Ich wusste ehrlich gesagt überhaupt nicht so recht, was mich hier erwartet. Den Klappentext hab ich nicht gelesen, denn da mich "Das Schneemädchen" von der Autorin schon so verzaubert hatte war ich einfach neugierig und wollte ohne Vorwissen in die Geschichte eintauchen.
Ein bisschen hat es mich anfangs an "Terror" von Dan Simmons erinnert. Eine Expedition in das unerforschte Alaska, erzählt aus wechselnden Perspektiven während der Reise und auch der Rückblick was vorher geschah war etwas ähnlich. Aber das war es auch schon. Später dann hab ich mich an Lady Trents Memoiren von Marie Brennan erinnert gefühlt, denn auch hier gibt es eine starke Frau, die entgegen der Konventionen für ihren Forschergeist einsteht.
Wir lesen hier zum einen einen Reisebericht aus dem Jahr 1885, verfasst in Tagebucheinträgen von Colonel Allen Forrester, der sich zusammen mit Lt. Pruitt und Lt. Tillmann aufmacht, um den unbekannten Norden in Alaska zu erforschen und kartografieren.
Dem entgegen berichtet seine Frau, die in der Garnison zurückgeblieben ist, wie sie die Zeit ohne ihn verbringt und ihr künstlerisches Talent zusammen mit ihrer Liebe zu Vögeln schließlich in der Fotografie vereint findet.
Dazwischen gibt es immer wieder einen Briefwechsel zwischen dem Nachfahren von A. Forrester, der die gesammelten Einträge einem Museum in Alaska zukommen lassen möchte und mit dem dortigen Kurator Joshua Sloan Kontakt aufgenommen hat.
Es ist eine ruhige Geschichte, bzw. mehrere Geschichten, die auf unterschiedlichen Ebenen bewegt und zu fesseln weiß. Die Reise in die harte und kalte Landschaft Alaskas ist nicht leicht und vor allem die Versorgung mit Proviant gestaltet sich als schwierig. Ebenso die Angst vor den dort ansässigen Indianern, die der kleinen Reisegruppe nicht immer wohlgesonnen gegenübersteht. Wie auch schon in "Das Schneemädchen" gibt es hier ein paar kleine mystische Aspekte, Aberglauben und wunderliche Ereignisse, über die man nachdenken, aber auch einfach nur hinnehmen kann.
Ich fand den Bericht sehr interessant und obwohl keine großen Abenteuer in Form von "Action" die Spannung erhöhen, weiß die Autorin, wie man die kleinen Wagnisse und Dramen der Menschen selbst in Szene setzt. Grade inmitten der einsamen Wildnis, in der man der Natur und den eigenen Gedanken ausgesetzt ist.
Das gleiche gilt für Sophie Forrester, des Colonels Frau, die die Trennung von ihrem Mann auf ihre eigene Art zu überbrücken sucht. Mit einem schweren Schicksalsschlag muss sie alleine zurechtkommen - findet aber den Weg über ihre Passion zu den Vögeln, die sie mit Begeisterung beobachtet und sich schließlich traut, die Fotografie zu erlernen. Damals ja noch kompliziert mit all dem Zubehör, dem Wissen um Chemikalien zur Entwicklung der Platten etc., was sie jedoch umso mehr anspornt, ihr Wissen zu erweitern. Auch gegen die Vorbehalte der anderen Damen der Gesellschaft setzt sie sich durch, die darin eher einen unnötigen und seltsamen Zeitvertreib sehen.
Das liebe ich so an ihm: Er macht sich nicht auf die Suche nach Hindernissen, sondern nach dem Weg, der um diese herumführt. Nichts scheint ihm unmöglich.
Zitat Seite 59
Auch die Liebe durchdringt hier immer wieder die Zeilen, denn die Tagebücher werden geführt, um sie später gemeinsam zu lesen und damit zu erfahren, wie der jeweils andere die Zeit der Trennung erlebt hat.
Ich mag den Colonel und ich finde solche Reisen in unbekannte Gebiete sehr faszinierend - dennoch zeigt es sich hier immer wieder, wie sehr das die natürliche Lebensweise der dort lebenden Menschen verändert. Und eigentlich nie zum guten. Die Indianer und Inuits werden christianisiert und mehr oder weniger gezwungen, eine andere Lebensart anzunehmen, eine "zivilisierte", mit der sie aber nur schwerlich zurechtkommen. Ich denke, die Beispiele auf der ganzen Welt sprechen hier für sich.
Binnen zwanzig Jahren nach der Expedition des Colonels, und hauptsächlich aufgrund seiner Berichte, zogen die Bergwerksunternehmen und die Pelzhändler in das Tal des Wolverine, und ab den 1920er Jahren litt der Stamm der Wolverine schwer unter Tuberkulose, Grippe und Alkoholismus.
Zitat Seite 425
Alles, was wir zu erfahren hoffen, zerstören wir mehr oder weniger sobald wir es entdecken. Eine Entwicklung die wirklich schade ist und traurig macht. Das spürt man auch im Briefwechsel zwischen Walt und Joshua, die sich 100 Jahre später über diese Expedition und ihre Folgen austauschen.
Vielleicht hätte dem ganzen an manchen Stellen etwas mehr Tempo oder "Aufregung" gut getan, aber ich denke, dass gerade der langsame Rhythmus, diese Ruhe und Einsamkeit, die die Atmosphäre einfachen, gerade richtig dosiert sind, um sich in die Figuren hineinversetzen zu können. Was übrigens noch mit einigen Fotos und Zeichnungen noch deutlicher wird.
Ich fand es eine großartige Geschichte, der mir noch ein kleiner Tick gefehlt hat, den ich aber nicht genau benennen kann. Mich konnte sie jedenfalls von Anfang bis Ende fesseln und berühren.
4.5 Sterne
Weltenwanderer