Christopher Clark

 4,2 Sterne bei 112 Bewertungen
Autor*in von Die Schlafwandler, Preußen und weiteren Büchern.

Lebenslauf von Christopher Clark

Christopher Clark, geboren 1960, lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine's College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens. Er ist Autor einer Biographie Wilhelms II., des letzten deutschen Kaisers. Für sein Buch »Preußen« erhielt er 2007 den renommierten Wolfson History Prize sowie 2010 als erster nicht-deutschsprachiger Historiker den Preis des Historischen Kollegs. Sein epochales Buch über den Ersten Weltkrieg, »Die Schlafwandler« (2013), führte wochenlang die deutsche Sachbuch-Bestseller-Liste an und war ein internationaler Bucherfolg. 2018 erschien von ihm der vielbeachtete Bestseller »Von Zeit und Macht« und 2020 folgte das von der Kritik gefeierte »Gefangene der Zeit«. Einem breiten Fernsehpublikum wurde Christopher Clark bekannt als Moderator der mehrteiligen ZDF-Doku-Reihen »Deutschland-Saga«, »Europa-Saga« und »Welten-Saga«. 2022 wurde ihm der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten verliehen.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Christopher Clark

Cover des Buches Die Schlafwandler (ISBN: 9783570552681)

Die Schlafwandler

 (59)
Erschienen am 09.03.2015
Cover des Buches Preußen (ISBN: 9783421070210)

Preußen

 (22)
Erscheint am 27.09.2023
Cover des Buches Wilhelm II. (ISBN: 9783570550991)

Wilhelm II.

 (10)
Erschienen am 09.11.2009
Cover des Buches Von Zeit und Macht (ISBN: 9783570554272)

Von Zeit und Macht

 (7)
Erschienen am 22.06.2020
Cover des Buches Gefangene der Zeit (ISBN: 9783570554654)

Gefangene der Zeit

 (4)
Erschienen am 27.06.2022
Cover des Buches Frühling der Revolution (ISBN: 9783421048295)

Frühling der Revolution

 (0)
Erscheint am 27.09.2023
Cover des Buches Die Schlafwandler (ISBN: 9783837123302)

Die Schlafwandler

 (2)
Erschienen am 16.09.2013
Cover des Buches Wilhelm II. (ISBN: 9783837152050)

Wilhelm II.

 (1)
Erschienen am 10.08.2020

Neue Rezensionen zu Christopher Clark

Cover des Buches Die Schlafwandler (ISBN: 9783570552681)
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Rezension zu "Die Schlafwandler" von Christopher Clark

Epochemachendes Buch über den Weg in den Krieg
AlexanderPreussevor 5 Monaten

Selten hat ein Werk das Attribut »epochemachend« verdient. Das Sachbuch Die Schlafwandler von Christopher Clark kann problemlos damit ausgezeichnet werden, denn seine Darstellung von Europas Weg in den zivilisatorischen Untergang des Ersten Weltkrieges ist eine kleine Sensation. Die Herangehensweise, endlich die Frage der Schuld in den Hintergrund zu stellen, war überfällig. 

Der Begriff der Schuld ist in der Historiographie genauso fehl am Platz wie etwa »gut« und »böse«. Sie sind nichtssagend und verdecken eher das, was herausgearbeitet werden sollte. Clark geht den steinigen Weg und befasst sich mit den vielfältigen, verflochtenen und auch widersprüchlichen Gründen, die letztlich zum Kriegsausbruch führten. 

Die unsinnige und von den Betroffenen bereits scharf kritisierte bzw. zu Propagandazwecken ausgeschlachtete alleinige Kriegsschuld des Deutschen Kaiserreiches muss einem vielschichtigen Erklärungsmuster weichen. Kommunikation, Machtstrukturen innerhalb und zwischen den Mächten, unscharfe Perspektiven bezüglich der Gegner sowie Freunde, Unsicherheiten – es gibt einen ganzen Strauß an Gründen, die in den Waffengang mündeten. 

Vor allem: Zwangsläufig war der Kriegsausbruch nicht. 



