Rezension zu "Eine tapfere Leber hat aufgehört zu arbeiten" von Christian Sprang
Eine originelle Sammlung von Traueranzeigen dokumentiert den Wandel im Umgang mit dem Tod
Mein Beileid. Das Leben geht weiter. Die Zeit heilt alle Wunden. Hilflose Floskeln sind für Trauernde, die einen geliebten Menschen verloren haben, oft kein wirklicher Trost. Die Unsichereit, die richtigen Worte zu finden, drückt sich auch in vielen Todesanzeigen aus. Die Wenigsten hinterlassen Zitate wie der am 20. November 2013 verstorbene Dieter Hildebrandt: „Ich glaube, ich habe im Wesentlichen herumgestochert“. Diese ironische Selbsterkenntnis steht auch über der Traueranzeige für den legendären „Scheibenwischer“-Kabarettisten.
Nach der Trilogie „Aus die Maus“ (2009), „Ich mach mich vom Acker“ (2013) und „Wir sind unfassbar“ (2018) legen Christian Sprang, promovierter Musikwissenschaftler und Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und der für den Bayerischen Rundfunk tätige Autor Dr. Matthias Nöllke bereits den vierten Band aus ihrer scheinbar unerschöpflichen Todesanzeigen-Sammlung vor. Das Buch ist entstanden aus einer Longlist von 1.600 Anzeigen. Die besten 300 Stücke sind in dieser keineswegs todtraurigen Anthologie dokumentiert, kategorisiert und kommentiert.
Die Todesanzeigen haben sich seit den ersten Auflagen verändert. Die Autoren haben fünf Trends identifziert. Im Zuge der Digitalisierung werden die klassischen Printanzeigen in den Zeitungen durch Trauerportale im Internet ergänzt und immer häufiger mit Farbfotos und grafischen Motiven illustriert. Dazu gesellen sich die sozialen Medien mit ihren virtuellen Kerzen, Nachruf-Videos und den nach dem Ableben weiter im Netz geisternden Facebook- oder Instagram-Profilen.
Als zweiter Trend hat sich eine zuvor eher seltene Unverblümtheit, Bitterkeit und Heiterkeit in den Texten ausgebreitet. Mobbing, Unfälle, Verbrechen, Krankheiten und Vereinsamung sind kein Tabu mehr. So der letzte Gruß an Ute K: „So still hätte sie weder gehen wollen, noch sollen.“ Einer ruft der Verstorbenen hinterher: „Noch eins: Ich habe Dich nicht ins Heim gebracht!“ Tod und Sterben werden oft nicht mehr pathetisch verklärt, sondern banalisiert. Da sollen die Verstorbenen schon mal „das Bier kalt stellen“, „den Grill anwerfen“ oder den Liegestuhl am Mallorca-Strand frei halten. Auch die rheinische Variante darf nicht fehlen: „Einer hät immer die Aaschkaat“. R. We. freut sich auf das Wiedersehen: „Hola Dicker! Auf zu Gott! Im Himmel ist Kirmes. Treffpunkt: Riesenrad!“
Als dritten Trend erkennen die Autoren die „Selbstanzeigen“. Hier wollen die Verstorbenen das letzte Wort haben. Sich verabschieden, Trost spenden, nachkarten oder sich lustig machen. Klaus-Dieter G. ist in den Bergen geblieben: „Mein letzes Skirennen: König-Ludwig-Lauf, Oberammergau, den 01. 02. 2015“. Peter K.: „Ich hatte die Schnauze voll und sage Euch Tschüss, bis bald! Ihr hättet gerne noch einen auf mich trinken können, aber… Corona“. Karin K. tröstet die Hinterblienenen: „Jammert nicht! Seid froh, dass Ihr mich ertragen durftet.“
Der vierte Trend ist das Weglassen. Viele Anzeigen belassen es bei Andeutungen. Wesentliche Basics kommen nicht mehr vor. Wer trauert um wen? Wer ist überhaupt wann gestorben? Gibt es eine Trauerfeier und wenn ja wo? Steht am Ende gar die leere Anzeige – ohne Namen, Geburts- und Sterbedatum und Hinterbliebenen? Damit einher geht, so die Autoren, ein fünfter Trend. Die Anzeigen richten sich nicht mehr an die Öffentlichkeit, sondern an die eigene Kernzielgruppe, an Menschen aus dem persönlichen Umfeld. Nur für Insider verständlich. Wie das unter der Überschrift „Handlampe, Kabeltrommel und Stecker sind wieder vereint“ gewürdigte Treiben von Willy, Fritz und Hanny. Bei Christiane (Janni) D. steht die Frage im Trauerrahmen: „Gehört das so?“.
Beim besinnlich-vergnüglichen Stöbern in den Faksimiles der von den Autoren einfühlsam und pointiert kommentierten Originalanzeigen über starke Abgänge (Martin, Du warst der Allergeilste), bittere Bilanzen (Arbeiten bis zum Umfallen), Berufliches (Endlich gibt es im Himmel vernünftiges Brot), Familienleben (Frau zu sein ist schwer), Hobbys (Die Katze fliegt nicht mehr), Todesursachen (Corona, Du hast uns tief getroffen), Abschiedsgedichte (Nie wieder Honig von Deinen Bienen, nie wieder zocken hinter geschlossenen Gardinen), Danksagungen (Besonderer Dank gilt dem Rotwein, der uns über 90 Jahre hat leben lassen) fragen sich die LeserInnen unwillkürlich, welche Art von Todesanzeige man für sich selbst wünschen würde. Vielleicht ja eine mit Trauerrand und blütenweißer Weste, äh Fläche. Hoffentlich hat nicht der bulgarische Theaterregisseur Dimitri Gotscheff das letzte Wort: „Da ist Loch“.
Joseph Weisbrod
Info: Christian Sprang & Matthias Nöllke: „Eine tapfere Leber hat aufgehört zu schlagen – Ungewöhnliche Todesanzeigen“. 272 Seiten. 12 Euro. Kiepenheuer & Witsch, Köln