"Das hat Marian in der Zwischenzeit gelernt: Das Leben am Land ist nicht zärtlicher als das Leben in der Stadt. Die Menschen sind nicht netter zueinander, weil sie sich besser oder länger kennen oder alle irgendwie miteinander verwandt sind. Die schöne Natur um sie herum macht sie nicht dankbar und weich, im Gegenteil." - Doris Knecht, "Wald"
Marian hatte alles, und hat alles verloren, durch eigene schlechte Entscheidungen, durch die Wirtschaftskrise, durch mangelhafte Beratung. Die ehemalige Wiener Modedesignerin wird zur Aussteigerin, aber nicht freiwillig. Von der Luxuswohnung zieht sie zunächst in den Sozialbau, kauft statt auf dem Wochenmarkt bei Hofer ein - doch als selbst da die Schulden zu erdrückend werden, ergreift sie die Flucht aufs Land, in die Voralpen, in ein geerbtes, heruntergekommenes Häuschen. Aber gleich in ihrem ersten Winter muss sie erkennen, dass das einfache, ländliche Leben eben doch gar nicht so einfach ist. Sie wird zur Diebin, stielt Gemüse und Hühner der Nachbarhöfe und macht sich sogar der Wilderei schuldig - bis Franz auftaucht.
Doris Knecht erzählt in ihrem Roman "Wald" von einer Aussteigerin, die dieses Leben fernab der Gesellschaft eigentlich nie wollte. Oft wird die vermeintliche Landidylle romantisiert, gerade von Menschen, die in der Stadt wohnen - Marian erfährt am eigenen Leib, wie hart das Leben als Selbstversorgerin ist. Sie hungert, sie friert, sie ist extrem einsam. Nach einem ersten unerträglichen Winter beginnt sie, Vorbereitungen zu treffen: Sie baut Gemüse an, lernt, wie man Brot backt und Fische angelt, weckt und kocht ein. Alleine schafft sie es jedoch nicht wieder auf die Beine, denn da ist auch Franz, der sie mit Dingen des täglichen Bedarfs versorgt und mit dem sie im Gegenzug eine sexuelle Beziehung eingeht. Doris Knecht schildert in ihrem Buch einerseits sehr genau Marians Aussteiger-Leben, andererseits beobachtet sie aber auch aufs Genaueste die Ökonomie zwischenmenschlicher Beziehungen, lässt Marian ihren eigenen sozialen Abstieg immer und immer wieder gedanklich durchgehen, genauso wie jede einzelne ihrer Handlungen.
Ich mag vor allem Doris Knechts Stil sehr gerne, es macht ihre Bücher aus, dass sie Austriazismen verwendet und durch viele Wiederholungen entsteht ein höchst eindringlicher Ton, der an die Geschichte fesselt. Mir haben besonders ihre Schilderungen von Marians Leben auf dem Land gefallen, sie hatten eine beruhigende Wirkung auf mich, während ich die geschickt eingefädelte Vorgeschichte der Protagonistin mit Spannung verfolgt habe. Auch der Erzählstrang rund um Franz hat für die Geschichte durchaus Sinn gemacht - allerdings hätte ich mir hier doch etwas weniger Sex-Szenen und an Franz verschwendete Gedanken Marians gewünscht. Stil, Setting und Idee waren jedoch genau meins - ich freue mich auf weitere Bücher der Autorin!