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Cover des Buches Die Schlafwandler (ISBN: 9783570552681)
dunkelbuchs avatar

Rezension zu "Die Schlafwandler" von Christopher Clark

Umfassende und präzise Analyse der europäischen Krise
dunkelbuchvor 8 Monaten

Das Beeindruckendste an dem Buch sind sicherlich auffällige Parallelen zu aktuellen politischen Brandherden und möglichen Konsequenzen von politischen Drohgebärden, die im Juli 1914 binnen drei Tagen zum Weltkrieg führten. 


Das Werk umfasst ca. 900 Seiten, das ist schon eine Menge. Aber dennoch das weitaus beste Werk über diesen Zeitraum.
Äußerst lesenswert!

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Cover des Buches Die Schlafwandler (ISBN: 9783421043597)
A

Rezension zu "Die Schlafwandler" von Christopher Clark

Europa auf dem Weg in den Abgrund
Andreas_Oberendervor 2 Jahren

Ein halbes Jahrhundert ist es jetzt her, dass Fritz Fischer die westdeutsche Geschichtswissenschaft mit seinen Thesen über die Schuld des Deutschen Kaiserreiches am Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Aufregung versetzte. Ein entfernter Nachhall der von Fischer ausgelösten Debatte ist noch in aktuellen Darstellungen zur Vorgeschichte und Geschichte des Ersten Weltkrieges zu spüren. Zwar teilt heute niemand Fischers Position, das Deutsche Reich habe gezielt auf einen großen europäischen Krieg hingearbeitet und sich an einem "Griff nach der Weltmacht" versucht. Doch in vielen deutschsprachigen Arbeiten - man denke etwa an einschlägige Darstellungen von Volker Berghahn, Klaus Hildebrand, Wolfgang Mommsen oder Gregor Schöllgen - fällt eine einseitig deutschlandzentrierte Sicht auf die Krise vom Juli 1914 auf. Die Fehlkalkulationen und Fehlentscheidungen der deutschen Führung werden weithin als maßgeblicher kriegsauslösender Faktor betrachtet.

Ausgehend von der Illusion, Russland und Frankreich seien nicht bereit, sich wegen eines Konfliktes auf dem Balkan militärisch zu engagieren, habe die deutsche Führung nach dem Attentat von Sarajewo auf eine Lokalisierung des absehbaren österreichisch-serbischen Krieges gesetzt und der Wiener Regierung einen "Blankoscheck" für ein rasches Losschlagen gegen Serbien ausgestellt. Abgesichert durch die Rückendeckung des deutschen Bündnispartners habe Österreich einen harten, kompromisslosen Kurs gesteuert, der zwangsläufig Russland als Schutzmacht Serbiens auf den Plan gerufen habe. Als sich die Krise zugespitzt habe, habe Berlin nicht mäßigend auf Wien eingewirkt. Im Gegenteil, die Führung des Deutschen Reiches habe bewusst auf Risiko gespielt, um zu "testen", wie kriegswillig Russland sei und wie sich die Entente in dieser explosiven Situation verhalten werde. Die Reichsleitung, seit Jahren über Deutschlands außenpolitische Isolation und das militärische Erstarken Russlands besorgt, sei gewillt gewesen, Frankreich und Russland notfalls durch einen Krieg nachhaltig zu schwächen, sollte es nicht gelingen, die Gegner auf diplomatischem Wege auseinanderzudividieren. Diese Risikostrategie der deutschen Führung sei fehlgeschlagen, weil sich Russland auf die Seite Serbiens gestellt, Frankreich seine Bündnisverpflichtungen gegenüber Russland erfüllt und Großbritannien wider Erwarten keine neutrale Haltung eingenommen, sondern Partei für Frankreich und Russland ergriffen habe.

