Rezension zu "Sieben Seiten der Wahrheit" von Elliot Perlman
Die sieben Seiten der Wahrheit – so ein Titel gibt zu Reflektionen Anlass. Ist Wahrheit denn nichts Absolutes? Kann es davon verschiedene Versionen geben? Wenn man dies Buch gelesen hat, wird man antworten: Logischerweise, denn jeder hat sein persönliches Erleben und seinen eigenen Blickwinkel auf Dinge.
Der charismatische Englischlehrer Simon liebt die schöne Anna. Die Trennung verwindet er nicht. Jahre später, er ist arbeitslos und mit Angela, einem Callgirl, liiert, kidnappt er in einem Akt der Verzweiflung Annas Sohn, den sie mittlerweile mit einem anderen hat. Er wird verhaftet, öffentlich bloß- und vor Gericht gestellt.
Das ist in Kürze der Kern der Handlung, die uns aus sieben Perspektiven geschildert wird. Neben Simon, Anna und Angela kommen noch Simons Therapeut, seine Anwältin, Annas Mann, dessen Kollege und die Tochter des Psychiaters in einem eigenen Kapitel zu Wort.
Sieben mal dieselbe Geschichte – ist das nicht langweilig? Nun, es ist nicht jedesmal dieselbe Geschichte. Der Blickwinkel der jeweiligen Erzählstimme macht sie zu etwas anderem, ihr Hintergrund und Beitrag zum Geschehen fügt der Geschichte jeweils etwas Neues hinzu und bringt sie voran. Insofern erweitert sich der Roman permanent zu einer Art Gesamtbild.
Langweilig wird es unterwegs doch ein bisschen. Der Aufbau mit dem Perspektivwechsel ist zwar künstlerisch und konzeptionell interessant, doch braucht Elliott Perlman dafür ungefähr 800 Seiten, die er um einen Entführungsfall strickt, der letztlich keiner ist. Hier liegt eigentlich die Krux der Handlung: Obwohl wenig geschieht, lesen wir soviel Stoff. Viel Wind um wenig, könnte man sagen. Okay, es gibt noch zahlreiche Nebenhandlungen und Reflexionen zur australischen Gegenwart aus Politik und Wirtschaft, die durchaus intelligent formuliert sind und zum Nachdenken anregen.
Doch die Stärke des Romans liegt nicht in seiner Handlung, sondern in der psychologischen Ausdeutung seiner Charaktere und den Reflexionen der Personen. Das macht der Autor sehr differenziert, aber auch sehr wortreich, um nicht zu sagen langatmig. Mit diesem Trick gelingt es ihm, Motivation und Handlung plausibel zu machen, obwohl sie es eigentlich nicht ist. Warum Simon Anna Sohn entführt, bleibt trotz vieler Worte rätselhaft. Zum Teil, zumal in der Zeit, in der Simon in U-Haft sitzt, kam mir der Text stellenweise redundant vor.
Ich habe das Buch wegen seiner Psychologie und seines Aufbaus insgesamt gern gelesen, hätte mir aber 2- 300 Seiten weniger gewünscht. Dann wäre der Antrieb jeder einzelnen Person immer noch klar gewesen, und der Zweck einer differenzierten Darstellung immer noch erfüllt.