Rezension zu "Abyssinia" von Carola Frentzen
Carola Frentzen, Auslandskorrespondetin in Rom, gibt ihr Leben in Europa auf, um für ein Jahr mit ihrem Lebensgefährten Alessio nach Äthiopien zu ziehen. Dort betreut sie eine Hilfsorganisation, macht viele neue Erfahrungen und lernt nebenbei Land und Leute kennen.
Ich bewundere den Mut und Idealismus der Autorin. Für ein Jahr nach Äthiopien zu gehen, um dort (hoffentlich) etwas zu bewegen und das ohne recht zu wissen, was auf einen zukommen wird – das wäre nichts für mich.
Doch genau das ist es, was Carola Frentzen und ihr damaliger Lebensgefährte Alessio tun. Die beiden gründen eine Hilfsorganisation (auch NGO), die jungen äthiopischen Männern und Frauen die nötigen Kenntnisse vermitteln soll, um ein eigenes Unternehmen zu gründen und erfolgreich zu führen. Ein Jahr bleiben die beiden vor Ort, um ihr Projekt zu betreuen und lernen Äthiopien auf einen ganz neue, manchmal wunderschöne, manchmal sehr frustrierende und herzzerreißende Art und Weise kennen, die gewöhnlichen Reisenden verschlossen bleibt.
Carola Frentzen berichtet eingängig von ihrem Fernweh und davon, wie der Gedanke in ihr reifte sich von ihrem langjährigen Zuhause der ewigen Stadt loszusagen und sich Hals über Kopf in das Abenteuer Afrika zu stürzen. Sie erzählt mir von dem täglichen Chaos in Äthiopiens Hauptstadt Adis Abeba und davon wie die Afrikaner ihre Glückseligkeit in der Muße finden, während Europäer nur für die Zukunft leben und dabei die Schönheit des einzelnen Tages nicht sehen.
Sie schreibt von der Zärtlichkeit der Äthiopier, ihrer Freundlichkeit und der Kraft, welche sie aus ihren Traditionen ziehen – besonders die Beschreibung der, im Land weit verbreiteten, Kaffeezeremonie hat mich beeindruckt, so dass ich mir für die Zukunft vornehme, dieses heiße Getränk nicht mehr herunter zu stürzen, sondern gebührend zu zelebrieren.
Carola Frentzen spricht aber auch die unbequemen Themen an, denn diese gehören genauso wie das Gute und Schöne zu ihrem äthiopischen Alltag. Sie erzählt von der Bürokratie, die es scheinbar darauf abgesehen hat den NGOs die Hilfsarbeit zu erschweren, von den grausamen Initiationsriten der Afrikaner, wie zum Beispiel die weibliche Beschneidung(FGM) oder das Einritzen der Augenlider bei kleinen Kindern, was dazu führen kann, dass diese Erblinden.
Sie schreibt davon, wie ihr Lebensgefährte Opfer der äthiopischen Willkürjustiz wird und nur mit Mühe seine Unschuld beweisen kann und aus dem Gefängnis entlassen wird.
Sie zeichnet ein glaubhaftes Bild von Armut und dem Teufelskreis, in den sie oft ganze Dörfer reißt - die ihre Kinder nicht in Lumpen zur Schule schicken wollen, welche dann aber ohne Ausbildung da stehen und kein Geld verdienen können, was wiederum dem Dorf zu Gute gekommen wäre.
Geschichten wie diese, von hungernden Afrikanern, die sich nicht einmal ärztliche Hilfe leisten können, von Frauen, die ihre Babys im Bauch sterben lassen müssen, da das Narbengewebe ihrer FGM sich nicht dehnen kann um das Kind frei zugeben, von perspektivlosen Khat kauenden Männern und hart arbeitenden Frauen, machen mir das Herz schwer und der Drang zu helfen wird unleugbar groß.
Was mich freut ist, dass die Autorin in ihrem Buch nicht nur von diesen Missständen erzählt sondern auch von den Menschen, die im Land sind um zu helfen. Zum Beispiel von einer amerikanischen Kosmetikvertreterin, die jedes Jahr 6 Monate nach Äthiopien reist und sich um Frauen mit Blasen-Scheiden-Fisteln kümmert, von einer Engländerin, die Familienpatenschaften an Europäer vermittelt, bei denen wirklich jeder letzte Cent an die afrikanischen Patenkinder geht und nicht für Verwaltungskosten verbraucht wird, und natürlich von ihren eigenen Mühen und Erfolgen äthiopischen jungen Menschen das Rüstzeug zu geben, mit dem sie sich aus einem Leben in Armut befreien können.
Neben den vielen Informationen zu Land und Leuten, schreibt die Autorin auch von ihren privaten Gedanken, Gefühlen und der Trennung von ihrem Lebensgefährten Alessio, welche ihre Zeit in Äthiopien deutlich beeinflusst hat. So komplettiert sie ihre Erzählung und ich habe das Gefühl sie nach Afrika begleitet zu haben. Wie einem guten Freund vertraut sie dem Leser selbst ihre geheimsten Sehnsüchte und Befürchtungen an und schafft so, dass man sie nicht nur als die mutige NGO-Leiterin in Äthiopien, sondern auch als facettenreiche Persönlichkeit mit Stärken und Schwächen in sein Herz schließt.
Carola Frentzen geht nach einem Jahr Äthiopien zurück zu ihrer Korrespondentenstelle in der EU, im Land bleiben ihre Schüler, die sich erfolgreiche, selbstständige Existenzen aufgebaut haben.
Und ich, die ich diese Frau bewundere, wie ich selten einen anderen Menschen bewundert habe, sitze sprachlos in meinem Lesesessel, gerührt und beeindruckt zugleich.
Es handelt sich hier um ein sehr lesenswertes Buch, welches ich jedem unbedingt ans Herz lege. Es ist ein besonderer Leckerbissen, für Afrika-Begeisterte.
Also lies dieses Buch, wenn Du eine beeindruckende Frau kennen lernen willst. Lies dieses Buch, wenn Du das wahre Äthiopien sehen willst. Lies dieses Buch, selbst wenn Du keinen Grund dafür hast. Lies es einfach.