Rezension zu "The 19th Wife" von David Ebershoff
2006. Fünf Jahre ist es her, dass Jordan zu einem Lost Boy wurde. Das bedeutet theoretisch, dass er aus der Gemeinschaft der First Latter-Day Saints, einer strengeren Abspaltung der Mormonen und radikale Vertreter der Polygamie als Wille Gottes, ausgeschlossen wurde. Praktisch bedeutet es, dass seine Mutter den damals 14jährigen nachts auf einem Highway wortwörtlich ausgesetzt hat. Seitdem schlägt sich Jordan mit Gelegenheitsjobs durch und lebt in einem Van, als er eines Tages im Internet liest, dass seine Mutter, Ehefrau Nummer 19, seinen Vater ermordet haben soll, und vermutlich einer Todesstrafe entgegen sieht. Jordan kehrt in die alte Heimat zurück, ist nach einem Besuch bei seiner Mutter überzeugt, dass diese unschuldig ist, und beschließt, den wahren Täter/die wahre Täterin zu finden.
1875. Es ist eine Erpressung, die Ann Eliza dazu zwingen, die 19. Frau des Propheten Brigham Young zu werden. Ann Eliza ist in der Gemeinschaft und mit dem Glauben der Latter-Day Saints aufgewachsen, aber die Erlebnisse ihrer Kindheit, der Kummer der Mutter über die weiteren Frauen ihres Mannes, der Mangel an Liebe des Vaters, der seine Zuneigung zwischen vielen Ehefrauen und Kindern aufteilen musste, haben sie eher skeptisch gegenüber der Institution der Vielehe werden lassen. Nach fünf Jahren Ehe erträgt sie es nicht mehr, flieht mit ihrem jüngeren Sohn und begibt sich mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Sie schreibt ein Buch und reist durch die Staaten, um Vorträge zu halten, damit die Praxis der Polygamie endgültig beendet wird.
Ann Eliza Young ist eine historische Persönlichkeit, ebenso wie viele andere Charaktere, die uns in den Rückblenden, die fast bis zum Beginn der Geschichte der Mormonen reichen, begegnen. Ihr Teil der Geschichte wird in Form von Ausschnitten aus ihrem Buch, Berichten und Briefen von Verwandten, Zeitungsartikeln, Annoncen und ähnlichen Quellen präsentiert, und wie immer in solchen Fällen stellt sich einem die Frage, wie viel davon wahr und wie viel Fiktion ist. David Ebershoff gibt darauf eine klare Antwort: alles, was man in seinem Roman „The 19th Wife“ liest, ist von ihm geschrieben worden, auch wenn es in vielen Fällen eine Originalversion gibt. Es ist deutlich, dass er sehr viel recherchiert hat, aber der Roman ist und bleibt eben genau das, ein Roman und somit ein Werk der Fiktion.
Das gilt natürlich erst recht für die Geschichte um Jordan und seine Mutter, für die es keine historischen Vorbilder gibt. Diese Teile des Buches werden komplett aus der Sicht Jordans erzählt, und zeigen, dass die Frage der Polygamie bis heute nicht geklärt ist, auch wenn die Mormonen sie bereits 1890 verboten haben.
Ich habe das Buch sehr gerne und mit Spannung gelesen. Die Dokumente der Geschichte um Ann Eliza, in der unter anderem auch ihre Eltern, ihr Ehemann, ihr Bruder und ihr Sohn zu Wort kommen, ist eine gelungene Mischung verschiedener Blickwinkel, womit für mich das Thema Polygamie viel Komplexer, aber auch einfacher nachvollziehbar wurde. Sicher kann man darüber diskutieren, ob der Roman Stellung bezieht, oder sogar den Glauben der betroffenen Gruppen diffamiert. Ich persönlich habe es nicht so empfunden. Zugegeben, es werden vor allem Extremfälle geschildert, in der die Männer 50 oder mehr Frauen in ihre Häuser holen, und sie handeln auch nicht gerade nach unseren moralischen Vorstellungen, was die Auswahl der nächsten Braut betrifft, aber trotzdem fand ich, dass der Roman genug Raum für differenzierende Überlegungen gelassen hat.
Zur Diskussion bleiben die Fragen, ob und wie Vielehen funktionieren können, und in wie fern man den Glauben des Einzelnen gesetzlich einschränken darf oder muss. „The 19th Wife“ ist eine gute und nachdenklich machende Lektüre, besonders für jene, die sich für die Geschichte der Mormonen interessieren.