Christopher Clark unternimmt es in seinem neuen Buch, diese allzu sehr auf Deutschland fokussierte Sicht auf die Julikrise durch eine Perspektive zu ergänzen, die auch die anderen Großmächte sowie eine Reihe kleinerer europäischer Staaten in den Blick nimmt. Clark möchte herausarbeiten, welche Prozesse und Entwicklungen, welche Entscheidungen und Zäsuren eine Situation entstehen ließen, die den Ausbruch des Ersten Weltkrieges möglich machte. Ihm geht es nicht darum, die Kriegsschuldfrage neu zu stellen und die Schuld am Kriegsausbruch einem einzelnen Staat zuzuweisen, wie dies in der Vergangenheit oft geschehen ist. Clarks dezidiert personenbezogene Darstellung (das Buch ist über weite Strecken eine klassische Diplomatiegeschichte) rückt die Akteure in den Mittelpunkt, die in den Jahrzehnten vor dem großen Krieg in Europas Hauptstädten über den Gang der Außenpolitik bestimmten - Monarchen, Regierungschefs, Außenminister, Diplomaten. Wer waren diese Männer, und von welchen Erfahrungen und Wahrnehmungen wurde ihr politisches Handeln beeinflusst? Wie und in welchen institutionellen Strukturen liefen Entscheidungsprozesse ab? Welche Überlegungen und Berechnungen waren für außenpolitische Entscheidungen und Weichenstellungen ausschlaggebend? Clark möchte ein "multipolares" und "interaktives" Bild von der europäischen Staatenwelt am Vorabend des Ersten Weltkrieges zeichnen. Daher räumt er allen fünf Großmächten - Deutschland, Österreich-Ungarn, Großbritannien, Frankreich und Russland - gleich viel Raum ein. Wie wirkten die Großmächte aufeinander ein, sei es als Verbündete, sei es als Gegner, und welche Dynamik ergab sich aus dieser Interaktion? Außerdem bezieht Clark, wenn es geboten ist, kleinere Staaten wie Italien, Serbien und Bulgarien in die Darstellung ein.

Da Clark der Auffassung ist, dass die Rolle Serbiens in der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges lange Zeit vernachlässigt wurde, lässt er sein Buch in Belgrad beginnen, mit der Ermordung König Alexanders durch nationalistische Offiziere im Juni 1903 (Kap. 1). Der Umsturz und der Dynastiewechsel zogen eine außenpolitische Neuorientierung Serbiens nach sich, weg von Österreich-Ungarn, hin zu Russland. Das Königreich, so Clark, sei fortan ein Unruheherd auf dem Balkan gewesen, denn sowohl die Regierung unter dem zwielichtigen Ministerpräsidenten Nikola Pasic als auch schwer zu bändigende nationalistische Untergrundorganisationen hätten sich der Expansion Serbiens und der Errichtung eines großserbischen Staates verschrieben. Künftige Konflikte mit Österreich-Ungarn seien deshalb abzusehen gewesen. Die serbische Regierung habe nichts gegen die Untergrundorganisationen getan und damit indirekt den Weg zum Attentat von Sarajewo geebnet. Dieser kritische Blick auf die serbischen Verhältnisse und ihre destabilisierenden Wirkungen nach außen (u.a. auf das von Österreich annektierte Bosnien-Herzegovina) steht in auffälligem Kontrast zu dem positiven Bild, das Clark in Kapitel 2 vom Habsburgerreich zeichnet. Österreich-Ungarn sei mitnichten dysfunktional und moribund gewesen. Innenpolitisch sei es stabil gewesen; außenpolitisch sei es allerdings durch den lautstarken serbischen Chauvinismus und Russlands wiedererwachendes Interesse am Balkan unter Zugzwang gesetzt worden.

Im dritten Kapitel skizziert Clark die Blockbildung in Europa in den Jahren unmittelbar vor und nach 1900. Frankreich und Russland schlossen 1894 eine Allianz. Es folgten die britisch-französische Entente cordiale von 1904 und das britisch-russische Abkommen von 1907. Clark betont, die von Großbritannien mit Frankreich und Russland eingegangenen Bündnisse seien ursprünglich nicht gegen Deutschland gerichtet gewesen, sondern hätten vorrangig der Klärung und Beilegung von Konflikten an der kolonialen Peripherie gedient. Aus britischer Sicht sei Russland ein gefährlicherer Gegner als Deutschland gewesen. Eine Verständigung mit Russland sei daher für London wichtiger gewesen als ein Zusammengehen mit Deutschland. Die Dreier-Entente dürfe im Übrigen nicht als solides Bündnis ohne innere Widersprüche betrachtet werden, denn alle drei beteiligten Staaten hätten unterschiedliche Vorstellungen davon gehabt, wer ihr Hauptgegner sei und welche Pflichten im Ernstfall gegenüber den Bündnispartnern zu erbringen seien. Frankreich, auf eine Revanche für 1871 sinnend, habe in Deutschland seinen Hauptgegner gesehen, Russland hingegen in Österreich-Ungarn. Das Deutsche Reich habe derweil eine in ihren Zielsetzungen unklare "Weltpolitik" betrieben und sich schrittweise in die außenpolitische Isolation manövriert. Einer kleinen Gruppe antideutsch gesonnener britischer Diplomaten um Außenminister Grey hätten die Missgriffe der deutschen Politik als Vorwand gedient, das energisch aufstrebende Deutschland zum lästigen Nebenbuhler und neuen Hauptgegner Großbritanniens hochzustilisieren. Ein Krieg zwischen der Entente und den Mittelmächten sei aber 1907 keineswegs vorprogrammiert gewesen.

