte für das Überwachungsamt schreibt. Und auch noch ein engagierter Auuohaus-Besitzer, der nebenbei als Exhibitionist in Erscheinung tritt. Und da sind die Kinder der Bürgerbewegten, die ganz nebenbei, unbeachtet von den Eltern, eine kriminelle Bande aufbauen, die Einbrüche und Raubzüge begeht. Und da ist Mando, von dem keiner weiß, wer er ist und woher er kommt.
Interessant ist auch die Perspektive aus der Degenhardt schreibt. Er schreibt als Bewohner der Zukunft dieses Landes, der nach seinen Vorfahren recherchierte und dabei auf die Akten zu Griet Steingrüber, Mando usw stieß, die er dann, wie er schreibt, zu einem Roman im Stile "der letzten Dekaden der unmittelbaren Vorgeschichte" umarbeitete.
Eine interessante Sache dieser Roman.