Spannend, technisch und von wegen nur „little“ Brother
Vorweg gesagt, auch wenn Cory Doctorow eher leger und für jüngere Erwachsene bis Jugendliche schreibt, auch als älterer Mensch kann man durchaus mit Freude und Spannung seine „Little Brother“ Werke lesen. Allerdings, darauf sollte man sich einstellen, in teils hochtechnischer Sprache, was das „hacken“ angeht, die Überwachung der digitalen Welt, die Manipulation von Meinungen, das Eindringen in fremde Privatsphären und, neben natürlich manch „realen“ Action-Sequenzen, auch das Betreten einer „virtuellen Welt“, in der sich Kompetenzen und Persönlichkeiten digitaler Fachleute über Datenleitungen miteinander messen.
„Er setzte eine knallharte Miene auf. Bei der Dorfjugend, die auf dem Flur Judge Dredd spielte (gemeint sind die Leibwächter des aktuellen Auftraggebers der Hackerin Masha Maximoff), kam das sicherlich unglaublich gut an. Aber mich hatte Ilsa, die Wölfin von Blabla angestarrt und ich war die härtesten Augäpfel der Welt gewöhnt“.
Nachdem jene Masha „es sich eingerichtet“ hat (zuerst mal wird natürlich der Hochsicherheitsbereich der Rechner des Auftraggebers infiltriert, so dass Masha feien Einblick und Zugang zu allen daten erhält), legt sie los. Erst im Sinne des Auftrags, dann aber, es dauert nicht lange, mit deutlich klaren Zweifeln an dem, worum es hier gehen soll.
Denn während sie bis dato überhaupt keine Skrupel kannte, „NGO´s“ und „Aktivisten“ gegen die Regime dieser Welt aufzuspüren und auszuliefern, geht es nun um ihre eigene Heimat und die gedachte „Auslöschung“ jedweden Widerstandes gegen die Einrichtung und völlige Durchsetzung eines autokratischen Systems.
Was da alleine hinter all den technischen Finessen, die gerne auch mal ausführlich geschildert werden, auftaucht, und was man irgendwie schon geahnt hat mit all den Cookies und Datenhandel zwischen den „Giganten“ im Netz, das erschreckt den Leser ein ums andere mal in der temporeich vor sich hin laufenden Geschichte. Selbst „Big Brother“ von Orwell reicht am Ende gar nicht heran an all die Möglichkeiten der Datensammlung und des Ausspähens, die bis in intimste Bereiche der „Zielpersonen“ reicht. Mit dem verbleibenden, schlechten Geschmack im Mund, dass das hier weniger Science Fiction oder Fantasy am Ende darstellt, als die ganz einfach nackte Realität der modernen Welt.
Selbstverständlich wird auch die zweit Hauptfigur der vorhergehenden Bände, Marcus Yallow, ebenfalls begnadeter „Tec“ und „Hacker“ seinen Platz im Ablauf der Ereignisse in dieser Fortsetzung finden.
Wobei „Sabotage“ keine reine Fortsetzung vergangener Ereignisse darstellt, sondern den Focus in all dem schon Geschehenen nun auf die Perspektive Mashas hin ausrichtet. Die ihre Geschichte in den Ereignissen in San Francisco (Thema der vorhergehenden Bände) aus ihrer Sicht erzählt, die dem Leser differenziert und ausführlich vorgestellt wird und deren „auf zwei hochzeiten tanzen“ (sie lässt viele der naiven Aktivisten ja nicht unbedingt ungeschützt im Regen stehen, soweit sie es vermag. „Der slovstakische Widerstand hatte noch nicht begriffen, dass der einzige wirkliche Nutzen von Facebook während einer Revolution darin bestand, den Leuten zu zeigen, wie man etwas einsetzte, das mehr Sicherheit bot als Facebook“).
So ist die vordergründige Geschichte frech, mit ironische Sprache und einer „coolen“ Protagonistin spannend erzählt, führt in viele Verwicklungen, Doppelbödigkeiten und auch in persönliche Gefahren, während dem Leser zugleich vermittelt wird, wie das rein sachliche du damit „seelenlose“ Instrument moderner Datenverarbeitung und Datenweitergabe massiv zur Unterdrückung von Widerstand und Sicherung des Reichtums der „Mächtigen“ genutzt wird. Oder eben, um einen solchen Reichtum herzustellen. Auf Kosten vieler anderer.
Was manches mal zu breit angelegt ist (die gut 550 Seiten enthalten auch Längen und manches „Füllmaterial), aber im Gesamten eine doch anregende und runde Lektüre ergibt.