Das vierte Kapitel ist den Entscheidungsträgern gewidmet, den Strukturen, in denen sie tätig waren, und den Einflüssen, denen sie sich ausgesetzt sahen. Clark stellt die These auf, interne Rivalitäten in Regierungen, Kabinetten und Außenministerien sowie Unklarheit in Bezug auf die Kompetenzen und Befugnisse politischer Akteure hätten es Außenstehenden immer wieder erschwert, Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen und zu verstehen. Es sei für die Regierenden oft schwierig gewesen, das Handeln ihrer Verbündeten und Gegner in den anderen Hauptstädten zu durchschauen und zu deuten. Die Ungewissheit über die Absichten von Freund und Feind und das aus dieser Ungewissheit resultierende Misstrauen hätten die Kommunikation der Regierungen untereinander erschwert. In diesem Kapitel - wie auch an vielen anderen Stellen - gelingen Clark treffsichere und teilweise faszinierende Porträts der handelnden Staatsmänner.

Mit den Kapiteln 5 und 6 kehrt Clark zur Ereignisgeschichte zurück. Die beiden Balkankriege von 1911/12 erwiesen sich als entscheidende Zäsur. Russland, das seine außenpolitischen Ambitionen nach der Niederlage gegen Japan wieder auf Europa, den Balkan und die Dardanellen richtete, nahm das zunehmend selbstbewusster auftretende Serbien unter seine Fittiche, freilich nicht aus panslawischer Solidarität, sondern um Österreich-Ungarn in Bedrängnis zu bringen. Frankreich intensivierte sein Engagement auf dem Balkan ebenfalls. Auch dies geschah nicht uneigennützig, sondern aus der Überlegung heraus, dass ein österreichisch-serbischer Konflikt das beste Szenario darstellte, um Russland an der Seite Frankreichs in einen Krieg mit Deutschland hineinzuziehen. Ohne Russlands Hilfe hätte Frankreich nicht gegen Deutschland bestehen können. Paris war ab 1912 bereit, Petersburg eine französische Version des Blankoschecks auszustellen: Wenn Russland Serbien in einem Krieg mit Österreich-Ungarn unterstütze und Deutschland zugunsten Österreichs interveniere, so sei für Frankreich der Bündnisfall gegeben, dann werde es zusammen mit Russland gegen Deutschland in den Krieg ziehen. Umfangreiche französische Kredite an Russland und Serbien dienten dem Zweck, beide Staaten für den erwarteten Waffengang zu rüsten.

Clark kommt zu dem Schluss, die Einkreisungsängste der deutschen Führung seien berechtigt gewesen. Die Bereitschaft der Russen und Franzosen, einen Balkankonflikt zum Anlass für die Abrechnung mit Deutschland zu nehmen, habe den Handlungsspielraum der Deutschen auf verhängnisvolle Weise eingeschränkt und sie in dem Entschluss bestärkt, die gegnerische Koalition bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit militärisch niederzuringen. Spätestens an diesem Punkt wird jedem Leser klar, dass aus Clarks Sicht von einer Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht gesprochen werden kann. Der deutsche Anteil am Ausbruch des Krieges wird von Clark keineswegs in Abrede gestellt, aber durch eine Neubewertung und Neugewichtung des Vorgehens der anderen Staaten, besonders Frankreichs und Russlands, relativiert. In den Kapiteln 7 bis 12 zeichnet Clark minutiös das Attentat von Sarajewo und den Verlauf der Julikrise nach. Die Fehler aller beteiligten Regierungen werden anschaulich herausgearbeitet, Fehler, die in Kombination miteinander zu einer schrittweisen Verschlimmerung der Situation führten: Belgrad verweigerte auf provozierende Weise eine Mitwirkung an der Aufklärung des Attentats. Wien, von Berlin ermuntert, setzte von Anfang an ausschließlich auf eine militärische Aktion gegen Belgrad, zog andere Optionen nicht in Betracht und verschloss die Augen vor der Möglichkeit einer russischen Intervention. Berlin hoffte, der Konflikt werde sich lokalisieren und zum Austesten der russischen Kriegswilligkeit nutzen lassen. Petersburg sprach Wien rigoros das Recht ab, in irgendeiner Form gegen Belgrad vorzugehen, eine unnötig schroffe Position, die Paris und London fatalerweise übernahmen. Keiner der Akteure konnte die entstandene Situation noch überschauen geschweige denn im Alleingang kontrollieren und beherrschen.

Paris tat nichts, um Petersburg zurückzuhalten, auch nicht vor der Generalmobilmachung am 29./30. Juli, mit der Russland die Weichen endgültig in Richtung Krieg stellte. Nun hatte Berlin keine andere Wahl, als ebenfalls mobil zu machen. Der französische Präsident Poincaré und der russische Außenminister Sasonow, seit Jahren vereint in rabiater Feindseligkeit gegenüber Deutschland, hatten unversehens den Balkankonflikt bekommen, der ihrer Ansicht nach nötig war, um gemeinsam gegen das Deutsche Reich vorgehen zu können. Bis Ende Juli hoffte Berlin, London werde neutral bleiben. Mit dem Hinweis, dass Frankreich und Russland gar nicht direkt bedroht seien, lehnte die britische Regierung bis zum 1. August eine Parteinahme ab. Tags darauf erfolgte dann der jähe Umschwung. Nicht die Verletzung der Neutralität Belgiens habe den Ausschlag gegeben, so Clark, sondern die Furcht, Großbritannien werde sich Russland wieder zum Feind machen, wenn es nicht an seiner und Frankreichs Seite gegen Deutschland in den Krieg ziehe. Mit dem Kriegseintritt habe Großbritannien zweierlei erreichen wollen: Eindämmung der deutschen Gefahr und Festigung des Bündnisses mit Russland, dessen Bestand nicht riskiert werden durfte. Dem Sog, den die anderen vier Großmächte mit ihrer starren Bündnistreue und ihrer kaum verhohlenen Kriegswilligkeit ausgelöst hatten, konnte sich am Ende auch Großbritannien nicht entziehen.

Um all das zu erzählen, was hier mit wenigen Worten zusammengefasst wurde, braucht Clark über 700 Seiten. Sein Buch ist unnötig lang. Allzu oft lässt Clark seiner Erzählfreude ungebremst freien Lauf. Jedes der zwölf Kapitel hätte gestrafft und gekürzt werden können, ohne dass die Darstellung dadurch an Anschaulichkeit und Überzeugungskraft eingebüßt hätte. Dies ist kein Buch zum Schmökern. Die Komplexität der Erzählung entspricht der Komplexität des Themas. Clark hat es sich selbst als Autor nicht leicht gemacht. Er ist den beschwerlichen Weg gegangen, er hat bekannte Quellen noch einmal gelesen, er hat neue Quellen erschlossen, er hat einem Thema, zu dem schon alles gesagt schien, neue Einsichten abgerungen. Das hat aber auch seinen Preis: Die Lektüre erfordert mehr Geduld und Konzentration, als mancher Leser aufzubringen bereit sein mag. Ungeachtet dieser kritischen Bemerkungen ist festzustellen, dass Christopher Clark nach seiner Geschichte Preußens erneut ein großes und bedeutendes Werk vorgelegt hat. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Historiker sich noch einmal grundsätzlich mit einem Thema beschäftigt, das bereits als "erledigt" galt. Über dieses Buch wird man noch lange diskutieren. Wer sich künftig mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges befasst, der wird an Clarks "Schlafwandlern" nicht vorbeikommen. Hut ab vor einem großen Historiker unserer Zeit!

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im September 2013 bei Amazon gepostet)

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